Jugendlicher Idealismus in der Stadt der Liebe

Die Frei-Spieler erzählen in ihrem Stück über Terroristen allzu Menschliches

Ein Küchentisch im Dunkel, eine zum Mikrofon umfunktionierte Stehlampe, ein Joghrutbecher, etwas Sprengstoff, verteilt auf zwei Schauplätze, die szenisch wechseln: Das Wohnzimmer einer jungen Wohngemeinschaft, wahrscheinlich irgendwo in Paris, und ein frisch verliebtes Pärchen, das ganz in der Nähe um die Häuser zieht. Ab und an kreuzen sich die Wege der Figuren. Wie das eben so ist im Leben.

3. Generation

Die Dresdner Frei-Spieler bringen mit ihrem neuen Stück „Die dritte Generation – Kinder von Marx und Coca Cola“ (Fotos: PR/Julius Zimmermann) eine szenische Collage über Liebe, Terrorismus, Revolution und Rückzug in die Privatheit auf die Bühne. René Fußhöller von der Hochschule für Bildende Künste in Dresden hat dazu eine schlichte, sehr atmosphärische Kulisse entworfen. Kein leichter Stoff – und doch kurzweilig inszeniert.

Inspiriert von Fassbinder- und Godard-Filmen

Das Stück der jungen Laiengruppe um Regisseurin Christiane Guhr ist inspiriert von zwei Filmen, deren Handlungen, zumindest in der Figurenzeichnung, auch im Theater noch latent miterzählt werden: Der eine ist Rainer Werner Fassbinders schwarze Komödie „Die dritte Generation“ (1978/79) über die dritte Generation von RAF-Terroristen, eine Gruppe gelangweilter Jugendlicher. Der zweite ist Jean-Luc Godards „Masculin – Feminin. Oder die Kinder von Marx und Coca Cola“ (1966), der von einem Liebespärchen zwischen dem Kampf gegen den Vietnamkrieg und den Kapitalismus im Paris der 1968er Jahre handelt.

Arbeiten, essen, schlafen.“

Die Frei-Spieler haben aus beiden nun ihre eigene Geschichte gestrickt, collagieren und verknüpfen frei, ringen den filmischen Vorlagen dabei eine flotte Erzählweise ab, in der immer wieder Szenen einfrieren, während andere zum Leben erwachen. Die Vorlagen der Filme schimmern im schummrigen Licht noch deutlich als Gerüst durch. Auf der Suche nach täglichen Berührungspunkten mit dem Terrorismus zeigt das Stück aber letztlich ganz normale Jugendliche. Jungs, die vom Glück nicht gerade verfolgt sind. Sie bemühen sich um Mädchen, lesen philosophische Schriften, begehren gegen Ungerechtigkeiten auf. Sie suchen nach einem Leben jenseits von „Arbeiten, essen, schlafen“, so wie es sich für junge Leute gehört. Doch vielfach wirkt diese Suche auf der Bühne ein bisschen wie ein Kreisen um sich selbst. Licht an, Licht aus. Szenenwechsel.

3. Generation

Die Berührungspunkte mit dem Terrorismus bleiben marginal. Die Frage danach, was jemanden zum Terroristen werden lässt, wird im Stück ausgespart. Irgendwann gibt es einen Knall, zuvor einen Plan, ein explosiver Protest. Man denkt an die RAF, erinnert sich an Fassbinders Film und erkennt Grundzüge der Geschichte wieder. Bezüge zum Terror im Jahr 2015, zum IS oder der NSU bleibt die Inszenierung aber schuldig. Der Fokus liegt hier vor allem auf den menschlichen Beziehungen. Da ist eine Gruppe, die im Geheimen das Undenkbare plant, auf Außenstehende aber ganz normal wirkt, und am Ende die Grenzen der Menschlichkeit überschreitet. Peng! Vieles bleibt schlicht Fragment.

Überzeugendes junges Laienensemble

Spannend wird der Abend dennoch – dank eines engagierten jungen Ensembles, das die Geschichte mit viel Liebe zu Detail humorvoll auf die Bühne bringt. Besonders Eva Jaekel zeigt sich als Madeleine (u.a.) sehr wandlungsfähig und zieht in der Szene, in der sie ein Lied auf ihren Traummann anstimmt, Blicke und Ohren auf sich. Marcus Möller ist ein verträumter Paul, in dem immer wieder eine große Portion Kampfgeist aufflackert. Margarethe Noky, Josef Zschornack, Gabriel Schweinert und Jonas Müller erinnern als RAF-Gespann an illustre Studenten-WGs, obgleich in deren Mitte insgeheim ein jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Die collagenhafte Erzählweise gelingt ihnen gut, am Ende wirkt das Ganze aber doch mehr wie eine Rückschau auf das Paris der 60er/70er Jahre – und so bleibt es ganz den Zuschauern überlassen, Parallelen zur Gegenwart zu finden, oder eben nicht.

„Die dritte Generation – Kinder von Marx und Coca Cola“, am 13., 14., 20. und 21. Januar, 20 Uhr im Projekttheater Dresden

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