Klamauk mit Kästner

„Drei Männer im Schnee“ bauen am Kleinen Haus einen Schneemann in dekadent zünftiger Alpenumgebung

Für viele gehört die Verfilmung von Erich Kästners Roman „Drei Männer im Schnee“ (1934) genauso zum Vorweihnachtsprogramm wie Räucherkerzen und Lebkuchen. Die Theaterversion wandert nun in einer sehr bunten Inszenierung von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann am Abend vor dem 2. Advent als deftige Komödie auch auf die Bühne am Kleinen Haus des Staatsschauspiels – und reißt das Premierenpublikum mit wie kaum eine andere Produktion in den vergangenen Jahren.

Verkleideter Millionär will die Menschen studieren

Die Handlung ist schnell erzählt: Um die Menschen zu erforschen, wie sie sind, checkt der Millionär Tobler inkognito des armen Schluckers Schulze als Gewinner eines Preisausschreibens im Grandhotel Bruckbeuren ein. Sein Butler Johann muss den Millionär spielen und ihn heimlich begleiten. Als dann Dr. Hagedorn eintrifft, der auch Gewinner des Preisausschreibens, aber ein arbeitsloser Akademiker aus Berlin ist, wird fälschlicherweise er für den verkleideten Millionär gehalten – und vom Personal bestens versorgt. Die Verwechslung ist perfekt und das Spiel kommt ins Rollen, als die drei Männer sich anfreunden – und Toblers Tochter Hilde anreist, in die sich Hagedorn sofort verliebt.

Kästner wechselte notgedrungen ins Unterhaltungsfach

Kästner war im Nazi-Deutschland schon ein verbotener Autor, als er „Die drei Männer im Schnee“ schrieb. Weil er sich ernsthafte Literatur nicht mehr erlauben durfte, ohne Gefahr zu laufen, im KZ zu landen, tippte er seinen ersten Unterhaltungsroman. Bereits im Jahr zuvor war aus dem Stoff ein Drehbuch für eine amerikanische Filmfirma entstanden. Kästner konnte den Roman jedoch 1934 nur noch in der Schweiz veröffentlichen. Zudem existieren mehrere Vorversionen (erstmals veröffentlicht im Berliner Tagblatt unter dem Titel „Inferno“), in denen der Autor noch in deutlich düstererem Stil die raue Wirtschaftspolitik der Weimarer Republik widerspiegelte.

"Drei Männer im Schnee" am Staatsschauspiel Dresden

Die Inszenierung am Staatsschauspiel blendet diese nicht ganz glückliche Vorgeschichte des Stoffes jedoch (fast) komplett aus. Die beiden Regisseure rücken ganz die urkomische, wenn auch seichte Verwechslungskomödie ins Rampenlicht. Als kurzes Ulk-Vorspiel tritt eine singende Tobler-Seife vor den Vorhang, die auf penetrant lustige Art die Werbung der 20er Jahre parodiert. Als sich dann der rote Vorhang öffnet, beginnt das eigentliche Stück, das als knallbunte, unterhaltsame Mischung aus Revue, Komödie und Lustspiel à la „Ferienheim Bergkristall“ die Lachmuskeln in Wallung bringt.

"Drei Männer im Schnee" am Kleinen Haus Dresden

Anfangs kommt das Stück noch langsam in Gang, nimmt mit der Ankunft der drei Herren im schicken Alpen-Grandhotel aber bald ebenso rasante Fahrt auf wie die Ski-Hasen auf der Piste. Christoph Schubiger hat dazu eine zünftige Kulisse mit Alpenpanorama und Mini-Seilbahn geschaffen, die sich mit zwei Drehteilen auf der Vorderbühne rasch zwischen Hotellobby und Schneelandschaft wenden lässt. In der Mitte verläuft eine breite Showtreppe zum Alpenausgang, und kleine Lämpchen säumen die Kulissenränder auf den Drehelementen.

Ensemble muss singen und tanzen wie in einer Revue

Wie im echten Komödientheater muss das Ensemble hier Gesangs- und Tanzeinlagen stemmen, was musikalisch wie rhythmisch nicht immer restlos überzeugt, vom Publikum aber stets mit Szenenapplaus quittiert wird. Die musikalischen Arrangements stammen von Thomas Mahn – und führen den Irrsinn der täglichen Hotelgastbespaßung, die Kästner nach eigenem Erleben auch treffend in mehreren Gedichten beschrieb, immer wieder ironisch überhöht vor Augen und Ohren. Hans-Richard Ludewig, Georg Schumann (Akkordeon), Christoph Hermann (Posaune, Alphorn, Cello) und Micha Seifert (Posaune, Alphorn) sorgen als fesche Musiker für Stimmung im Saal. Manchmal beschleicht einem bei so viel unbeschwerter Leichtigkeit und Komik schon fast der Verdacht, das Staatsschauspiel habe heimlich beim Dresdner Boulevardtheater hinter den Vorhang gelinst. So kennt Dresden sein sonst eher ernsthaft-anspruchsvolles Theater noch gar nicht.

"Drei Männer im Schnee" am Kleinen Haus Dresden

Nun gut: Manches gerät hier vielleicht ein bisschen zu klamaukig. Die typisch Kästner‘sche Ironie, die sich in seinem wunderbar leichten Schreibstil versteckt, rückt dadurch an vielen Stellen aber erst richtig schonungslos ins Rampenlicht. Bald schon geht es toll zu im Grandhotel: Der falsche Millionär Hagedorn hat Siamesische Katzen in der Suite, während Tobler im Gewand des armen Schulze vom Personal statt in ein Zimmer kurzerhand in die Besenkammer geschoben wird. Ahmad Mesgarha gibt den drolligen Alten als sympathischen Kauz, der starrköpfig im abgewetzten Anzug vor der Familie steht, als er von seinem Verkleidungsplan erzählt: „Ich habe ja schon fast vergessen, wie die Menschen in Wirklichkeit sind“, sagt dieser Tobler und begibt sich damit auf einen schmalen Grat zwischen Spaß und Ernst.

Ensemble zwischen grenzenloser Übertreibung und echter Komik

Thomas Eisen verleiht seinem Fritz Hagedorn das nötige Quäntchen jugendliche Unbeschwertheit, gepaart mit einer großen Portion trockenem Humor. Als eher steifer, strenger Butler Johann ist Matthias Luckey der Dritte in diesem illustren Außenseiter-Bunde. Gemeinsam erwecken sie nicht nur beim turbulent inszenierten Schneemannbau den Eindruck herumtollender Schuljungen – gerade so, als seien sie eben lebendig aus Kästners Zeilen entstiegen. Mit tief säuselnder Stimme platzt Anna-Katharina Muck unermüdlich als bedrohlich liebestolle Frau Casparius dazwischen. Diese hat natürlich ein Auge auf den vermeintlichen Millionär Hagedorn geworfen. Sascha Göpel schiebt sich als hochnäsiger Portier mit Ösi-Akzent in den Vordergrund, Ines Maria Westernströer hat als Tobler-Tochter Hilde leider kaum darstellerischen Spielraum, legt sich für den Skilehrer Graswander Toni dafür aber fast schon übertrieben ins Zeug.

"Drei Männer im Schnee" am Kleinen Haus Dresden

Am Ende der zweieinhalb Theaterstunden löst sich das Verwechslungsspiel im Nobel-Bergkristall natürlich rundum in Wohlgefallen auf. Mit einem dicken Augenzwinkern darf zum Schluss sogar noch einmal Hitler zitiert – und mit dem Schlagerhit „Das kommt die wieder“ vom Ensemble kommentiert werden. Der Kerngedanke der Geschichte steckt jedoch ganz tief im Kästner-Text vergraben und ist natürlich mit Schneemann Kasimir und den drei Männern auch auf die Bühne gewandert: „Viele [der Hotelgäste] können sowieso nichts dafür, dass sie reich sind. Viele haben (…) nur deswegen Geld, weil der liebe Gott ein weiches Herz hat. Besser als gar nichts, hat er bei ihrer Erschaffung gedacht.“ Und warum sollte man über diese armen Geschöpfe im Theater nicht einmal herzlich lachen, warum Kästners notwendige Flucht zum seichten Fach heute nicht auch locker-unterhaltsam aufs Korn nehmen dürfen?


Erich Kästner „Drei Männer im Schnee“, wieder am 11.12., 28.12., 31.12., 7.1., 12.1., 15.1., 16.1., 19.1., 27.1.

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