Lortzings „Der Wildschütz“ an der Semperoper
Der Auftakt ist gespielt. Mit der Premiere von Albert Lortzings „Der Wildschütz“ ist die Semperoper in die neue Saison gestartet. Ein komisches Stück aus der Zeit der Spätromantik, nicht unbedingt typisch für den Dresdner Spielplan – und doch, man kann das mal machen. In Zeiten, in denen die Welt gerade aus den Fugen zu geraten scheint, in denen immer montags vor der Oper Demonstranten spazieren gehen und im Foyer heiße Diskussionen zur allgemeinen Gesellschaftslage angezettelt werden, da passt dieser „Wildschütz“ vielleicht sogar viel besser, als man auf Anhieb meint. Ist es doch im tiefsten Herzen auch eine gesellschaftskritische Geschichte, die von notgedrungenen Kompromissen kleiner Leute und vom ungebildeten Einbildungsreichtum des Adels erzählt.
Verwirrende Story über Existenzangst und den schönen Schein
Lortzings Libretto jedoch ist in der Tat ein verworrener Opernplot. Hier wird der vom Dorfschullehrer Baculus fälschlicherweise im Wald des Grafen erlegte Hirsch zum Zankapfel und Auslöser eines wilden Verkleidungsspiels: Man tauscht leichtfertig Bräute und Geschlechter – was wiederum nur gelingt, weil niemand den anderen sieht, alle sowieso immer nur ihre eigenen Interessen im Blick haben. Letztlich geht es ja auch um Existenzängste und den schönen Schein. Regisseur Jens-Daniel Herzog inszeniert das Ganze nun als operettenhaft komische Oper (Fotos: PR/Matthias Creutziger), als schamlos übertriebenes, nie ganz ernst zu nehmendes Spiel und kokettiert dabei gehörig mit den Möglichkeiten des Theaters.
Besonders schön gelingt das noch am Beginn, als Baculus und sein Gretchen Verlobung feiern und ihre Verbindung, die beiderseits mehr auf dem Bedürfnis nach Sicherheit, denn auf Liebe gebaut ist, zankend besingen. Georg Zeppenfeld und Carolina Ullrich beleben diese Szenen sowohl stimmlich als auch darstellerisch mit großartigen Gesten. Der Chor tritt bescheiden an Mohrrüben knabbernd auf die Bühne – und komplettiert das Spiel, in dem er ein Alphabet auf Papptellern zu klaren Kommentaren formt und in die Luft hält. Auch die Idee, die als Student verkleidete Baronin eine Arie lang an einem ollen Fahrrad montieren zu lassen, ist schön umgesetzt. So kommt trotz der auf Dauer etwas faden Kulisse des Klassenzimmers (Bühne: Mathis Neidhardt) doch Leben auf die Bühne.
Überdrehte Operettenspäße wirken teils läppisch
Nun soll Baculus für seine Wilderei also vom Grafen (Detlef Roth) entlassen werden, die Hochzeit droht zu platzen. Da bietet sich die maskierte Baronin (Emily Dorn) an, als Gretchen verkleidet zum Grafen zu gehen und ein gutes Wort für den Lehrer einzulegen – das Stück beginnt. Das falsche Gretchen sorgt sogleich für Furore bei Graf und Baron (Steve Davislim) und während die Gräfin (Sabine Brohm) mit Möchtegern-Antike-Kenntnissen eine Art Motto-Party vorbereitet, bietet der Baron dem verwirrten Baculus an, ihm seine Braut für 5000 Taler abzukaufen. Lustig und schräg inszeniert Herzog den Spaß, als wolle er das Publikum mit der Nase drauf stupsen, welche Art Oper hier gespielt wird. Den Billardtisch macht er zum Symbol des Begehrens, den Antike-Fimmel der Gräfin schmückt er äußerst bunt aus, das falsche Gretchen ist als biederes Mädchen vom Lande mit vielen Blumen behängt. So richtig zünden will das jedoch nicht. Viele der überdrehten Operettenspäße wirken schlicht läppisch, zudem entwickelt das Stück im zweiten und dritten Akt so einige Längen.
Musik mit schwebend-ironischer Leichtigkeit
Da helfen auch komödiantische, teils kommentierend gestaltete Übertitel nicht, obwohl der Text die Oper in dieser frechen Bearbeitung ein wenig in die Gegenwart holt. Ganz ausgezeichnet trifft dagegen Alfred Eschwé am Pult der Sächsischen Staatskappelle Dresden den Ton. Er verleiht Lortzings Musik schon in der Ouvertüre beinahe schwebende Leichtfüßigkeit, fast glaubt man die Ironie des Stücks in diesen ersten Takten bereits heraushören zu können. Im Gegensatz zu dem, was auf der Bühne passiert, hält Eschwé aber immer die Balance, lässt das Orchester nie in Übertriebenheit ertrinken. Das Finale auf der Bühne versinkt indes in einem wahnsinnig bunten Schlussbild, dem armen Baculus wird zu allem Übel noch ein riesiger Eselskopf aufgesetzt, schoss der doch seinen eigenen Esel, nicht den Hirsch.
Das wahre Happy End fügt sich in Form einer Preisverleihung direkt an den eher lauen Premierenapplaus (der dieses Mal übrigens sogar ganz ohne Buhrufe auskam): Georg Zeppenfeld wurde von der Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva Maria Stange (SPD) mit dem Ehrentitel Kammersänger ausgezeichnet. Wohl verdient nach dieser wilden Hauptpartie.
„Der Wildschütz“ an der Semperoper Dresden, wieder am 13., 26. und 30. Oktober sowie am 5. November 2015