Welt im Wandel 

Matthias Reichwald zeigt „Cabaret“ an der Staatsoperette als zeitloses Gesellschaftsstück

Die Grenzen zwischen schillernder Cabaret-Bühne und grauem Alltag sind fließend. Gerade noch hinter den Kulissen mit den Widrigkeiten des Lebens kämpfend, tanzt es sich im hellen Licht der Scheinwerfer dafür umso schwereloser. An der Staatsoperette Dresden kommt die Welt des „Cabaret“ (Fotos: Lutz Michen) in Form des berühmten Musicals von John Kander nach dem Buch von Joe Masteroff als riesiges Spiel im Spiel auf die Bühne.

Regie führt der Schauspieler und Theaterregisseur Matthias Reichwald, der das Berlin der 1930er Jahre in einer zeitlosen Lesart wiederauferstehen lässt. Der Zuschauer wird also Teil einer schillernden Show, deren Handlung sich auf der Schattenseite des Vorhangs entspinnt. Diese fast nahtlose Verschmelzung von Bühnen- und Alltagsszene hat durchaus ihre Reize, ist jedoch an der Staatsoperette inzwischen wirklich nichts Neues mehr.

Clifford und Sally im Rampenlicht – „Cabaret“ an der Staatsoperette Dresden (Foto: Lutz Michen)

Während sich die Gesellschaft in einem verhängnisvollen Wandel befindet, scheint im Cabaret die Unbeschwertheit keine Grenzen zu kennen. Es wird getanzt, gelacht und eifrig geflirtet. Rasche Szenen- und Kulissenwechsel lassen sich auf der schwebenden Dreiecksdrehbühne mit pfiffigen Einfällen lösen. Ob Zugfahrt, Fräulein Schneiders Pension oder Kit Kat Klub, im Takt der jazzigen Melodien tanzen mit dem Ensemble abwechselnd Stühle, Buchstaben und Revue-Requisiten über die Bühne (Bühnenbild: Karoly Risz). 

Orchester der Staatsoperette ist der Star des Abends

Das Orchester der Staatsoperette Dresden sitzt sichtbar im hinteren Bühnenraum und wird unter der Leitung von Peter Christian Feigel zum wahren Star des Abends. Die Musik betört in satten Rhythmen, prickelnden Jazzakkorden und brodelnder Leidenschaft. Sie pulsiert wie das Leben in Berlin im Jahre 1929, doch wirkt sie im Ganzen hier seltsam abgekoppelt von der Handlung, die sich in der ersten Hälfte eher voranschleppt. 

Die Pärchenbildung im Cabaret, sie braucht eine Weile, bis sie Klischees in berührende Momente wandelt. Das sind einerseits Aswintha Vermeulen und Adrian Djokić, die der Liaison des Showgirls Sally Bowles mit dem amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw zu gleichen Teilen Glamour und Tragik einhauchen. Vermeulen vermag es, ihre Sally mit Temperament und Verletzlichkeit auszustatten, ist stimmlich ein Höhepunkt der Premiere – während Djokić in der Partie des armen Poeten eher etwas spröde daherkommt. 

Fräulein Schneider und Herr Schultz in „Cabaret“ an der Staatsoperette Dresden (Foto: Lutz Michen)

Silke Richter und Bryan Rothfuss bringen als Zimmervermieterin Fräulein Schneider und Obsthändler Herr Schultz die späte Liebe auf die Bühne. Man schenkt sich Südfrüchte, tanzt und feiert eine festliche Verlobung. Der Funkenregen jedoch bleibt aus. Fast wirkt es, als würden beide mit angezogener Handbremse spielen. 

Marcus Günzel gibt die Rampensau

Ganz anders Marcus Günzel, der als Conférencier die volle Aufmerksamkeit bei sich hat. Er ist Showman, Paradiesvogel, mitreißender Unterhalter, einer, dem man die Rampensau vom ersten bis zum letzten Moment abnimmt. Gero Wendorff wirkt als Nazifigur Ernst Ludwig wie der Schattenmann. Ähnlich einem Stasispitzel taucht er immer auf, wenn es bedrohlich wird.

Zum ersten Mal richtig packend wird es kurz vor der Pause, als er Fräulein Schneider von der Hochzeit mit dem jüdischen Gemüsehändler abrät – und mit Fräulein Kost die Hymne auf ein neues Deutschland anstimmt, zu der Mitglieder des Chors der Staatsoperette Dresden sich im Publikum erheben und lauthals mitsingen. Ein schöner Effekt, der sofort unter die Haut geht. 

Marcus Günzel als Conférencier in „Cabaret“ an der Staatsoperette Dresden (Foto: Lutz Michen)

Im zweiten Teil ist die Musicalatmosphäre dann perfekt. Das Cabaret entfaltet sich mit zunehmender Wandlung der gesellschaftlichen Zustände mehr und mehr zum geschützten Raum und eigenen Kosmos – große Ballette (Choreografie: Volker Michl) und Seilakrobatik im Silberdress künden von einer neuen Zeit, in der die Brüche zwischen der heilen Welt der Bühne und dem Alltag draußen immer tiefer werden. Es sind die Umstände dieser neuen Ordnung, die der Liebe zwischen Sally und Clifford, aber auch Fräulein Schneider und Herrn Schultz schließlich keine Chance mehr lassen. Der Vorhang senkt sich unter Marschgetrappel – und das Spiel ist aus. 

Info: „Cabaret“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 19.4., 24,.4., 25.4. und 3./4.5.

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