„Nathan der Weise“ am Kleinen Haus
Es heißt, die Vorstellung ist ausverkauft. Und dennoch strömen immer wieder noch neue Menschen in den Saal des Kleinen Hauses, scannen die schon übervollen Sitzreihen, suchen gierig nach den letzten freien Plätzen. „Rücken Sie bitte eins weiter!“, und „Halt mir den Platz frei!“, hört man vereinzelt noch rufen – dann ertönt das dritte und finale Klingeln und plötzlich wird die Bühne erhellt.
Acht Menschen stehen im Hintergrund vor einer schwarzen Wand, den Rücken zum Publikum gewandt. Davor eine lange Tafel aus schlichten weißen Tischen und Stühlen. Ein Scheinwerfer kreist über die Reihe der Darsteller, bleibt schließlich an einem haften. Er dreht sich langsam um und betritt das Bühnengeschehen. „Nathan der Weise“ beginnt.
Reduzieren hilft inszenieren
Es ist ein ungewöhnliches Setting für diesen historischen Stoff. Die Darsteller kommen in Jeans und Wollpullover, Anzug und Seidenoverall daher. Das Bühnenbild von Ansgar Prüwer-LeMieux ist so reduziert, dass man sich schon fast fragt, ob der Aufbau eigentlich komplett ist. Auch Musik ist kaum zu hören, außer in den kurzen Umbauphasen ab und an.
Ist „Nathan der Weise“ am Kleinen Haus etwa nur eine entfernte Adaption des dramatischen Gedichtes aus Gotthold Ephraim Lessings Feder? Nein, denn schon bei den ersten Sätzen Nathans (Philipp Lux) wird deutlich, dass Regisseur Wolfgang Engel eine gute Wahl getroffen hat, indem er den Fokus auf den essenziellsten Faktor des Stückes legt: Die Sprache. Und mit dieser gehen die Schauspieler regelrecht virtuos um.
Von drei Ringen, die nicht zu unterscheiden sind
Die Handlung bleibt die bekannte: Zur Zeit des dritten Kreuzzuges kommt Nathan, ein reicher Jude, nach einer Geschäftsreise zurück nach Hause. Dort berichtet ihm Darja, eine Christin, wie es ein Feuer gab, in dem seine Tochter Recha fast umgekommen wäre, hätte nicht ein Tempelherr sie aus den Flammen gerettet. Dieser junge Mann ist vom herrschenden Sultan Saladin begnadigt worden. Nathan will dem Tempelherrn danken, doch dieser weigerte sich schon, Recha in Person erneut gegenüber zu treten, sei es doch nur ein Judenmädchen. Doch in ihrem Vater Nathan findet er unerwartet einen Vertrauten im Geiste und beginnt sich mit ihm anzufreunden.
Schauspieler brillieren
Auch wenn die Thematik des allübergreifenden Toleranzgedankens momentan so aktuell wie schon lange nicht mehr ist, lässt sich die Inszenierung Nathan des Weisens nicht nur darauf reduzieren. Es sind vor allem die Leistungen der Schauspieler, die mit ihrer Redekunst die Worte vom Papier ablösen und direkt in die Herzen des Publikums einpflanzen. Durch den Minimalismus des Stückes konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf jede noch so feine Nuance von Stimme, Gestik und Mimik. Der Mensch als solcher steht im Zentrum. Keine Ablenkung von außen, kein großes Tamtam. Die Präsenz der Akteure geht unter die Haut.
Insbesondere Nathan-Darsteller Philipp Lux und sein Kollege Matthias Reichwald, der den Saladin mimt, haben eine fesselnde Ausstrahlung auf der Bühne. Aber auch alle anderen Schauspieler sagen nicht nur fleißig ihren Text auf, sondern leben die Charaktere, teilen ihre Sorgen und sind mit Leidenschaft im Geschehen verhaftet. Sie alle verstehen es auch, durch wunderbares Timing den dem Text eigenen, spitzen Humor erstrahlen zu lassen, auch die letzte Pointe aus den Worten herauszukitzeln.
So ist es kein Wunder, dass das Publikum am Ende in begeisterten Applaus ausbricht. Immer wieder fordert es das Ensemble sowie das Team im Hintergrund auf die Bühne und feiert die gelungene Premiere. Doch irgendwann ist auch dieser Teil des Abends vorbei und man verlässt nach zweieinhalb Stunden das Kleine Haus mit dem zufriedenen Gefühl, eine kostbare Zeit verbracht zu haben.
„Nathan der Weise“ am Kleinen Haus wieder am 10.11., 19.11., 21.11., 8.12. und 30.12.