Das Große Haus ist mit einem streitbaren „Othello“ wiedereröffnet worden – endlich!
Die Sitze sind neu, die Bühnentechnik modernisiert, die Wände frisch gestrichen – und mit Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung von William Shakespeares „Othello“ (Fotos: PR/Krafft Angerer) weht zudem ein angenehm frischer Regiewind durch die betagten Mauern am Dresdner Schauspielhaus. Immerhin Ahmad Mesgarha ist noch der Alte, wie er da in der Titelrolle des Stücks auf die Bühne tritt – und ganz unerwartet erst mal von sich selbst erzählt. „Er spricht sehr gut Deutsch“, soll ein Rezensent in Klammern zu seiner Kritik über den jungen Mesgarha einst hinzugefügt haben. Anlass dazu gab nur sein fremd klingender Name, so wie man mit dem Namen Czerwinka oft polnischer oder zumindest osteuropäischer Herkunft verdächtigt wird, auch wenn das gar nicht stimmt.
Verdächtig ist auch dieser ungewöhnliche Zugang, der bereits dicke Brocken zum Nachdenken streut und mittels Überraschungseffekt sofort bannt. Ohne Umschweife geht es dann flugs rein ins Stück. Shakespeares Klassiker vom erfolgreichen Feldherren „Othello“, dem Mohr, der die schöne Desdemona geheiratet hat und den Intrigen und Machtspielen der anderen ausgesetzt wird, ist hierzulande jedem Kind bekannt. Vom „englischsprachigen Isländer“ Arnarsson wird sie in Dresden nun in eine schrille, überdrehte Inszenierung verpackt, deren Bühnenbild (Julia Hansen) mit Aufwand nicht geizt und sich schließlich in ein riesiges Schlachtfeld verwandelt.
Am Anfang schaut man zweimal hin: Die Figuren sehen alle samt bunter und exotischer aus als dieser Mohr „Othello“ in seinem schlichten, schwarzen Anzug. Die Damen, bleich geschminkt wie Puppen, balancieren riesige barocke Zuckerwatteberge auf dem Kopf, tragen Strapse unten ihren Reifröcken und stolzieren in mega-Plateau-Pumps über die Bühne (Kostüm: Sunneva Ása Weishappel). Rodrigo (Simon Käser) sieht aus wie der verzauberte Uhren-Diener in Disneys „Die schöne und das Biest“ – er verbündet sich bei einer kleinen Striptease-Einlage treudoof mit Jago gegen „Othello“ und gräbt sich dann nackt wie Maulwurf Buddelflink in einen aufgeschauftelten Sandhaufen ein.
Das bekommt noch eine ganz eigene Komik, als Othellos Leutnant Cassio auf eben diesen Sandberg pinkelt und Rodrigo wie wild geworden auf ihn losgeht. Prügel, minutenlange Rap-Einlagen (Musik: Arnbjörg María Danielsen), nackte Haut, Geschrei und derbe Witze sind an der Tagesordnung. Das ist kein fein verpackter Klassiker für brave Bildungsbürger, sondern deftige Theaterkost in Matschästhetik, laut, schrill und bunt. Nicht unbedingt schön, aber kurzweilig. Und Cassio steht dafür Pate. Alexander Angeletta zeigt den gechassten Leutnant als unentschlossene, ständig betrunkene und genusssüchtige Person. Kein Held, sondern ein ganz normaler Mensch, aber das durchaus mit Shakespeare‘schem Humor: Selbst in der Pause torkelt er durchs Foyer und nippt an den Weingläsern junger Damen.
So sind sie, die Männer in diesem Stück: schräge Vögel, die Frauen dagegen blasse Gestalten. Lucie Emons ist der Schatten einer Emilie mit zaghafter Stimme. Katharina Lütten lässt jegliche Stärke und Anmut der Desdemona vermissen und rührt allenfalls am Ende, wenn sie sich verzweifelt heulend in das Schicksal der zu Unrecht der Untreue beschuldigten Ehefrau fügt, fügen muss. Paula Skorupa hat als rothaarige Dirne Bianca ohnehin zu wenig Raum, sich darstellerisch auszuleben. So wirken die Damen eher wie marionettenhafte Maskenmädchen. Man denke daran, wir befinden uns in Venedig!
Und während Othello eher passiv bleibt, zwar innig liebt, besonnen kämpft, dabei aber doch nur auf einmal Geschehenes reagiert, beherrscht sein Kontrahent Jago die Szene sprichwörtlich vom ersten Moment an. Der, der nicht ist, was er scheint, zeigt wie ein böses Spiegelbild, dass der Schein eines farbigen Hautbilds oder exotischen Namens eben nicht zwangsläufig auf das (vermeintlich fremde oder gar böse) Sein dahinter schließen lässt. Daniel Sträßer brilliert als Jago. Er zeigt ihn als humorvollen Lebemann, so einer dieser Kerle, die einen sofort mit ihrer offenen, witzigen Art gefangen nehmen, wenn man ihnen abends in einer Bar begegnen würde. Lebendig, allzu authentisch ist dieser Jago, den Sträßer immer wieder gewitzt aus seiner Rolle heraus- und ins Publikum hineintreten lässt. „Ich suche jemanden, dem ich vertrauen kann heute Abend“, sagt er und vertraut Desdemonas Taschentuch einer jungen Frau im Parkett an. Tja. „Gut wärs, wenn Menschen wären, so wie sie scheinen“, sagt Othello viel später und durchschaut gerade Jagos Schein dabei eben nicht. Jagos Charme, seinem geschickten Spiel jedenfalls gehen alle auf den Leim: Erst das Publikum, dann Rodrigo, Cassio, Desdemona, schließlich Othello.
Was wäre nun, würde Jago die Fäden einfach anders ziehen, statt Misstrauen, Verständnis säen, fragt man sich unwillkürlich, während er singend am Flügel sitzt und auf die Verwüstung um sich hinab blickt. Dann fährt die Bühne fauchend nach unten. Chaos. Tod. Ruhe. Ende. Nicht schön, aber unterhaltsam – und laut, schrill, streitbar. Aufatmen. Das hat man lange vermisst an diesem Haus: nicht schön, aber streitbar. Auch gut daran zu erkennen, dass der Applaus der Dresdner zur zweiten Aufführung eher verhalten bleibt. Genau das aber ist vielleicht das größte Kompliment für diesen gar nicht langweiligen Shakespeare-Abend, über den man auch gern auf dem Heimweg noch ein bisschen diskutieren mag.
Shakespeares „Othello“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 9.11., 18.11., 25.11., 1.12., 13.12., 21.12.2016 und 26.1.2017