Die Ostrale beschreitet neues Terrain, doch überzeugt nicht überall
Feminismus, Kapitalismus, Extremismus. Mit dem kleinen Suffix „ismus“ lassen sich so ziemlich alle Begriffe bündeln, die die westliche Welt dieser Tage bestimmen. Da scheint es nur folgerichtig, dass die 12. Ostrale diese unscheinbare Verbindung aus fünf Buchstaben in diesem Jahr zum Motto erkoren hat. Die internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst zeigt sich als Biennale erstmals an ungewohnten Orten in der ganzen Stadt.
Die Hauptausstellung ist diesmal in der Historischen Tabakfabrik f6 in Striesen, statt im maroden ehemaligen Erlwein-Schlachthof zu finden. Hier sowie an fünf weiteren Standorten vom Goethe Institut bis zum Ausländerrat warten über 300 Werke von 180 Künstlern aus 34 Nationen auf neugierige Betrachter. Das aktuelle Motto springt einem mannigfaltig ins Auge, vor allem der Feminismus bricht sich in den Gemälden, Installationen und Skulpturen mit allerhand nackter Haut reichlich Bahn. Zudem schimmern Kapitalismuskritik und die Klimakrise in den Exponaten in zahlreichen Schattierungen durch.
Wer in den Räumen der Tabakfabrik richtig handgemachte Kunst erwartet, der wird vielleicht enttäuscht sein: Die Vielzahl der Videoinstallationen erweckt hier teils den Eindruck eines Filmfests als den einer klassischen Kunstausstellung. Es lohnt sich jedoch, vor den Bildschirmen zu verweilen: Sven Windszus (DEU) zum Beispiel thematisiert in seinem Film „Pure White“ ästhetisch packend den Perfektionismus einer hoch technologisierten, modernen Welt. Und Michael Heindl (A) erzählt in dem Video „Budget Rebellion“ die Geschichte rumänischer Gastarbeiter, die das Prinzip der Ausbeutung des Ostens alsbald auf den Kopf stellen.
Christian Holtmann (DEU) hinterfragt in seinem eher plakativen Gemälde „Take the lot“ den kapitalistischen Konsum auf witzige Weise und Anja Sonnenburg (DEU) zeigt mit ihrer Installation „Brennpunkte“ eine originelle Landkarte. Nein, es ist gewiss nicht so, dass der aktuelle Jahrgang der Ostrale langweilt. Er gehört aber auch nicht zu denen, die mit überbordender Originalität in jedem Raum beglücken. Allzu oft hat man den Eindruck, die Geschichte der alten Fabrik flüstert lauter als die Exponate, ist das, was Büroschilder, Flure und unbenutzte Maschinen von früher erzählen, spannender als die Botschaften der Kunst.
Wirklich schwierig ist das Raum-Kunst-Verhältnis in der Gedenkstätte Bautzner Straße. Dieser Dresdner Schreckensort hat für sich schon eine so starke, beklemmende Ausstrahlung, das jedes Gemälde, jede Installation darin wie eine schlechte Karikatur wirken muss, und im Schatten der geschichtsträchtigen Mauern verschwindet. Es ist nicht die Kunst, es ist die Historie dieses Hauses, die den Besucher mit jedem Schritt gefangen nimmt. Im früheren Festsaal des MfS, der so prächtig dasteht, als seien die Funktionäre gestern erst darin mit Orden behängt worden, wird jedes Kunstwerk – und sei es noch so gesellschaftskritisch – obsolet. Ebenso wie im Haftkeller und dem Zellentrakt.
Das ist eben doch anders als in den Palazzi von Venedig, wo Kunst seit Jahrhunderten zur Ausstattung gehört und während der Biennale di Venezia nur einmal mehr zur Schau getragen wird. Wenn Dresdens neue Biennale ebenso viel Beachtung erfahren soll wie die venezianische, wenn sie als Pendant zur Documenta in Kassel bestehen will, muss sie nun über sich hinauswachsen. Wer die Stadt mit zeitgenössischer Kunst infizieren will, sollte eigene Wege gehen, statt zu kopieren, querdenken, statt nur nach rechts und links zu schauen – und vor allem: überraschen. Mehr Bauch, statt Kopf sollte hier das Credo sein. Denn Rationalismus hat in der Kunst noch niemanden weit gebracht.