Zu Besuch bei Erich Kästner

eine Spurensuche in der Neustadt zum 119. Geburtstag des Autors

Er sei immer ein Kind der Königsbrücker Straße geblieben, schrieb Erich Kästner in seinem Roman „Als ich ein kleiner Junge war“ (1957). Der Dresdner Schriftsteller zählt zu den genialsten Autoren des vergangenen Jahrhunderts. Bei einem Spaziergang durch das Viertel seiner Kindheit wird seine Welt wieder lebendig.

Gedenktafel an Erich Kästner, Königsbrücker Straße 66

Als Erich Kästner am 23. Februar 1899 in der vierten Etage der Königsbrücker Straße 66 geboren wurde, ahnte freilich niemand, dass er ein prominentes Kind der Stadt werden sollte. Sein Geburtshaus ist im Durchgang mit einer Gedenktafel markiert. Im Hof befindet sich heute ein Anbau mit einem modernen, gläsernen Aufzug. Unscheinbar sind Kästners Spuren in der Stadt und doch stolpert man auf dem Weg von der Königsbrücker Straße zum Albertplatz an allen Ecken über Erinnerungen an den Autor.

Königsbrücker Straße 66, das Geburtshaus von Erich Kästner

Anfang des 20. Jahrhunderts befand sich das Viertel im Umbruch. In der Neustadt gab es viele Tabaks- und Schokoladenfabriken. Die Bauarbeiten in der unmittelbaren Nachbarschaft führten dazu, dass die Kästners in kurzen Abständen zweimal umzogen. Der Königsbrücker Straße jedoch blieben sie treu. So befinden sich die nächsten Wohnhäuser der Familie nur wenige Schritte weiter. Die Nummer 48 soll die Lieblingsadresse von Erich Kästner gewesen sein.

Treppenhaus in der Königsbrücker Straße 48

Hinter der schmuckverzierten Tür erwartet uns ein gelb gestrichener Hausflur. Die hölzerne Treppe und der Handlauf sind noch im Original erhalten, anders als die Wohnung im dritten Stock, in der Familie Kästner bis 1910 mit einem Untermieter wohnte. Hier oben betrieb Mutter Ida einen winzigen, privaten Frisörbetrieb, während ihr Sohn als kleiner Junge auf der Treppe mit Zinnsoldaten spielte und vom Fensterbrett aus in den Hof schaute.

Hausfassade an der Königsbrücker Straße 48

Mehr als 40 Bücher hat Erich Kästner bis zu seinem Tod, 1974 in München, verfasst. Die Kindheit in der Neustadt, die damals noch Antonstadt hieß, diente ihm mehrfach als Inspirationsquelle und Romankulisse. Der heutigen Bäckerei Rißmann auf der Königsbrücker Straße 32 zum Beispiel setzte er in seinem berühmten Kinderbuch „Emil und die Detektive“ ein Denkmal, indem er etwa der Bäckerin Frau Wirth von Emils Mutter im heimischen Frisiersalon tüchtig den Kopf waschen lässt.

Königsbrücker Straße 38

Im zweiten Stock über dem Gründerzeitkaufhaus in der Königsbrücker Nr. 38 bezogen die Kästners samt ihrem Untermieter bald eine neue, größere Wohnung. Sohn Erich zog von hier 1919 weiter zum Studium nach Leipzig. Seine Eltern sollten bis nach dem Zweiten Weltkrieg in der 38 bleiben. Die blaue Tür zum Haus ist heute beschmiert mit Graffiti, Fußgänger hasten am Sportkaufhaus eilig vorbei. Bis zur Bäckerei Rißmann, die damals wirklich Wirth hieß, sind es nur ein paar Schritte. Bei Wirths kaufte Erich Kästner als kleiner Junge gern Kuchen für die Familie. Zur alten Bäckersfrau hielt er postalisch bis ins hohe Erwachsenenalter Kontakt.

Blumengeschäft Stammnitz in der Louisenstraße

Ein weiteres Relikt seiner Kindheitstage ist der Blumenladen Stammnitz, der sich unauffällig in der Louisenstraße 21 versteckt, jedoch eine Liste von edlen Kunden auf seiner Webseite führt. Schon zu Zeiten Erich Kästners war das Blumenhaus Stammnitz eine gute Adresse in der Neustadt. Wie die Bäckerei gehört es zu den wenigen, die nicht nur in seinen Büchern lebendig blieben.

Erich-Kästner-Skulptur am Albertplatz

Ist man erst in diese Epoche eingetaucht, sieht man das Leben des Autors bald in bunten, realen Bildern vor sich. Einmal soll er vom Fenster aus auf die Königsbrücker Straße geschaut haben, als berittene Polizei unten blutig einen Aufstand niederschlug. Die Mutter schrieb mehrfach Abschiedsbriefe, in denen sie drohte, von der Albertbrücke zu springen. Viele Schulkameraden blieben im Krieg. Es war gewiss keine einfache Zeit, in der Erich Kästner als kleiner Junge täglich die Straßen der Neustadt kreuzte, Kuchen und Blumen kaufte, über den Albertplatz zur Schule lief, zum Vater auf die Arbeit oder mit der Mutter vor dem Alberttheater stand, um die billigen Stehplätze im Rang zu ergattern.

Erich-Kästner-Statue an der Villa Augustin

Von der prächtigen Villa seines Onkels Franz Augustin aus soll er als Junge gewichtige Geldpakete zur Bank geliefert haben. Inzwischen ist dort das Erich-Kästner-Museum zu Hause. Am Albertplatz erinnert eine Skulptur mit Hut an den großen Autor. In Bronze gegossen sitzt der junge Erich zudem seit 1999 auf der Mauer der Villa-Augustin. Von hier aus ist der Turm der Dreikönigskirche zu sehen, in der er getauft und konfirmiert wurde. Und wenn man so mit ihm über die Mauer schaut, auf die Hektik der Stadt und die Menschen, die mit ernsten Gesichtern über den Albertplatz eilen, könnte man fast meinen, die Zeit sei stehen geblieben.

Weitere Beiträge zu Erich Kästner:

Rezension „Drei Männer im Schnee“ vom 6. Dezember 2015

Beitrag zum Kästner-Geburtstag 2015

Beitrag zum 40. Todestag 2014

Rezension „Klaus im Schrank“ vom 9. Dezember 2013

Rezension Krimi „Weltverloren“ vom 15. Oktober 2013

Rezension „Fabian“ vom 22. März 2013

Beitrag zum Kästner-Geburtstag 2013

 

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2 Kommentare

  1. Schöner Artikel und für einen gebürtigen Dresdner, Jahrgang 1965, dessen Opa Erich Kästners Jahrgang war, eine schöne Ergänzung zu Kästners Buch. Danke dafür.

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