Elektrisierende „Elektra“

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Furiose Eröffnung des Strauss-Jahres an der Semperoper

Das Strauss-Jahr ist eröffnet! Mit einer Premiere, die dresdnerischer kaum sein könnte. Einer selten umjubelten Premiere. Richard Strauss’ Oper „Elektra“ auf das Libretto von Hugo von Hofmannsthal feierte anno 1909 in der Semperoper umstrittene Uraufführung und ward nun in der Regie von Barbara Frey an gleicher Stelle zu neuem Leben erweckt. Am Pult der Staatskapelle steht dabei deren Chefdirigent Christian Thielemann, der sein Faible für Strauss mit gewohnter musikalischer Präzision hörbar macht. In der Hauptrolle singt Evelyn Herlitzius, 1997 bis 2000 festes Ensemblemitglied an der Semperoper, und das Dresdner Urgestein René Pape als Orest.

Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Ist es auch nicht. Am Ende der knapp zweistündigen Vorstellung feierte das Publikum eine viertel Stunde lang mit stehenden Ovationen ein überaus mitreißendes Ensemble und eine zurückgenommene Inszenierung, die Strauss’ empfindungsreicher Tonsprache mehr als genug Raum zur Entfaltung bot. Denn ein großer, etwas desolat scheinender, holzvertäfelter Raum ist alles, was Muriel Gerstner als Bühnenbild liefert. Da ist kein Platz für Schnickschnack, für aufwendige Drehkonstruktionen oder bunte Videoinstallationen. Alles bleibt schön schlicht, kleine Andeutungen an Raum und Zeit werden allenfalls durch Licht (Gérard Cleven) und Kostüme (Bettina Walter) geschaffen. Doch eigentlich nicht mal das.

Schließlich geht es in „Elektra“ ums Innerste, um schwere psychische Zerrissenheit, die in Strauss’ Musik ekstatisch nach Außen drängt. Eine zerrüttete Familie, unheilbare Traumen und Träume, die die Figuren wie Gespenster durch die Nacht verfolgen. Elektra steigert sich bis ins Selbstvergessen in ihr Ziel, den Mord an ihrem Vater – von Mutter Klytämnestra (Waltraud Meier) und deren Geliebten Aegisth (Frank van Aken) begangen – zu sühnen. Sie hofft und erfleht Hilfe von ihrem Bruder Orest, der ursprünglich totgeglaubt, dann doch auftaucht und die grausame Rachetat vollzieht. Die einzige halbwegs Ungeschundene in dieser verheerenden Konstellation scheint Elektras Schwester Chrysothemis (Anne Schwanewilms), die noch voller Innbrunst von einer Hochzeit mit einem Bauern und vielen Kindern träumen kann.

Tatsächlich aber lebt diese Inszenierung vor allem von der unschlagbaren Bühnenpräsenz von Evelyn Herlitzius (Foto: PR/Matthias Creutziger). Sie transportiert den Wahnsinn der Elektra mit packender Stimmgewalt, meist in verkrampfter Pose, mal verzweifelt flehend, dann wahnhaft aufbegehrend in den Saal. In ihrem wild zerrupften Kleid und mit zerzausten Haaren ist sie der Mittelpunkt des Abends, gibt stimmlich wie darstellerisch spürbar alles, sodass der Funke beim Publikum schon in den ersten Minuten sofort überspringt. Anne Schwanewilms gibt als Chrysothemis die brillante Gegenfigur zur traumatisierten Elektra. Im roten Kleid träumt sie von einem glückvollen Leben, kann sich in der zerklüfteten Brautrobe am Ende aber dann doch nicht der Zerstörung der Familie entziehen.

Beider Bruder Orest ist es, der das Grauen mit dem Mord an Mutter Klytämnestra schließlich perfekt macht. René Pape besticht in dieser Partie mit seinem sonoren Bass und ungeheurer Präsenz. Kaum betritt er die Bühne, sind auch schon alle Augen (vor allem aber die Ohren) auf ihn gerichtet. Die Zeit scheint stillzustehen, bevor das Orchester einmal mehr mit voluminösem, aber auch düsterem Sound anhebt. Die Musik zieht einen wie magisch in einen Sog, in dem Kulisse und Gesichter bald unbedeutend werden. Auf faszinierende Weise gelingt es Thielemann, über knapp zwei Stunden eine Spannung aufzubauen, die durch die Abgründe dieses Seelenthrillers führt, eine Berg- und Talfahrt durch zwiebelnde, sirrende wie schwelgerische Passagen. Bis hin zum trostlosen, aber dafür umso packenderen Schlussakkord. Die ganz große Oper – mit Richard Strauss ist sie in dieser Premiere nach Dresden zurückgekehrt.

Einziges Manko der Inszenierung: Sie ist allein von der Musik und dem außerordentlichen Können des Ensembles abhängig, verlässt sich auf diese Ausnahmetalente und könnte schon mit etwas weniger Können auf der Bühne schnell langweilig werden.

Nicole Czerwinka

Richard Strauss? „Elektra“ an der Semperoper, wieder am 22.1., 25.1., 31.1., 22.6., 19 Uhr und 29.6., 18 Uhr

 

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