Die Landschaft als Spiegel der Seele

Besuch bei Edvard Munch im Museum Barberini Potsdam

Die Dresdner Künstlergruppe Brücke bemühte sich einst vergeblich, den norwegischen Maler Edvard Munch für eine ihre Ausstellungen zu gewinnen. Erst 1918 und 1929 gelang es der Künstler Vereinigung Dresden Munchs Werke erstmals an die Elbe zu holen. Eine Beziehung hierher gab es schon länger, bereits 1897 vermittelte Otto Hettner, der Munch aus Paris kannte, über die Galerie Ernst Arnold den Verkauf grafischer Arbeiten von Edvard Munch in Dresden. Aktuell zeigt das Museum Barberini in Potsdam anlässlich des 160. Geburtstags und 80. Todestages des Norwegers die Sonderausstellung „Munch – Lebenslandschaften“ – ein Ausflug, der sich lohnt!

Die Exposition stellt – wie kaum eine zuvor – dezidiert die Landschaftsbilder von Edvard Munch ins Zentrum. Die rund 116 Exponate sind von Jill Lloyd in acht Kapiteln kuratiert und stammen überwiegend aus dem Munch Museum Oslo, sowie aus dem Museum of Modern Art, New York, dem Dallas Museum of Art, der Staatsgalerie Stuttgart, dem Museum Folkwang, Essen und dem Von der Heydt-Museum, Wuppertal. In farbigen Landschaften, düsteren Gewitterszenen oder geselligen Strandszenerien spiegelt sich darin nicht nur Munchs universelles Verständnis von Natur, sondern auch sein Leben wider. Seine Bilder sind zugleich Seelenlandschaften, die bei genauer Betrachtung viel mehr offenbaren als seinen Blick auf die Orte, die ihn umgaben.

Die Vielfalt dieser Landschaften verblüfft. Wer bei dem Namen Munch zuerst Motive wie „Der Schrei“ oder „Der Tanz des Lebens“ vor Augen hat, wird über lichte Bilder wie „Getreideernte“ oder „Grabende Männer mit Pferd und Karren“ vielleicht überrascht sein. Sie zeigen ganz unverschleiert das einfache Leben zu einer Zeit, als die Existenz der meisten Menschen im Norden noch vollkommen vom Rhythmus der Natur bestimmt war. Hinzu kommen Eindrücke unbeschwerter Tage am Fjordufer oder Motive wie muskulöse „Badende Männer“ und „Wellen“ am Strand von Warnemünde, wo Munch sich der Erholung und kurzzeitig auch dem Leben der Bohémiens hingab. Auch Bilder wie „Blühende Obstbäume im Wind“ oder „Apfelbaum im Garten“ zeigen unerwartet idyllische Szenen vom heimischen Gärtnerglück am Oslofjord.

Sie stehen im scharfen Kontrast zu den Motiven Einsamkeit, Liebe, Verlust, Trennung, Schmerz und Tod, die Munchs Werk stark prägen. Der frühe Verlust von Schwester und Mutter, später auch des Vaters, psychische Krankheit, Alkoholismus sowie seine schwierigen Beziehungen zu Frauen sind Erfahrungen, die sich wie ein melancholischer Schleier über einen Großteil seiner Werke legen. Die beinahe brutale Unmittelbarkeit des Natureindrucks seiner norwegischen Heimat ist ein idealer Resonanzraum, um diese Erfahrungen künstlerisch zu verarbeiten, ihnen nachdrücklich und wirkungsvoll Farbe zu verleihen.

Edvard Munchs Naturansichten zeigt sich der Mensch oft erst auf den zweiten und dritten Blick: In Baumwipfeln sind Gesichter zu erkennen, menschliche Silhouetten formieren sich am Himmel oder über dem Boden. Selbst im „Märchenwald“ schwingt etwas diffus Bedrohliches mit. Sei es die Macht der Natur oder die Angst vor der Endlichkeit der Liebe und des Lebens. Immer wieder trifft man in Munchs Werken auf die Frau im weißen Kleid neben dem schwarzen Mann. Mal stehen sie eng umschlungen im Wald, mal tanzen sie, mal sind sie nebeneinander einsam, dann nehmen endgültig voneinander Abschied. Kontraste bedingen und lösen sich in der Vereinigung auf. Nichts ist eindeutig voneinander getrennt, die Übergänge zwischen Natur und Mensch, ja, zwischen Leben und Tod sind bei Munch immer fließend.

In diesen Kontrasten schwingt jene für Munch irgendwie typische Melancholie mit. Sie spiegelt sich in der Ambivalenz des Natureindrucks wider, der in Norwegen je nach Licht und Wetter bedrohlich oder verführerisch sein kann. Licht und Dunkel, Sonne und Sturm, Wasser und Stein. Das Ambivalente der Naturerfahrung überträgt Munch auf das Leben, vor allem aber auf die menschlichen Beziehungen. Es geht ihm weniger darum, wie der Mensch mit der Natur lebt, sondern viel mehr darum, wie er sich in den unerschütterlichen Kreislauf der Natur einfügt. Nichts ist so absolut, wie es scheint. Aus Leben wird Tod, und Totes wird zu neuem Leben. Licht und Schatten, Sonne und Dunkelheit sind die ewig konträren Seiten ein und derselben Medaille.

Das Faszinierende in seinen Bildern ist jedoch nicht nur deren Ambivalenz, sondern Munchs trickreiche Darstellung. Immer wieder lassen sich in seinen Bildern neue Motive, Gesichter, Symbole finden. Jedes einzelne scheint unergründlich. In Potsdam kann man sich Munchs Kosmos noch bis 1. April ausgiebig hingeben. Anlässlich des Kulturhauptstadtjahres in Chemnitz wird der Norweger 2025 dann endlich einmal wieder nach Sachsen zurückkehren.

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.