Verrückt verliebt im Mauerschatten

„Am kürzeren Ende der Sonnenallee!“ am TJG

Die Deutsche Einheit ist ein viertel Jahrhundert alt – eine ganze Generation. Nun ist es nicht gerade leicht, nachfolgenden Generationen die Tragweite dieser Einheit zu erklären – und erst recht nicht, nach 1990-Geborenen nur den Hauch einer Vorstellung vom Leben in der ehemaligen DDR zu vermitteln. Dennoch hat das Theater Junge Generation zum Einheitstag eine Premiere auf den Spielplan gehievt, die vom Alltag in der grauen Zone erzählt: Das Stück „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ (Fotos: PR/Dorit Günter) fußt auf dem Buch von Thomas Brussig, ist vielen aber besser bekannt als Film von Leander Haußmann, dessen Drehbuch tatsächlich noch vor dem Roman entstand, und der 1999 flugs zum Kinokult avancierte.

Ganz normale Jugend – nur eben in der DDR

In einer Fassung von Ulrich Radoy und inszeniert von Mareike Mikat (1978 in Frankfurt/Oder geboren) erobert die unterhaltsam-ulkige Geschichte um den verliebten Jungsporn Micha also zur Deutsch-Deutschen Silberhochzeit die Bühne des TJG. Die Story ist fix erzählt, denn Micha Kuppisch ist eigentlich doch nichts anderes als ein ganz normaler Jugendlicher. Sein Leben dreht sich um Clique, Musik und die große Liebe: die „Weltschönste“ Miriam – nur das alles eben in der DDR. Die bekommt auf der Bühne von Katharina Lorenz wunderbar nostalgisches Kolorit verpasst, irre wandelbar ist ihre Kulisse, herrlich sozialistisch in Optik und Pragmatik. Gewürzt mit flotter Musik bekommt das Ganze schließlich einen gewissen Drive, die Jugendlichen tanzen und scherzen hier im ostberliner Schatten der Mauer am kürzeren Ende der Sonnenallee, was auch sonst sollen sie tun?

Wie ein Blick durch den Mauerspalt

Natürlich bleibt in der 2-stündigen Bühnenfassung nicht ganz so viel Zeit zum Erzählen, wie im Film, manches passiert daher ganz schön rasant. Die Geschichte erscheint hier wie ein Blick durch den Mauerspalt – aus heutiger Westperspektive mit 25 Jahren Abstand versteht sich. Fraglich ist jedoch, ob das Publikum ab 14 den Zusammenprall junger Rebellion mit der DDR-Staatsmacht dabei in aller Konsequenz erfassen kann und soll. Denn auch, wenn die Inszenierung typischen Ost-Begriffen wie dem Fahnenappell und Abschnittsbevollmächtigten (Roland Florstedt) sehr humorvoll Leben einhaucht, werden sie für die Nachfolgegenerationen wohl schwer vorstellbare Worthülsen bleiben.

Ganz raffiniert ist daher der Einsatz von vier Puppen, die auf der Bühne als wichtige – familiäre wie gesellschaftliche – Autoritäten mitspielen. Auf diese Weise wird die strenge Schulleiterin zur grausam staatstreuen Fratze (Annemie Twardawa mit Uwe Steinbach u. Christoph Levermann) verzerrt. Vater (Uwe Steinbach), Mutter (Annemie Twardawa) und Westonkel (Christoph Levermann) scheinen klar in Distanz zum lebendigen Treiben in der Welt der Jugendlichen gerückt.

Ironie der Zeit – und der Jugend

Diese Welt bringen Marc Simon Delfs (Micha), Moritz Stephan (Mario), Daniel Langbein (Brille) und Hanif Idris (Wuschel) als Zonenclique amüsant auf die Bühne. Im Kopf bleibt etwa die Radtour zum dubiosen Plattenverkäufer und der Hype um die verbotene Kassette. Allerdings werden die Kerle von den Damen im Stück in Sachen Individualität bei Weitem übertroffen: Babette Kuschel zeigt als „die Existenzialistin“, wie Rebellion mittels Lektüre funktioniert, Sara Klapp ist als stressige kleine Micha-Schwester Sabine mit ständig wechselnden Freunden fast schon so etwas wie der Running Gag und Charlotte Mednansky kann der schönen Miriam eine überzeugende Wandlung von der unnahbaren Kühlen hin zur warmherzigen Freundin abtrotzen.

Die Gefühlswelt der Jugendlichen steht stets vor Staatsdoktrin und DDR-Gesellschaft im Fokus des Stücks – und wird dennoch auch ein wenig ironisiert. Denn tatsächlich zielt die Regie hier weniger darauf ab, die DDR verständlich zu machen, sie will sie vielmehr abbilden und sie zeigt: Die Zeit der Jugend ist gleichzeitig verrückt und schön, ganz egal, welche Mauern einem von der Umwelt in den Weg gestellt werden.

„Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ (ab 14) am TJG, wieder am 7.10., 10 Uhr, 9.10. und 31.12., 19.30 Uhr

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