Macht – Kampf – Wahn

Händels Oratorium „Saul“ an der Semperoper Dresden

Die Produktion aus Wien. Der Stoff ein biblischer. Das Genre ein Oratorium. Georg Friedrich Händels „Saul“ (Fotos: David Baltzer) in szenischer Aufführung ist in vielerlei Hinsicht eine Produktion mit Seltenheitswert an der Dresdner Semperoper. Eine, die man vielleicht erst auf den zweiten Blick zwischen Repertoire-Schlagern wie „La Bohème“ oder „Eugen Onegin“ entdeckt, deren Sog man sich dann jedoch kaum entziehen kann.

Regisseur Claus Guth hat schon Erfahrung mit Stoffen wie diesem, der auf die zwei Bücher Samuel im Alten Testament zurückgeht. Saul ist der erste König Israels, doch als der siegreiche David auftaucht, gerät etwas aus dem Gleichgewicht. Saul wird wie aus dem Nichts von dem Wahn befallen, den jüngeren Konkurrenten zu töten. Am Ende sind es er und sein Sohn Jonathan, die den Tod finden, und David wird zum neuen König ernannt. Im Strudel aus Macht, Wahn, Neid und Eifersucht, wird Saul zu einem Suchenden, einem Gestrandeten. Isoliert in einer gefliesten Zelle, einer Art Badezimmer oder OP-Saal, schreibt er mit Dreck seinen Namen an die Wand. Dann folgt die nächste Szene.

Guth arbeitet mit eindrücklichen Bildern, um die eher losen Szenen des Oratoriums für das Publikum greifbar zu machen. Er betrachtet die Figuren und ihre Emotionen wie durch ein Brennglas und lässt die einzelnen Situationen auf der großen Drehbühne wie ein Kaleidoskop der Gefühle wechseln. Christian Schmidt hat sowohl die Kulisse als auch die Kostüme dazu schlicht und modern gestaltet, was die Zeitlosigkeit des Themas betont. Denn die Gefühle, die hier beschrieben werden, der Wandel in einer Gesellschaft, die teils irrationalen Reaktionen einzelner Figuren prägen die Menschheitsgeschichte von Anbeginn – bis heute.

Die starke Bildsprache der Inszenierung spiegelt auch Händels Musik wider, deren Instrumentierung für die Zeit ihrer Entstehung aufwendig erscheint. Die Sächsische Staatskapelle Dresden verleiht ihr unter der Leitung von Leo Hussain Farbe und Glanz, bringt die verschiedenen Stimmungen der Szenen so vital wie einfühlsam zur Geltung. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Leitung: Jan Hoffmann) wird zu einem Hauptakteur auf der Bühne und sorgt mehrfach für Gänsehaut-Momente. Der große Klagesang mit Fackeln im dritten Akt ist einer davon.

Mit Florian Boesch als Saul und Jake Arditti als David stehen sich zwar starke Darsteller als Kontrahenten gegenüber. Ihre Begegnung im ersten Akt wird von einem zarten Harfenton begleitet – ein Moment, der sofort die Aufmerksamkeit bannt. James Ley verleiht dem Jonathan wirklich Seele. Jasmin Delfs und Mary Bevan geben die Schwestern Merab und Michal stimmlich verführerisch und selbstbewusst. In diesem Figurengefüge gibt es keine linearen Beziehungsentwicklungen, eher wechselnde Zugehörigkeits-Bekundungen. Das Spiel wirkt daher manchmal beinahe wie in einer Puppenstube – doch auch trotz kleiner Längen verfehlt es seine Wirkung nicht.

Exemplarisch werden Gefühle und Machstrukturen hier beleuchtet, Verhängnisse gestrickt. „Erst der ist ein wirklicher Held, der sich selbst überwindet“, heißt es zum Schluss an einer Stelle des Librettos. Doch die Möglichkeit einer Entwicklung ist in dieser Szene nicht angelegt. Alles, was sich ändert, sind die äußeren Umgebungen. Der Kern der Menschheit bleibt. Tosender Applaus nach einem fesselnden Abend!

Info: „Saul“ an der Semperoper Dresden wieder am 29. Juni und 2. Juli 2025

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