Wie Drei kreative Köpfe Dresden von seiner lesenswerten Seite zeigen
Seit 2016 gibt es mit „Stadtluft“ ein innovatives Bookzin über Dresden. Was sich hinter diesem bunten Wortspiel verbirgt, erzählt Mitherausgeber Amac Garbe, von dem auch die wunderbaren Bilder zu diesem Beitrag stammen.
Du bist einer der drei Mitherausgeber und alleiniger Fotograf des Bookzins „Stadtluft Dresden“. Erzähle uns kurz, was Dich mit der Stadt verbindet!
Neben mir mit im Bunde ist Thomas Walther, der als Chef von Ö Grafik für die grafische Umsetzung zuständig ist und Peter Ufer, der als Journalist und Autor für seine Texte und das Lektorat zuständig ist. Ich bin der Jüngste von uns dreien. Ich bin hier 1979 als Sohn einer Dresdnerin und eines Chilenen geboren, in der Neustadt aufgewachsen und nach einem Jahrzehnt kompletter Abwesenheit im fernen Baden-Württemberg, wo ich mein journalistisches Handwerk gelernt habe, bin ich 2005 wieder zurückgekehrt an die Elbe. Hier sind meine beiden Söhne geboren, hier ist mein Lebensmittelpunkt – trotz oder gerade aufgrund meiner vielen Fotoeinsätze quer durch ganz Deutschland. Mich verbindet viel mit dieser romantischen Idylle, die mich als Kind auch durch die beiden Dresdner Maler Ludwig Richter und Caspar David Friedrich ziemlich geprägt hat. Wirklich zu schätzen weiß ich das optische Stadtidyll allerdings erst seit meiner Rückkehr und seit ich in Dresdner Zusammenhänge durch meinen Beruf als Pressefotograf bessere Einblicke haben kann.
Wozu braucht Dresden denn noch ein Stadtmagazin?
„Stadtluft Dresden“ ist kein Stadtmagazin. „Stadtluft Dresden“ ist ein magazinig gestaltetes Buch, ein Bookzin, eine Neuerfindung für den gesamtdeutschen Büchermarkt. Wir erscheinen auch nur einmal im Jahr – zum Jahresende. Wir verzichten bewusst auf Touristik, gekaufte Werbetexte und Veranstaltungstipps. Anders als es ein Stadtmagazin kann, befassen wir uns jedes Jahr auf 150 Seiten in ausführlichen Reportagen, Porträts, Essays, Interviews, Gedichten und mit Zeichnungen sehr eingehend mit der Stadtvergangenheit, mit der Gegenwart und mit der Zukunft. Dresden hat immer wieder die deutsche und europäische Gesellschaft mitgeprägt – gewollt und ungewollt, negativ wie positiv. Und das gilt es zu erzählen.
Es kann nie genug Publikationen geben, die Fakten, präzise Beobachtungen und demokratische Werte beinhalten. Das ist gerade auch in Dresden nötig.
Wer schreibt es?
Wir haben das große Glück, renommierte Autoren ebenso aus dem journalistischen wie aus dem literarischen Bereich an Bord haben zu dürfen. Auch Künstler schreiben für uns. Alle verbindet, dass sie einen Bezug zu Dresden haben. Der Leser erhält so einen vielseitigen Eindruck zwischen Reportage und Lyrik. Bisher waren dabei: Durs Grünbein, Thomas Brussig, Peter Richter, Til Mette, Sina Trinkwalder, Franziska Gerstenberg, Thomas Rosenlöcher, Anna Mateur, Michael Bittner, Heidrun Hannusch, Andreas Reimann, Maren Soehring, Axel Helbig, Nel, Juliane Hanka, Andreas Berger, Fabienne Kinzelmann, Volker Sielaff, Olaf Kische, Christina Wittich, Cornelius Pollmer, Verena Keßler, Viktor Dallmann und natürlich auch mein Kollege und Mitherausgeber Peter Ufer. Das ist jedoch auch nur möglich, weil wir Sponsoren haben, die faire Autoren-Honorare gewährleisten – nicht möglich ohne A. Lange & Söhne und Dr. Uwe Neumann, die als Sponsoren jeweils großes Interesse daran haben, unabhängige und ungewöhnliche Blicke auf und aus Dresden zu fördern. Der Verlag der Kunst Dresden kümmert sich zudem ausschließlich um die „technische“ Seite, den Druck und den Vertrieb. Inhaltlich sind wir also völlig unabhängig und können, anders als in unserem normalen Auftraggeber-Alltag, frei entscheiden, welche Autoren und welche Themen wir für passend befinden, um Dresden näher zu beleuchten.
Das Bookzin gibt es jetzt seit 2016. Was war für Dich die schönste Geschichte, die ihr darin aufgeschrieben habt?
Wirklich schön, weil mir persönlich besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben, war die Produktion zur Geschichte von Schriftstellerin Franziska Gerstenberg für den zweiten Band. Dafür musste ich Henny Brenner in der Oberpfalz fotografieren – für unsere Geschichte über das Zentralwerk, das ja heute eine wahr gewordene Utopie der freiheitlich-kreativen Lebensweise ist und früher ein schlimmer Zwangsarbeiter-Ort der NS-Diktatur war. Henny Brenner ist eine der letzten Überlebenden, die dort arbeiten musste. Sie ist eine hochbetagte Exil-Dresdnerin mit messerscharfem Verstand und einem Buch, das ich jedem Dresdner sehr empfehlen kann: „Das Lied ist aus“. Sie hatte in dem hervorragenden Buch genau aufgeschrieben, wie sich ihr Dresdner Alltag im Nationalsozialismus Schritt für Schritt radikal änderte – nur weil ihre Mutter Jüdin war – , wie sie mit ihrer Familie glücklicherweise alles überlebte und wie nach Kriegsende das DDR-Regime nichts Besseres wusste, als die letzten Juden, also auch sie, ebenso zu verfolgen und wie sie dann schließlich in der Oberpfalz landete.
Spannend fand ich neben all der unglaublichen Historie die leisen Kreuzungen zwischen ihrem und meinem Leben. Ihr Vater betrieb ein Kino auf der Alaunstraße, wo sie sich immer gern aufhielt – wenige Häuser daneben bin ich großgeworden und wusste nie, dass die Häuserlücke an der Ecke zur Böhmischen Straße früher ein Kino gefüllt hatte. Gelebt hatte Henny Brenner auf der Goetheallee in Blasewitz – dort war ich als kleiner Junge zu DDR-Zeiten in einer herrlichen Jugendstilvilla im waldorfähnlichen Kindergarten, wenige Häuser neben ihrem ehemaligen Wohnhaus. Diese Alaunstraße-Goetheallee-Verbindung, die Neustadt-Blasewitz-Liebe kenne ich also auch sehr gut. Außerdem: Einer ihrer Söhne, Leonhard Brenner, gründete vor 40 Jahren einen Versand für Fotoequipment. Und genau diesem „Brenner Foto Versand“ habe ich meine erste selbst gekaufte Kameraausrüstung zu verdanken, die ich Ende der 1990er Jahre per Fax bestellte. Dass dieser Sohn eine adoptierte chilenische Tochter hat, ist dann noch das i-Tüpfelchen.
„Es gehört zu einer Eigenschaft des Dresdners, sich nicht gleich geschlagen zu geben“, steht im Vorwort des ersten Bookzins. Das kann man nun so und so sehen – auch eine Gruppe von montäglichen Spaziergängern gibt sich ja nicht so richtig geschlagen. Wenn Leute nach diesem „Phänomen“ fragen, was antwortet ihr?
Die unappetitlichen Seiten von Dresden gehören auch zur Stadtgeschichte – insofern sagen wir bzw. unsere Autoren: Den meckernden Montägler gab es schon immer. Nur eben nicht so sichtbar und auf den Montagabend bezogen. Die nähere und fernere Historie zeigt das sehr deutlich. Vor allem durch die gute Organisation über die digitalen Netzwerke gibt es nun seit einigen Jahren die sichtbar gewordene Konzentration von Freunden des Hasses. Das Leben zwischen Kunst und Kultur ist in Dresden noch nie eine Garantie für demokratisch-liberale Werte gewesen. Und weil jedoch medial überwiegend jahrzehntelang das heimelige Barock-Dresden kommuniziert wurde, ist nun die Verwunderung von außen über das Negative recht groß. Dabei hätte man es wissen können. Jeder, der das Buch „89/90“ von Peter Richter (dessen Recherchematerial zu „89/90“ bei uns im ersten Band ein Thema war) gelesen hat, wird sich an den teilweise sehr bestürzend antidemokratischen Geist der Wendezeit erinnern können. Ich war zwar erst zehn Jahre jung zur Wende, als in der Dresdner Neustadt Aufgewachsener weiß ich aber um die Kämpfe, die in meinem Viertel von rechts außen hereingetragen wurden. Diese Dresdner von damals sind ja heute nicht völlig verschwunden, sie sind nur älter geworden. Tulga Beyerle, die zum Jahresende leider scheidende, großartige Direktorin des Kunstgewerbemuseums in Pillnitz, die aus Wien nach Dresden kam und uns im ersten Band erzählte, dass in ihren Augen Dresden die wienerischste Stadt Deutschlands ist, sagte mir beim Fototermin: „Erst nach der Lektüre von ‚89/90‘ habe ich verstanden, warum hier in Dresden Manches so ist, wie es ist.“ Und genau dieses Feedback habe ich von unseren Lesern auch schon oft gehört. Das freut uns sehr und wir geben uns auch deshalb nicht geschlagen, wenngleich wir drei Herausgeber bisher materiell noch nichts an unserem Bookzin verdient haben.
Es gibt so viele Dresden-Klischees, positive wie negative, die immer wieder aufploppen. Wie versucht ihr diese aus eurem Bookzin zu vertreiben?
Unser Anliegen ist nicht direkt das Vertreiben von Klischees. Wir erzählen vielmehr davon, wie gern erzählte und gelebte Legenden, Mythen und Klischees entstanden sind. Unser Blick richtet sich hinter Fassaden und hinter bekannte Geschichten. Ich versuche das auch mit meinen Fotos: Ich versuche, eine Stadt-Atmosphäre einzufangen, die es in anderen Dresden-Magazinen oder -Büchern bisher noch nicht gab. Natürlich erfinde ich das Rad nicht neu und möchte immer darauf achten, dass auch der Stuttgarter Leser ein bisschen vom bekannten Dresden wiedererkennen kann. Die Feedbacks lauten oft, wie schon erwähnt, dass die Leser aus allen Altersschichten nach dem Lesen verstanden haben, weshalb Dresden so ist, wie es eben ist. Und das ist natürlich eins der besten Komplimente, die wir bekommen können. Weil wohl unser Dresden-Blick zuweilen wenig erwartbar ist, sagte mal eine Leserin ganz verdutzt: „Man könnte fast meinen, dass es hier um Berlin geht und nicht um Dresden.“
Was liebst Du ganz persönlich an dieser Stadt?
Unter anderem empfinde ich die Elbauen als ein wirklich wunderbares Geschenk der Stadt. Ein Ort, den ich mit meinem kleinen Sohn nach dem Kindergarten ganz oft bis zum Sonnuntergang genieße. Wir haben eine ganz ruhige Lieblingsstelle mit feinem Sand, verschiedenen Steinen, vielen Muscheln – dort stellen wir unser Strandzelt auf und bauen Kanäle, Inseln, Burgen. Es gibt immer etwas zu bauen. Die Möwen, die Reiher, die Gänse, die Enten, die vielen Fische: ein echtes Naturparadies. Und zwischendurch gibt es immer wieder ordentliche Wellen durch die Dampfer und Boote. Da kommt jedes Mal ein Gefühl von Urlaub auf. Der Heimweg mit der Johannstädter Fähre ist dann auch ein krönender Abschluss.
Worin wird Dresden Deiner Meinung nach unterschätzt?
Dresden ist für die meisten Westdeutschen eine braune, barocke, irgendwie wiederaufgebaute Stadt. Das verdeckt beispielsweise den Blick auf die unzähligen positiven Innovationen, die in dieser Stadt entstehen und seit jeher viel verändern. Gerade die weltweit sehr anerkannte Forschung, die sich unter anderem mit einigen Max-Planck-Instituten und hohem internationalen Wissenschaftleranteil manifestiert, haben viele nicht auf dem Schirm. Auch sprießen viele sinnvolle Projekte und kommunikative Initiativen aus dem Boden, die, wie ich immer sage, die Lichtseite des schrillen Hassschattens ist. Zum Beispiel, nur um einige zu nennen, die seit drei, vier Jahren aktiv sind: Lassesunstun, Marktschwärmer, Ichhelfe.jetzt, Mic4Peace, TEDx Dresden, Banda Comunale/Internationale und so weiter.
Was nervt Dich manchmal an Dresden?
Wie in vielen Städten gibt es Verwaltungsabläufe, die haarsträubend sind und ratlos machen. Auch das inkonsequente oder gar nicht vorhandene politische Auftreten für eine freiheitliche, diverse, kreative, nachhaltige Gesellschaft – und das kann nur die einzige humane Zukunft sein – steckt leider sehr tief in der Stadt. Tiefer als in manch anderen Städten, die ich kenne. Dresden, so scheint es immer wieder, ist sich selbst genug. Und damit macht es die Stadt sich selbst und den Bürgern schwer, Neues und Gutes voranzubringen. Äußere Schönheit allein genügt nicht.
Welchen großen Dresdner der Vergangenheit würdest Du gern mal im Bookzin portraitieren, wenn das möglich wäre?
Da habe ich noch nie darüber nachgedacht. Aber es wäre sicher spannend, mein Kindheitsidol Ludwig Richter vor der Kamera zu haben. Schließlich habe ich auch von ihm, wie schon erwähnt, den Hang zum Idyll-Genuss. Vermutlich fließt auch Richters Bilderwelt, die ich als Kind in alten lithografischen Bildbänden innig anschaute, in meinen eher romantischen Fotostil hinein.
Kannst Du uns schon eine kleine Vorschau auf die dritte Ausgabe geben?
Leider nein. Unsere Bände leben ja von der Überraschung. Wer unsere Premiere zum dritten Band miterleben möchte, der ist herzlich eingeladen am 2. Dezember um 11 Uhr im Societaetstheater. Am 20. September gibt es eine Lesung mit Peter Ufer und Christina Wittich und im Anschluss einen elektronischen Liveact mit Gabriel Vitel (den haben wir im ersten Band porträtiert) und mit mir an den Plattentellern (seit vielen Jahren habe ich auch das DJ-Projekt Techtonische Plattenverschiebung). Der Ort kann jedoch nur hier auf Elbmargarita via Mail oder bei uns in einer Facebooknachricht in Erfahrung gebracht werden. Am 26. Oktober wird es im Lingnerschloss eine Lesung mit mir, Peter Ufer, Volker Sielaff, Undine Materni und Florian Mayer geben.
Termintipp: Buchpremiere des dritten Bandes ist am 2. Dezember, 11 Uhr im Societaetstheater Dresden!