In Tinte getauchte Erinnerung

Persönliches Plädoyer fürs Briefeschreiben

Ein Füllfederhalter, ein paar Zeilen auf Papier, echtem Papier, verziert mit Blumen und Rankenmustern am Rande. In diesen Zeilen spiegelt sich der Grund unseres Herzens wider, viel mehr noch als im Tagebuch. Jeder, der schon einmal einen Liebesbrief geschrieben hat, weiß von dem harten Ringen um die richtigen Worte und kennt dieses befreiende, doch auch von Unsicherheit getragene Gefühl, das mit Vollendung der letzten Zeile aufkeimt. Habe ich zu viel preisgegeben? Habe ich mich vielleicht gar lächerlich gemacht mit der Offenbarung meiner Gefühle? War ich zu direkt, zu verträumt, zu romantisch oder zu verletzend?

Twitter statt Tinte – aber warum eigentlich?

Die eigene Handschrift ist wie ein Fluss, der alles aus unseren Köpfen und Herzen trägt, es sortiert und bannt, festhält für die Nachwelt. Ein Brief ist in Tinte getauchte Erinnerung. Für immer wahr. Und aus diesem Grund hat mich ein Zeitungsbeitrag in der WELT vor ein paar Tagen nachdenklich gestimmt. „Unverzichtbare Kulturtechnik – Warum haben wir je aufgehört, Liebesbriefe zu schreiben?“, heißt es da in der Überschrift – und auch der Rest ist lesenswert. Nachdenkenswert. Mich hat es so bewegt, dass ich es gleich getwittert habe. Getwittert, wohlgemerkt! Statt den Tintenfüller aus dem Schrank zu kramen und das Briefpapier zu suchen: ein Re-Tweet auf maximal 140 Zeichen. Dabei geht es hier nicht um den neusten Klatsch und Tratsch, ebenso wenig um sensible Gefühlsduselei und verklärte Nostalgie, es geht auch und vor allem um Kultur. Kommunikationskultur.

Briefe beschreiben Kulturgeschichte

Was wüssten wir heute etwa über die Beziehung von Robert und Clara Schumann, hätten wir ihre Briefe nicht gelesen? Sie gehören für mich übrigens zu den schönsten Briefwechseln der Musikgeschichte. Goethe, Schiller, Carl Maria von Weber, ja auch Beethoven mit seinem Brief an die „Unsterbliche Geliebte“, sie lassen uns Zeugen werden ihrer Zeit, ihrer Beziehungen, teilen uns auch Jahrhunderte später in diesen Dokumenten ihre innersten Gefühle mit, lassen uns durchs Schlüsselloch schauen, beobachten, wo es sonst heute außer Denkmalen und leeren Wohnstuben gar nichts mehr zu sehen, zu erfahren gäbe.

Der Brief ist ja nicht nur für den Sender, sondern auch für den Empfänger und den späteren Leser von nachhaltigem Wert. Ein psychologischer und zwischenmenschlicher Wert, der im Zeitalter von E-Mails und SMS nun verloren zu gehen droht. Zählen wir einmal nach: Wie viele Liebesbriefe oder Briefe haben unsere Großeltern, haben unsere Eltern – und haben wir im Laufe unseres Lebens schon geschrieben? So richtig von Hand? Die fein säuberlich in Pralinenschachteln sortierten Briefe einer ganz realen Love-Story gehören doch ebenso längst Großmutters Koriositäten-Sammlung an wie Waschbretter, Milchkrüge und Stricknadeln. Sie schlummern irgendwo ganz hinten, tief im Schrank versteckt – während die Fähigkeit des Schreibens (das ja auch ein kognitiver Prozess ist, den man erlernen und einüben muss) bei der Generation der Enkel schlicht verloren geht, weil sie sich mehr und mehr auf Standart-Abkürzungen wie „hdl“ oder „lol“ beschränken.

FasT, als wäre Schrift nie erfunden worden

Handy- und Internet-Technik haben unsere schriftliche Kommunikation minimalisiert und flüchtig werden lassen. Nachrichten löschen sich von selbst oder werden spätestens mit dem nächsten neuen Endgerät mit entsorgt. Das ist beinahe so, als wäre die Schrift nie erfunden worden. Und deswegen soll das hier ein Plädoyer für den Brief sein! Und ja, ich gebe zu, dass ich den letzten, von mir wirklich noch selbst, von Hand geschriebenen Brief vor vielen, vielen Jahren schon abgeschickt habe. Als Kind habe ich dagegen noch regelmäßig mit meiner besten Freundin eine Brieffreundschaft gepflegt, die hat sogar den Beginn des Handyzeitalters noch um einige Jahre überlebt. Als es anfing, da wohnten wir nur wenige Hauseingänge voneinander entfernt. Geschrieben haben wir dennoch, weil wir so besser in Worte fassen konnten, was uns beschäftigte, weil wir uns in räumlicher Distanz und dennoch im Brief ganz intim einander anvertrauen konnten. So wie ich es heute noch ab und zu im Tagebuch mache.

Persönlich und individuell statt weltweit, aber anonym

Ein paar Jahre später habe ich dann tatsächlich auch selbst mal einen Liebesbrief geschrieben – und abgeschickt. Es war nur der eine. Bekommen habe ich selbst bislang noch keinen. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf – und werde mit dem Briefeschreiben wieder beginnen. Weil es schön ist, sich in vielen Zeilen das Herz auszuschütten und nicht auf wenige Zeichen beschränken zu müssen, weil ein einziger Brief an eine bestimmte Person so viel mehr erreichen kann als anonyme Tweets an die virtuelle Weltgemeinschaft – und nicht zuletzt, weil es Freude macht, neben Rechnungen und Werbepost auch etwas von Hand Geschriebenes, Individuelles aus dem Briefkasten zu ziehen. Es lebe also eine Kulturtechnik, die auf keinen Fall aussterben darf! Lasst sie uns wieder zum Leben erwecken!

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Ein Kommentar

  1. Schöner Artikel, vielen Dank! Ich empfinde ähnlich und schreibe manchmal noch gern für mich so mit Tinte und Papier, aber sicher nicht an andere.
    Allerdings sehe ich bei der heute jugendlichen bis jungen Generationen trotz aller Twitter, Snapchat etc. auch Tendenzen, sich schriftlich und ausführlich zu äußern. Zwar nicht mit Tinte und Papier…aber doch verbindlich und nachhaltig. Aus meiner Sicht sind die tausende und abertausenden Blogs ein gutes Beispiel dafür. Und das wiederum lässt mich hoffen 😉

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