Die Operette bringt mit „Wonderful Town“ das New York der 30er Jahre ins Kraftwerk
Von Dresden nach New York träumte sich die Staatsoperette bereits in ihrem Neujahrskonzert 2016. Zehn Tage vor Silvester wurde diese verheißungsvolle Sehnsucht nach der Neuen Welt nun mit der ersten Musicalpremiere im Kraftwerk Mitte ein Stück weit eingelöst. Intendant Wolfgang Schaller und Regisseur Matthias Davids haben sich dazu auf die Suche nach dem Besonderen begeben – und ein bislang in Deutschland kaum gespieltes Werk gefunden, das Leonard Bernstein 1953 als Liebeserklärung an seine Heimat New York komponierte: „Wonderful Town“ erzählt die typisch amerikanische Geschichte der Schwestern Eileen und Ruth, die aus dem provinziellen Ohio in die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten kommen, um ihr Glück zu finden.
Seichte Story, aber famose Musik
Die Liedtexte stammen von Betty Comden und Adolph Green. Das Libretto von Joseph Fields und Jerome Chodorov basiert auf dem Theaterstück „My Sister Eileen“ (1940) sowie auf Erzählungen von Ruth McKenney (1938) – und ist witzig, obwohl inhaltlich gewiss kein großes Ding: Zwei Mädchen stoßen in der Großstadt auf viele Verehrer, ein bisschen Trouble und finden schließlich ein Happy End. Die Musik jedoch, die ist wirklich ganz famos! Denn schon im Vorspiel lässt Bernstein den Rhythmus New Yorks im ganzen Facettenreichtum der Stadt pulsieren. Rasant reihen sich Jazz- und Swing-Sequenzen aneinander, als seien die Klangfetzen aus dem Großstadttrubel direkt in die Partitur geflossen.
New Yorks Facettenreichtum wird hör- und spürbar
Peter Christian Feigel gibt dem Orchester der Staatsoperette Dresden ordentlich Pfeffer. Manchmal vermisst man anfangs sogar ein wenig das Feingefühl. Da dürften mit der Akustik im neuen Saal durchaus noch schönere Abstufungen möglich sein. Und dennoch nimmt einen dieser Bernstein sofort gefangen, eben weil er – anders als andere Musicalkomponisten – nie an der Oberfläche bleibt, weil er mit Ideenreichtum und Originalität das New York der 30er Jahre nicht nur hör-, sondern auch spürbar werden lässt. Viel unbeschwerter als in der berühmten „West Side Story“ spielt er in dieser Partitur mit den Einflüssen des Jazz und macht das Musical so zur großen bunten Party auf der Bühne.
Amerikanischer Traum zwischen Souterrain und Wolkenkratzern
Für Regisseur Matthias Davids stellt sich da gar nicht erst die Frage, die Handlung aus ihrem zeitlichen Kontext herauszulösen. Seine Inszenierung bleibt fest in den 30er Jahren verortet, Kostümbildnerin Judith Peter hüllt die Darsteller in schwingende Glockenkleider, knielange Trenchcoats und zeitlose Anzüge ein. Mathias Fischer-Dieskau hat dazu ein schnell wandelbares Bühnenbild geschaffen, das den amerikanischen Traum irgendwo zwischen der schäbigen Einzimmerwohnung im Souterrain und den von Leuchtreklame beschienenen Wolkenkratzern verortet. Was den beiden Mädchen in New York wiederfährt, ist mehr witzig als ernst zu nehmen. Die schonungslos direkte Ruth will als Autorin Karriere machen und vergrault dabei einen Mann nach dem anderen, während die süße Eileen Schauspielerin werden möchte und am laufenden Band neue Verehrer aufgabelt.
Die New Yorker Welt dreht sich nun um diese beiden Frauen wie ein Karussell. Vom ersten Duett im hellen Souterrainzimmer bis zum flotten Stepptanz im Club „Village Vortex“ am Ende dominieren die Sängerinnen Olivia Delauré und Sarah Schütz das Spiel als pfiffiges Schwesterngespann. Delauré passt nicht nur optisch gut in die Rolle der schönen blonden Eileen. Sie gibt die Partie mit Charme, verleiht der Figur zarte Mädchenhaftigkeit. Mit Sarah Schütz hat die Staatsoperette zudem einen Glücksgriff für die Besetzung der vorlauten Ruth getan. Schütz ist nicht nur stimmlich brillant und facettenreich, sondern sorgt mit Wortwitz, Spielfreude und Showtalent auch für komödiantisch starke Momente. So bleibt nicht nur ihre Theorie der „Hundert gold’nen Tipps, einen Mann zu verlier’n“ als humorvolle Szene in Erinnerung.
Männer müssen sich bei diesem Duo warm anziehen
Die Männer können sich angesichts dieser beiden bezaubernden Damen warm anziehen. Denn im wilden Trubel der Handlung bekommen Sänger wie Bryan Rothfuss (Robert Baker), Jannik Harneit (wechselnde Rollen), Marcus Günzel (Footballspieler u.a.) oder Gerd Wiemer (Chick Clark) oft nur die Gelegenheit für kurze, unterhaltsame Zwischenspiele. Die teils langen Sprechszenen profitieren dabei auch von der neuen Übersetzung des Librettos durch Roman Hinze, in der die Dialoge etwas zugespitzter, der Comedy ausgefeilter ausfallen als in älteren Varianten.
Glamouröser Humor als Alleinstellungsmerkmal
Was trägt, sind neben der starken Präsenz der beiden Hauptdarstellerinnen jedoch vor allem die eingängigen Melodien, die witzigen Gassenhauer und der mitreißende Swing in Bernsteins Musik. Diesen Einfallsreichtum greift Davids in der Inszenierung folgerichtig mit riesigen Ballett- und Chorszenen (Leitung: Thomas Runge) auf. Melissa King hat dazu aufwendige, revueartige Choreografien geschaffen, in denen einmal mehr deutlich wird, wo die Stärken der Staatsoperette im magischen Dreieck zwischen Staatsoper und Boulevardtheatern liegen: In der leichten Unterhaltung mit glamourösen Shows, die Musik, Gesang, Tanz und Humor mitreißend verbinden. Das ist nicht der Broadway, aber ein vielversprechender Auftakt für die neue Ära im Kraftwerk – und der Blick gen New York geht von den Backsteinmauern im Dresdner Zentrum durchaus schon in die richtige Richtung.
„Wonderful Town“, wieder am 28.1., 29.1., 21.2., 22.2., 3.3., 4.3., 5.3.2017