Ein großer Dresdner Kopf

Warum Erich Kästner unterschätzt wird

Erich Kästner gehört zu den wichtigsten Dresdner Schriftstellern – und ist doch (außer am Albertplatz) kaum in der Stadt präsent. Heute würde Kästner seinen 116. Geburtstag feiern. Allerhöchste Zeit, einen genaueren Blick auf die Biografie des Autors zu werfen, der den meisten wohl vor allem dank seiner Kinderbücher im Gedächtnis geblieben ist.

Und das ist verständlich, denn Titel wie „Das doppelte Lottchen“ (1949), „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933) oder „Emil und die Detektive“ (1929) haben schließlich in fast jedem gutbürgerlichen Kinderzimmer einen Platz im Bücherregal gefunden. Kästner schrieb seine tiefsinnigen Geschichten mit warmherzigem Humor und einer großen Portion Sprachwitz. Viele seiner Erzählungen sind mehrfach verfilmt worden – auch mir sind „Das doppelte Lottchen – Charlie und Louise“ (1994) oder „Pünktchen und Anton“ (1999) noch als wunderbare Kinostunden meiner Kindheit in Erinnerung. Für viele Erstverfilmungen seiner Werke schrieb Kästner sogar selbst das Drehbuch.

Aufs Kinderbuch kam er 1928 durch die Berliner Verlegerin Edith Jacobsohn. Und hätte der Autor damals gewusst, dass ausgerechnet die Kinderliteratur später sein schriftstellerisches Erbe prägen würde, wer weiß, ob er jemals die Feder angesetzt hätte. Denn zu diesem Zeitpunkt war Kästner in der Weimarer Republik bereits ein erfolgreicher – wenn auch nicht unumstrittener – Journalist und Satiriker. Nach dem Studium in Leipzig zog er nach Berlin und scharte dort bald einen stattlichen Kreis bekannter Schriftsteller und Verleger um sich. Kästner war ein Lebemann, der gerne rauchte, sich niemals gern an nur eine Frau band, und seine Umgebung stets mit kritischem Auge betrachtete, um sie später mit sympathischer Spitzfindigkeit in seinen Gedichten, Theaterstücken und Essays durch den Kakao zu (er)ziehen.

„Fabian“ als Kästners Alter Ego

Ein schönes Zeugnis dieser wilden Berliner Jahre, aber auch seiner Weltanschauung, ist sein Roman „Fabian. Geschichte eines Moralisten“ (1931), der bis vor Kurzem noch als Theaterstück am Kleinen Haus in Dresden zu sehen war. Kästner, der ursprünglich Lehrer werden wollte und lebenslang eine überaus enge Beziehung zu seiner Mutter in Dresden hatte, ähnelt diesem „Moralisten“ auffällig. Er schrieb, weil er seine Mitmenschen belehren, vom Guten überzeugen wollte – und musste nicht erst mit Beginn des Zweiten Weltkrieges einsehen, dass dies doch eigentlich unmöglich ist. Versucht hat er es dennoch immer wieder, mit ehrlich spitzer Feder und in leicht verständlicher Sprache, auch in seinen Kinderbüchern.

Die „bessere Welt“ jedoch konnte er allenfalls in seinen Geschichten heraufbeschwören, den Zweiten Weltkrieg natürlich nicht verhindern. Beachtlich ist allerdings, dass Kästner in der NS-Zeit nicht in die Emigration flüchten wollte, obwohl er zu den Verbotenen gehörte. Im Mai 1933 sieht er als einziger Verbliebener in Berlin auf dem Opernplatz der öffentlichen Bücherverbrennung zu. Fassungslos blickt er ins Feuer. Da sind alle anderen 23 Kollegen, deren Werke hier neben denen von Kästner brennen, längst außer Landes. Kästner bleibt und das obwohl ihm das Schreibverbot nur die Veröffentlichung von seichten Geschichten, wie „Drei Männer im Schnee“ (1934, verfilmt 1955), unter Pseudonym und vor allem im Ausland gestattet.

Chronistenpflicht im Krieg trotzt Verbot

Das dürfte zwar so gar nicht im Sinne von Kästner gewesen sein, jedoch bleibt der verfolgte Autor so im Heimatland seinem Chronistenideal treu. Seine große Abrechnung mit dem Nazi-Regime schreibt Kästner jedoch nie. Erst im Februar 1945, nach dem Angriff auf Berlin, muss der Autor dann doch weg. Ein Filmdreh im Zillertal bietet ihm eine halblegale Möglichkeit, das Land zu verlassen. Hier bleibt er, bis er nach der Teilung Deutschlands in Besatzungszonen schließlich nach München zieht, wo er bis zu seinem Tod 1974 leben wird. In München gründet er mit Eberhard Schmidt das Kabarett „Die Schaubude“, beginnt bald darauf wieder in einer Zeitungsredaktion zu arbeiten – als Leiter des Feuilletons der Münchner „Neuen Zeitung“. Nebenbei schreibt Kästner wieder Gedichte, Theaterstücke und Bücher. Noch weniger als zuvor verhehlt er in seinen Schriften dabei seine Enttäuschung über die ewige Dummheit der Menschen, die scheinbar nicht fähig seien, aus Geschichte zu lernen.

Schon früh kritisiert er ein gewisses „Zonendeutschtum“ in seinem Land, lehnt sich nach wie vor in bittersüßer Satire gegen die erneute Aufrüstung und den Kalten Krieg auf. Kästner schreibt wieder, wie früher beim Studium in Leipzig, in Kaffeehäusern bei einem Glas Whiskey und vielen Zigaretten. Wenn man sich ein bisschen mit dem Leben von Erich Kästner beschäftigt hat und fest die Augen zumacht, dann kann man ihn fast vor sich sehen: An einem kleinen Kaffeehaustisch, tippend auf seiner Reiseschreibmaschine, wie Kästner mit klappernden Buchstaben gegen Krieg, Nationalismus, Borniertheit und Spießertum kämpft. Er wurde vor 116 Jahren in Dresden geboren – und sollte nicht nur hier und nicht nur von den Kindern gerade jetzt noch viel, viel öfter gelesen werden.

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