Goethes kranke Gesellschaft

„Faust I“ am Staatsschauspiel – eine Kritik

Es war ein Experiment: Der schwedische Regisseur Linus Tunström inszeniert Goethes „Faust, der Tragödie erster Teil“ am Staatsschauspiel Dresden – und kürzt das allerheiligste Stück der deutschen Theaterliteratur dabei auch noch auf eine zweistündige Version ohne Pause zusammen. Die meisten Nebenfiguren fallen in seiner Inszenierung raus, ebenso wie die Zueignung und das Vorspiel auf dem Theater. Das Ganze beginnt im Krankenhaus statt in der Studierstube.

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Fade Endzeitlethargie

Drei Schwestern Staatsschauspiel Dresden
Drei Schwestern an einem langen Tisch der Langeweile …

Tschechows „Drei Schwestern“ am Schauspielhaus

„In Moskau blüht Anfang Mai alles.“ – In Moskau, da ist sowieso alles besser als in der russischen Provinz. Das ist auch der Grund, warum es Anton Tschechows „Drei Schwestern“ (1901) nach Moskau drängt. Doch Olga, Mascha und Irina kommen dennoch nie dort an. Hausregisseur Tilmann Köhler inszeniert diesen Klassiker, der 1901 – vier Jahre vor der Russischen Revolution – seine Uraufführung feierte, nun für das Staatsschauspiel in Dresden. Es ist ein zeitloses Stück, das von der Lethargie des unmittelbar bevorstehenden Untergangs erzählt – widergespielt in den Charakteren der Figuren, die wiederum nur von sich selbst reden, anstatt mit anderen in Dialog zu treten.

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Verteufelt amüsant

Der Teufel mit den Titten St. Pauli Ruine Dresden
Teuflische Komödie in der St. Pauli Ruine …

St. Pauli Ruine spielt „Der Teufel mit den Titten“

Kaum etwas ist so lästig, so hinderlich und so unglaublich trist wie die Tugend. Dies dachte sich auch der Oberteufel Francipante beim ehrenhaften Richter Alfonso de Tristano – die sprichwörtliche Inkarnation von Nomen est Omen – und beschließt ihn zu verderben. Der Richter, welcher sich als einzig standhafte Kraft in seiner Stadt gegen korrupte Politiker, bestechliche Inquisitoren und dubiose Machenschaften der Mächtigen zu wehren versucht, soll mit einem teuflischen Zäpfchen – denn das ist die beste Öffnung, die es gibt: der Arsch – vom rechten Weg abgebracht werden.

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Fulminanter Start mit Wagner und Strauss

Musikfestspiel-Auftakt mit der Staatskapelle Berlin

Die Dresdner Musikfestspiele 2014 sind eröffnet. Zum Auftakt gab die Staatskapelle Berlin (Foto: PR/Holger Kettner) am Freitagabend (23.5.) ein furioses Konzert in Semperoper. Auf dem Programm zum Start für den 37. Festspieljahrgang standen, noch fern vom diesjährigen Motto „Goldene Zwanziger“, zunächst drei wegweisende Werke der beiden just jubilierenden Stadtkinder, Richard Wagner (1813-1883) und Richard Strauss (1864-1949).

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Elektrisierende „Elektra“

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Furiose Eröffnung des Strauss-Jahres an der Semperoper

Das Strauss-Jahr ist eröffnet! Mit einer Premiere, die dresdnerischer kaum sein könnte. Einer selten umjubelten Premiere. Richard Strauss’ Oper „Elektra“ auf das Libretto von Hugo von Hofmannsthal feierte anno 1909 in der Semperoper umstrittene Uraufführung und ward nun in der Regie von Barbara Frey an gleicher Stelle zu neuem Leben erweckt.

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Humorvolles Weihnachts-Chaos

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„Hilfe, die Herdmanns kommen!“ am tjg

Die Herdmanns sind lotterig, rotzig, einfach unzähmbar. Die Sprösslinge dieser ungeliebten Familie kennen schließlich nicht einmal die Weihnachtsgeschichte. Wie um Himmels Willen soll denn das traditionelle Krippenspiel ablaufen, wenn die schlimmste Familie in der Kleinstadt nun auch hier die Hauptrollen an sich reißt? Das Theater junge Generation beschert mit dem turbulenten Werk „Hilfe, die Herdmanns kommen“ von Barbara Robinson (übersetzt u. bearbeitet von Nele und Paul Maar) einen vorweihnachtlichen Theaterspaß mit Pfiff. Regisseur Taki Papaconstantinou inszeniert das humorvolle Familienstück so schwungvoll, dass man nach knapp zwei Stunden Aufführungszeit am liebsten sitzen bleiben und weiterschauen möchte.

Von Anfang an fesseln die „Herdmanns“ die großen wie kleinen Zuschauer hier mit Musik, Witz und einer rasanten Erzählweise. Auf der mit nackten Weihnachtsbäumen bestückten Bühne (Ulrike Kunze) zeigt sich die gesamte Bandbreite kleinstädtischer Spießigkeit: Die Schauplätze wechseln vom elterlichen Wohnzimmer mit Couch, Teeküche und Christbaum, in vorweihnachtliche Straßen mit Bettlern, Musikern und Baumverkaufsstand, bis ins warme, sonst Herdmann-freie, Kirchenschiff. In selbigem laufen die Proben für das Krippenspiel dieses Mal etwas turbulenter ab als sonst. Doch Mutter Barbara (Susan Weilandt) hat sich ehrgeizig vorgenommen, in Vertretung einer kranken Nachbarin das beste Krippenspiel aller Zeiten zu inszenieren.

Gar nicht so einfach, denn die Herdmanns schleichen, springen und schlurfen als düstere Punkbande (Foto: PR/Klaus Gigga) durch die Szene. Sie sind gefürchtet bei den Kindern der Stadt, rücksichtslos und brutal. Doch während der Proben verblüffen sie plötzlich mit ihrer anarchischen und tiefsinnigen Interpretation der Weihnachtsgeschichte. Dass diese am Ende nicht nur im Stück im Stück, sondern auch ganz real im Theatersaal zum Erfolg wird, mag einerseits der Vorlage voller Wortwitz und Ironie zu verdanken sein. Papaconstantinou würzt diese zudem mit reichlich  amerikanischen Weihnachtsschlagern (Musik: Bernd Sikora, Stefan Bormann), zart gestreuten Sitcom-Elementen und einem starken Schauspielensemble.

Seine Inszenierung besitzt schlichtweg Pep, besticht durch detailreiche Bilder und schafft mit der liebevollen Gestaltung mühelos Weihnachtsatmosphäre. Besonders Susan Weilandt (als Mutter), Eric Brünner (als Vater) und Marc Simon Delfs (als Sohn) sowie die drei Herdmanns (Nadine Boske, Charles Ndong und Marja Hofmann) überzeugen dabei von der ersten bis zu letzten Minute mit ihrem humorvollen Spiel. Allein die amerikanischen Weihnachtslieder scheinen sich nicht so recht auf der Dresdner Bühne einzufügen und könnten bei dem einen oder anderen für Ernüchterung sorgen.

Zur Vorstellung am vergangenen Sonnabend (14.12.) schien das jedoch nicht der Fall zu sein. Der tobende Schlussapplaus inklusive lauter Bravo-Rufe hielt auch der Gesangszugabe stand – und vor allem das kleine Publikum zeigte sich dabei genauso fröhlich ausdauernd wie in der Vorstellung.

Nicole Czerwinka

„Hilfe, die Herdmanns kommen“, am Theater junge Generation, wieder am 16.12., 12 Uhr; 17.12., 18.12. und 19.12., je 9 Uhr und 12 Uhr; 20.12., 10 Uhr; 21.12., 16 Uhr; 22.12., 11 Uhr und 16 Uhr; 23.12., 11 Uhr; 26.12., 27.12., je 16 Uhr

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DDR-Untergang als Dresden-Saga

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Herbstauslese: „Der Turm“

Herbstzeit ist auch Lesezeit. Unter dem Motto „Herbstauslese“ startet auf elbmargarita.de eine neue Serie, in der wir ausgewählte Romane und Erzählungen rezensieren, die in Dresden spielen. Heute: Uwe Tellkamp: „Der Turm“

Viel ist über Uwe Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ (2008) schon gesagt und geschrieben wurden. Schließlich erhielt der 1968 in Dresden geborene Autor für sein knapp 1000 Seiten umfassendes Werk über die Wende den Deutschen Buchpreis sowie den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Herbst 2010 eroberte eine Theaterfassung (von Jens Groß und Armin Petras) des Romans die Bühne des Dresdner Schauspielhauses, bevor im vergangenen Jahr die zweiteilige Romanverfilmung in der Regie von Christian Schwochow erstmals über die Fernsehbildschirme flimmerte – und noch einmal rund 7,5 Millionen Zuschauer erreichte.

Im Mittelpunkt der als Familiensaga entworfenen Handlung steht die Figur des Christian Hoffmann, aufgewachsen in einem engen Zirkel von Bildungsbürgern in einer verfallenen Villa auf dem Weißen Hirsch – im Roman das „Turmviertel“. Sein Vater, Richard Hoffmann, ist Chirurg an der Medizinischen Akademie Dresden mit geheimen Doppelleben. Der Onkel, Meno Rohde, arbeitet als Lektor in einem renommierten Verlag und prägt das Geistesleben des jungen Protagonisten sehr. Zugespitzt auf diese drei Personen und deren Umfeld erzählt Tellkamp die letzten sieben Jahre der DDR und stellt die Deutsche Wende so inmitten dieser besonderen Dresdner „Turmgesellschaft“ dar.

Den teils ausschweifenden, jedoch nicht bloß idyllischen, Dresden-Beschreibungen sind im Roman die schweren, düsteren Jahre Christian Hoffmanns bei der Nationalen Volksarmee gegenübergestellt. Nach dem Unfalltod eines Kameraden handelt sich Christian durch Äußerungen gegenüber seinen Vorgesetzten einen Aufenthalt im Militärgefängnis Schwedt ein. So entwirft Tellkamp mit seinem Roman nicht nur ein detailliertes Wende-Panorama anhand dieser Familiengeschichte, sondern mythifiziert gleichzeitig den Weißen Hirsch als nahezu geheimen Ort, der alte Werte für eine neue Zeit bewahrt.

Voller Motive, Anspielungen und immer wieder von den verschlungenen Tagebuchaufzeichnungen des Meno Rohde unterbrochen, gehört „Der Turm“ zwar zweifelsohne zu den wenigen großen Dresden-Romanen der Literaturgeschichte, fordert seinen Leser allerdings mit ausschweifenden Beschreibungen, einer Vielzahl von Handlungssträngen und einer zum Ende hin immer rasanteren Erzählweise, die teils in surrealistisch anmutende Szenen mündet, auch arg heraus. So verwundert es wohl kaum, dass viele Dresdner dieses Werk zwar im Bücherregal stehen, es jedoch niemals bis zum Ende durchgelesen haben – und lieber auf Theateraufführungen oder Filme zurückgreifen, obwohl doch gerade der Dresden-Komplex sowohl auf der Bühne als auch im Film stets zu kurz kam.

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Kriminalistische Hetzjagd ums Gewölbe

Herbstauslese: „Der Dieb von Dresden“

Herbstzeit ist auch Lesezeit. Unter dem Motto „Herbstauslese“ startet auf elbmargarita.de eine neue Serie, in der wir ausgewählte Romane und Erzählungen rezensieren, die in Dresden spielen. Heute: Ralf Günther. „Der Dieb von Dresden“

Ein unerhörter Mord erschüttert die Dresdner Innenstadt. Maximilian Lenzen, der Stellevertreter des Direktors der Kunstsammlung im Grünen Gewölbe (Hofrat von Block) wird mit einer heißen Schokolade vergiftet. Schnell gerät von Block, der sich zur Auffrischung seiner privaten Edelstein- und Kuriositäten-Sammlung heimlich auch aus den Schätzen des Hofes bediente, unter Verdacht. Die Figur des von Block und seiner kuriosen Sammelleidenschaft ist ebenso historisch verbürgt, wie die des Musikers und Schriftstellers E.T.A. Hoffmann, der Blocks Tochter Ariane im Roman nicht nur Klavierunterricht gibt, sondern auch bei der Aufklärung des Verbrechens behilflich ist.

Der gebürtige Kölner Ralf Günther hat mit „Der Dieb von Dresden“ 2009 erstmals seine Wahlheimat Dresden in den Mittelpunkt einer historischen Romanhandlung gestellt. Schon ein Jahr später folgte mit „Der Leibarzt“ (2010) das zweite, und 2013 mit „Die Türkische Mätresse“ sein drittes Werk mit Dresden-Bezug. Die Figur des Hofrats von Block, dem „Dieb von Dresden“, geht auf den Baron Peter Ludwig von Block, den ersten Inspektor des Grünen Gewölbes zurück. Dieser ließ tatsächlich einst große Edelsteine aus Juwelen-Garnituren der Schatzkammer gegen kleine Steine austauschen und versetzte die anderen im Pfandhaus. 1816 wurde sein Vergehen entdeckt.

Den historischen Hintergrund der Romanhandlung zeichnen jene Tage im Jahr 1813, in denen Napoleon geschlagen aus Russland zurückkehrt, um in der Dresdner Gegend seine letzten Gefechte auszutragen. Es ist eine Zeit, in der die Neuverteilung der Macht bereits wie ein Damoklesschwert über dem Land schwebt und geheimdiplomatische Ränkespiele auch über das gesellschaftliche Hofparkett in der sächsischen Residenz ziehen.

Sorgsam recherchiert und verständlich aufgearbeitet, verwebt Ralf Günther historische Fakten mit seiner kriminalistisch angehauchten Romanhandlung um den diebischen Hofrat von Block. Das Gesamtkonzept des Romans ist klug konstruiert, ihm fehlt es allerdings über weite Strecken am roten Faden und damit auch an Spannung. Die Figuren von Block, Hoffmann und Ariane erscheinen als gleichberechtigte Hauptfiguren, was teilweise verwirrt und den Lesefluss etwas lähmt.

Trotz der gelungenen Atmosphäre, die Günther in seinen Stadtbeschreibungen immer wieder schafft, wirken einige Faktoren dabei ein wenig aufgesetzt. Die Figur E.T.A. Hoffmans etwa scheint eher ein Alibi für den prominent besuchten Dresdner Hof der Zeit zu sein. Die wahre Biografie des hier einerseits als labilen Trinker, andererseits als hilfreichen Klavierlehrer dargestellten Schriftstellers ist dabei für die Handlung des Romans – anders als bei von Block – jedoch kaum von Belang.

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Fernsehturm ohne Geheimgesellschaft

Tellkamp-Buch: Vom Roman zum ARD-Zweiteiler

Mit furioser Eigenwerbung der öffentlich-rechtlichen Sender angekündigt, flimmerte der lang erwartete Zweiteiler zu Uwe Tellkamps Dresden-Roman „Der Turm“ (2008) am Tag der Einheit und dem Nacheinheitstag über die deutschen Bildschirme. Die Einschaltquoten von rund 7,5 Millionen (Marktanteil 21 Prozent) für den ersten und 6,3 Millionen (Marktanteil 19,7 Prozent) für den zweiten Teil rechtfertigen wohl auch für den Film die Bezeichnung als Bestseller.

Wie im Roman führt Regisseur Christian Schwochow die Zuschauer dabei zunächst per Standseilbahnfahrt hinauf in jenes Dresdner Viertel, das Tellkamp in seinem Roman zum gutbürgerlich abgegrenzten „Turm“ (Foto: N. Czerwinka) stilisiert. Mit flotten Schnitten haben die Filmemacher die Handlung des Wälzers auf zwei abendfüllende Filmeteile zusammengerafft, ohne die Vorlage dabei zu verhunzen. Die Abweichungen von der Romanhandlung sind nur gering und die paar eingefügten Szenen wirken eher erklärend, als störend. So wähnt sich Deutschlands Fernsehpublikum nach den gut 180 Filmminuten wohl glücklich, dass es sich die Lektüre der fast 1000 sprachlich teils zäh mäandernden Buchseiten über den DDR-Alltag in Dresdens Nobelviertel dank gesamtdeutschem Bildungsfernsehen nun ersparen konnte. Der Film erfüllt damit genau jene Hoffnung, die vor fast genau zwei Jahren bereits die gleichnamige Theaterinszenierung am Staatsschauspiel Dresden weckte – die mittels Schauspiel jedoch Lektüre nicht gänzlich ersetzen konnte, was Dresden und seine Gäste wiederum enttäuschte.

Der Handlungsort Dresden und sein Hirsch-Viertel aber – und das ist der eben große Unterschied zum Buch – spielen im Film allenfalls eine periphere Rolle. Die besagte Standseilbahnfahrt, ein Spaziergang auf den Straßen, eine Villa. Das ist neben den immer wieder eingeblendeten Panoramabildern auch schon alles, was von der Stadt im Film gezeigt wird. Im Gegensatz zum eigentlichen „Turm“ bekommt hier vielmehr das bei Tellkamp gegenüber angelegte (fiktive) „Bonzenviertel“ Ostrom mit roten Fahnen und Peter Sodann (als Barsano) ein Film-Gesicht. So rückt der sozialistische Staatsapparat vor einer Art türmerischer Geheimgesellschaft auf dem Bildschirm über weite Strecken in den Vordergrund.

Denn anders als im Roman steigen die Figuren in Thomas Kirchners Drehbuch von Anfang an von diesem Turm hinunter. Zwar sind die Hoffmanns, Rohdes und Tietzes (der Film wirft für Buchunkundige blitzschnell mit unzähligen Namen um sich) ebenfalls Intellektuelle und Ärzte, jedoch hat der Nischencharakter von Tellkamps „Turmgesellschaft“ (die es übrigens auch schon bei Goethe gab) auf dem Hirsch über den Dächern von Dresden im Film-„Turm“ kaum noch Bedeutung. Im Gegenteil: Die im Buch so bildhaft beschriebene Hermetik des Stadtviertels wird bei Schwachow zugunsten der Handlung und präziser Charakterdarstellungen (zumindest der Hauptpersonen) zurückgedrängt. Auch die Tellkamp‘sche Walpurgisnacht, in der sich Turmgesellschaft und Oströmer am Ende des Romans rauschhaft begegnen, wird eliminiert. Die bröckelige Umgebung der mit Antiquitäten und Kunst vollgestopften Villenstuben ist damit nur mehr Kulisse für das nackte Handlungsgerüst. Und dass dieses auf den heimischen Bildschirmen auch ohne den literarischen Schnickschnack drum herum funktioniert, ist wohl vor allem der Verdienst der grandiosen Darsteller sowie eines ausgefeilten Gestaltungskonzeptes, das immerhin Raum für kleine Anspielungen auf einige der literarischen Leitmotive der Romanvorlage (etwa Umweltverschmutzung und Naturbilder) lässt. Was man freilich nur dann erkennt, wenn man sie denn gelesen hat.

Das ist für Dresden und die (Primetime ARD-) Fernsehzuschauer, auch für Buchleser und offenbar sogar für den Autor selbst zu verschmerzen. Denn letztlich wirft der Film ja nur eine andere Perspektive auf das Buch, eine Perspektive, die der Roman aber durchaus in sich selbst widerspiegelt – obwohl man sich bei manch schnellem Szenenwechsel doch fragt, ob Nicht-Roman-Kenner alle Handlungsstränge noch nachvollziehen können. Was allein an dieser Perspektive stört, ist nicht dem Film und schon gar nicht dem detailreichen Roman geschuldet. Es ist allein der Anspruch, der in allen Ankündigungsinterviews und Filmvorschauen – sie sind bis heute in einer umfassenden Mediathek im Internet nachzulesen – an diesen Stoff gestellt wird. Zwischen den Zeilen nämlich erweckt dieses öffentlich-rechtliche Bonusmaterial einmal mehr den Eindruck, Tellkamps buchpreisgekröntes Werk solle nun, 22 Jahre nach der Wende, einem Massenpublikum via Filmabend vor der Flimmerkiste dazu verhelfen, die DDR und ihren Alltag posthum zu verstehen, ohne ihn dabei zu gleich wieder zu verklären. Dafür gab es auch schon andere, hochgelobte Beispiele. Erfüllt wurde diese Erwartung aber dennoch nie. Wer den „Turm“ allerdings ohne die Sehnsucht nach derlei historischen Erklärungen sieht, wird in ihm nicht nur eine geglückte Romanzusammenfassung, sondern auch einen packenden Film, eben eine „Geschichte aus einem längst versunkenen Land“ entdecken.

Nicole Czerwinka

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