Zu Besuch im Gefühlshaushalt

Die Leidenschaften im Hygiene-Museum

Kaum ein Gefühl bestimmt unser Leben so unmittelbar und unwillkürlich wie ein leidenschaftliches Gefühl. Sicher auch aus diesem Grund widmet das Hygiene-Museum Dresden dem Thema LEIDENSCHAFTEN in diesem Jahr eine eigene Sonderausstellung.

Der Besucher wird dabei zu einem Theater der besonderen Art eingeladen: Bei der Ausstellung „Die Leidenschaften, ein Drama in fünf Akten“ soll er selbst in die Stürme und Wogen des menschlichen Gefühlshaushaltes eindringen. In abstrakter Weise erzählt die Ausstellung von Kuratorin Catherine Nichols sowie der beiden Gestalterinnen Mariama Clément und Julia Hansen davon, wie uns die Leidenschaften immer wieder im Leben packen, mitreißen, beflügeln, in Abgründe stürzen und schließlich, manchmal plötzlich, manchmal nach langem Kampf, wieder loslassen. In beschreibender Weise sammelt die Ausstellung Beispiele, eine riesige Collage von Leidenschaften verschiedenster Art, mit deren Hilfe der Besucher seinen ganz persönlichen Erfahrungen sowie dem Phänomen „Leidenschaft“ per se auf den Grund gehen soll. Grundgedanke der Exposition bleibt dabei immer die Tatsache: Ohne Leidenschaft läuft rein gar nichts im Leben.

Und so werden wir im ersten Akt dieses bizarren Gefühlsdramas von einem großen Krokodil (Foto: PR/Oliver Killig) begrüßt, das inmitten einer gutbürgerlichen Kücheneinrichtung seine Berechtigung sucht. Schließlich kommen sie meist ungewollt, aggressiv und unerwartet wie ein Krokodil im Urwald daher, diese Leidenschaften. Was folgt, ist ein spannender Rundgang durch die Kulturgeschichte und Erscheinungsformen der Leidenschaft, die auch danach fragt, ob Leidenschaft wirklich immer Leiden schafft oder ob die Vernuft vielleicht auch ihre Chance bekommt.

Verstört und fasziniert zugleich wandern wir also weiter, befinden uns mittendrin und versuchen dabei doch, das Ganze irgendwie distanziert zu verarbeiten. Wir stoßen auf Ecken, in denen wir uns wohlfühlen und auf Gebiete, die uns fremd sind, in diesem Gefühlshaushalt  – und picken uns doch immer wieder das für uns Beste, Interessanteste heraus. Ja, zum Nachdenken regen sie bestimmt an, diese Leidenschaften als „Drama in fünf Akten“.

Richtig greifbar, und das ist durchaus ein vorhersehbares Manko der Ausstellung, werden die Leidenschaften dabei jedoch nicht – da kann auch ein Krokodil aus Gummie nichts daran ändern. Wer eine Antwort darauf haben möchte, warum uns Leidenschaften so heftig befallen, wo sie herkommen und was sie bedeuten, der wird nach dem fünften Akt nicht schlauer sein, als vor dem ersten. Aber vielleicht ist das ja auch gerade der Sinn – spannend wie die Leidenschaft ist dieses fünfaktige Drama schließlich allemal!

Nicole Czerwinka

Ausstellung „Die Leidenschaften – Ein Drama in fünf Akten“, im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, noch bis zum 30. Dezember 2012

Weiterlesen

Bedeutungsvolles Nichts

Janne Teller Nichts, Staatsschauspiel Dresden
Ein Gruppe von Jugendlichen ist mit Nichts auf der Suche nach Bedeutung (Foto: PR/David Baltzer).

Janne Tellers „Nichts.“ am Staatsschauspiel

Am Anfang steht die Videoprojektion. Was die Zuschauer oben auf der Leinwand sehen, passiert unten in der Horizontalen. Die Ebenen werden so auf effektvolle Weise verkehrt. Alle Beteiligten liegen am Boden, am Anfang, als Pierre Anthon aus der Klasse 7a geht. Er entgleitet seinen Kameraden förmlich ins Ungewisse, ins Nichts. Die dänische Schriftstellerin Janne Teller schuf mit ihrem Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ bereits im Jahr 2000 die Vorlage für das Theaterstück, das am Kleinen Haus in Dresden am 31. März Premiere feierte. Es handelt von Pierre Anthon, der sich an einem heißen Sommertag nach den Ferien plötzlich in seinen Pflaumenbaum zurückzieht und behauptet, dass nichts auf der Welt eine Bedeutung hat. Und schon sitzt er da, hoch oben auf den auf der Bühne sorgfältig gestapelten Holzpaletten (Bühne: Karoly Risz). Im Theater provoziert er das Publikum mit dem Mikrophon in der Hand, er bezieht die Zuschauer so direkt mit in das Geschehen ein, viel wirkungsvoller als im Buch.

Hausregisseur Tilmann Köhler hat den umstrittenen, hochphilosophischen und mittlerweile in 13 Sprachen übersetzten Roman Janne Tellers mit den Studentinnen und Studenten des Schauspielstudios Dresden auf jugendlich-frische Art für die Bühne des Dresdner Staatsschauspiels inszeniert. In der folgenden Szene zeigt die Videoprojektion die acht jungen Schauspieler von oben, wie sie wie Ameisen hilflos vor dem Nihilismus ihres früheren Klassenkameraden hin- und herrennen. Schließlich geht es um viel, Pierre Anthons gewagte Thesen vom allumspannenden Nichts führen das Leben ad absurdum, die Jugendlichen wollen daher nun seine Sprüche ad absurdum führen – und beginnen, bedeutsame Gegenstände für einen „Berg aus Bedeutung“ zu sammeln. Zunächst im Publikum. Später soll dann jeder Einzelne von ihnen ein ganz persönliches Opfer bringen. Mit den grünen Sandalen von Agnes beginnt es – und steigert sich schon bald bis ins Geschmacklose. Zum Schluss muss Sophie ihre Unschuld opfern und Jan-Johan seinen rechten Zeigefinger. Das anfangs noch unschuldige Spiel gerät außer Kontrolle.

Die jungen Schauspieler bringen dieses literarische Gedankenspiel Tellers unwahrscheinlich energiereich und voll Erfindungsreichtum auf die Bühne. Immer wieder beziehen sie das Publikum mit in ihr rasantes Spiel ein, verblüffen mit ungeheurer Spontanität und zeigen dabei spürbar Freude an der Improvisation. Es fällt schwer, sich dieser Schnelligkeit und dem Wahnsinn des Stückes zu entziehen. Gibt es zu Anfang noch einige Lacher, herrscht später, als Jan-Johan seinen Finger opfern soll, auf einmal bedächtige Ruhe im Saal. Schon wird diese selbstironisch vom Ensemble gebrochen, mit der offenen Frage, wer von den Darstellern auf der Bühne denn nun Jan-Johan sein soll. Denn die Rollen – und das ist ein geschickter Schachzug Köhlers – sind zu keiner Zeit festgeschrieben. Pierre Anthon wird zum Hamster, Agnes zu Pierre Anthon und so weiter. Jeder ist jeder und alle sind alles, oder eben nichts. Den Schauspielstudenten ringt das darstellerische Höchstleistungen ab, sie müssen jeder für sich in allen Facetten brillieren, permanent von Figur zu Figur schlüpfen. Obwohl sie das mit Bravour meistern, ist es für den Zuschauer doch an mancher Stelle auch verwirrend. So wird der Roman vielleicht ein bisschen zu wörtlich genommen: Nichts bleibt, wie es war. Selbst Requisiten wandern wie von Geisterhand auf die Bühne, wechseln ihre Bedeutung, kreativ wird mit den einfachsten Mitteln gespielt. Zweifelhaft ist dabei jedoch, ob tatsächlich jeder versteht, was beispielsweise ein „Dannebrog“ (in Dresden ersetzt durch einen blauen Slip) ist und warum diese dänische Nationalflagge für einen Jugendlichen von etwa 14 Jahren so bedeutungsschwer sein soll. Hier driften dänische Vorlage und sächsisches Theater ein bisschen auseinander.

Die Sucht nach Bedeutung gelangt dann schließlich auch auf der Bühne zum Höhepunkt, als Jan-Johan seinen Finger opfern muss. Trickreich wird hierbei das Publikum aus seiner Schockstarre geweckt und wiederum direkt ins Geschehen hineingezogen, als ein spontaner Gitarrenwettbewerb auf der Bühne entscheiden soll, welcher Schauspieler Jan-Johan mimen wird. Die Entscheidung – und das erscheint genial – liegt dabei ganz allein beim Publikum, das per Applaus für den einen oder den anderen abstimmen wird, und sich so auch ein Stück weit mitschuldig macht am darauffolgenden Verlust des Fingers. Reflektierende Distanz unerwünscht. Jeder ist alles oder nichts.

Dass die Inszenierung sich dabei auch allzu gern mal vom Text der Romanvorlage abhebt und szenische Freiheiten ausgiebig auskostet, macht einen gewissen Reiz des Ganzen aus. Es kann allerdings dann zu Problemen führen, wenn man die Romanvorlage nicht kennt. Sehr dicht wird es dabei vor allem am Schluss, wo Journalisten aus aller Welt zu den Schülern kommen, um ihren Berg aus Bedeutungsvollem als Kunstwerk zu begutachten. Auch hier wird das Publikum wieder auf die Bühne zitiert und somit Teil der gaffenden Masse. Doch allzu schnell ist dieser Ruhm verflogen und der Berg wieder vom Nichts bedroht. Was dann kommt, passiert im Zeitraffer. Unbelesene werden spätestens hier überfordert sein: Massenkampf mit Todesfolge, der Berg wird angezündet und nur die Asche bleibt vom einstmals Bedeutungsvollen noch übrig. Erst hier kommt die Videoprojektion dann wieder zum Einsatz, weit weniger wirkungsvoll als zu Beginn zeigt sie dieses Mal jedoch nur auf eine Person, die erledigt am Boden liegt – oben wie unten, die Ebenen scheinen nun gewaltvoll geglättet. Die Moral von der Geschichte bleibt im Roman wie am Theater jedem selbst überlassen – es sei denn man hält es wie Pierre Anthon.

Staatsschauspiel Dresden, Kleines Haus, wieder am 7.4., 13.4., jeweils 19.30 Uhr,

Weiterlesen

Provisorium in der Südvorstadt

Vergessene Orte: Die Zionskirchruine

An dieser Stelle stellt www.elbmargarita.de in loser Folge vergessene Orte der Stadt vor – das können Gebäude oder auch Plätze sein, die spannende Geschichten über Dresden und seine Bewohner erzählen.

Die Zionskirchruine an der vielbefahrenen Nürnberger Straße erscheint vielen Dresdnern und Gästen als architektonisch verunglücktes Provisorium. Da die Dachkonstruktion des massigen Kirchenbaus durch einen Bombentreffer verloren ging, Teile der Kirche aber nach dem Krieg weiter genutzt wurden, setzte man kurzerhand ein praktisches Flachdach auf die notdürftig gesicherte Ruine, um das Bauwerk vor Wind und Regen zu schützen.

Erbaut wurde die Zionskirche in einer Zeit, als die heutige Südvorstadt noch aus Wiesen und Feldern bestand. Der katholische Dresdner Industrielle Johann Hampel hatte das Geld für den Kirchenbau der Gemeinde Dresden gespendet, um für sich und seine Ehefrau eine adäquate letzte Ruhestätte zu schaffen. Nach seinem Tod wurde 1901 eilends der Grundstein für die neue evangelische Kirche gelegt, da die Schenkung sonst der katholischen Kirche zugefallen wäre.

Was den Maschinenbauer zu dieser paradoxen Erbschaftsregelung bewegt hatte, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Die Stadt entschied sich, den Auftrag für die Gestaltung der Kirche durch einen Wettbewerb zu vergeben, aus dem das Büro Schilling & Graebner hervorging. Der Bau zog sich dann von 1908 bis 1912 hin; eine eindrucksvoll- wuchtige Jugendstilkirche entstand, die zu ihrer Grundsteinlegung weder Pfarrer, noch Gemeinde hatte. Besonders faszinierend ist auch heute noch die Kreuzigungsszene an der Außenwand des Gebäudes, die mit der Überschrift „Lobe Zion deinen Gott“ (Psalm 147)  versehen ist und der Kirche ihren Namen geben sollte.

Während des Baus der Kirche herrschte auch ringsum rege Bautätigkeit; ein neues Viertel entstand, sodass die Kirche bei ihrer Weihe eine Gemeinde von mehr als 5000 Mitgliedern hatte. Bei den Bombenangriffen auf Dresden ging die Kirche zusammen mit dem gerade entstandenen Viertel unter. Erst 1981 bekam die Zionskirchgemeinde einen neue Kirchenbau von der schwedischen Kirche geschenkt; bis dahin wurden eine Baracke neben der Kirchruine und zwei ausgebaute Räume der Kirchruine genutzt.

Die Ruine selbst dient hingegen weiter einem wichtigem Zweck. Als Lapidarium der Stadt Dresden beherbergt sie nun über 3000 beschädigte Statuen, Bauteile, geschmolzene Zäune oder Schmuckelemente, die nach 1945 von Dresdner Bürgern aus Ruinen geborgen worden und vor der endgültigen Vernichtung gerettet worden waren. Fast jedes dieser Teile kann mittlerweile einem früheren Gebäude oder Anwesen der alten Südvorstadt zugeordnet werden und dokumentiert damit die Geschichte eines untergegangenen Stadtteils.

Einmal jährlich, zum Tag des offenen Denkmals, kann man das Lapidarium besichtigen und die besondere Atmosphäre dieses vergessenen Ortes ganz hautnah erleben.

Foto&Text: Annett Baumgarten

Weiterlesen

Fulminantes Zirkusspiel

Bergs „Lulu“ an der Semperoper

Dompteure, Raubtiere, Clowns und Seiltänzer – es ist ein einziger großer Zirkus, den Regisseur Stefan Herheim dem Publikum in seiner „Lulu“-Inszenierung an der Semperoper vorführt. Dabei dreht sich in diesem – bereits an den Opernhäusern in Kopenhagen und Oslo erfolgreichen – ironischen Spiel des Theaters mit dem Theater eigentlich alles um die Hauptfigur. Lulu, auch Nelly oder Mignon genannt, hat viele Gesichter. Ob als schlummernde Venus, Femme fatal, Clowin, Ehefrau oder Braut, bleibt sie am Ende der Inbegriff des Weiblichen – verehrt, verführt, verheiratet, verrucht, verliebt und vergewaltigt.

Alban Bergs Oper ist nach der Vorlage zweier Tragödien von Frank Wedekind („Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“) entstanden – und eine einzige Hommage an die Sinnlichkeit. Die Figur der Lulu wird dabei zur Illusionsfläche männlicher Phantasien. Mit viel Liebe zum Detail verwandelt Herheim dieses zirkushafte Ränkespiel auf der kleinen in der großen Bühne (Bühne: Heike Scheele) in ein buntes, bilderreiches Spektakel, ohne dass Lulu gänzlich auf ihre allgegenwärtige Erotik reduziert bleibt. Gisela Stille, die die Partie der Lulu bereits in Kopenhagen und Oslo sang, brilliert dabei in der Titelrolle. Gesanglich wird sie zum Star des Abends, wenn sie auch schwere Passagen mit souverän kraftvoller Stimme vorträgt und musikalisch scheinbar über allen schwebt, während die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Cornelius Meister ihrerseits begeistert.

Die vierstündige Aufführung fasziniert so auch am Dresdner Opernhaus als eine aus Witz, Musik und der Tragik des Endes feinsinnig abgestimmte Gesamtkomposition.

Nicole Laube

(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“, am 07.03.2012)

Dresden, Semperoper wieder am 25.3. und 28.3., je 19 Uhr

Foto: Semperoper/Matthias Creutziger

Weiterlesen

Wer Macht hat, hat auch recht

„Der zerbrochene Krug“ am Staatsschauspiel

Hoch waren die Erwartungen an Roger Vontobels zweite Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden, nachdem sein „Don Carlos“ sich zum gefeierten Dauerbrenner entwickelt hatte.  Dass er danach mit Kleists „Zerbrochenen Krug“ ein Lustspiel inszenieren würde, hatte wohl kaum einer erwartet.

Kleists Lustspiel behandelt einen Stoff, aus dem man auch eine Tragödie machen könnte. Denn die Geschichte des Dorfrichters Adam, der über ein Verbrechen zu Gericht sitzt, dass er selbst begangen hat, erscheint in ihrer Absurdität immer auch beklemmend. Denn Recht haben hier zunächst diejenigen, die Macht über andere haben.

Genau dieser Aspekt scheint Vontobel besonders fasziniert zu haben. Vielfältig sind die Bedrohungen, die Machtdemonstrationen und Machtgefällte, die sich während des Prozesses unter den Dorfbewohnern entfalten. Denn es geht hier nicht um einen profanen Krug, sondern um Gewalt und Machtmissbrauch, um sexuelle Nötigung und Erpressung.

Das erste Drittel der Inszenierung ist ganz im Kleistschen Sinne noch sehr slapstickartig gehalten. So werden die unterschiedlichen Versionen der Vorgänge, die zur Zerstörung des Krugs führten, nicht einfach erzählt, sondern szenisch nachgestellt. Das anfangs etwas altbacken wirkende Bühnenbild von Magda Willi entfaltet hier seine volle Wirkung, denn jeder Gegenstand, jedes Gestaltungselement des vollgestopften Raumes hat hier seinen Zweck. Rasante Szenen folgen aufeinander; ständig passiert etwas auf der Bühne; es wird gerannt, man stürzt, kämpft und rangelt miteinander.

Das Publikum lacht und applaudiert und bemerkt darüber kaum, den erzählerischen Sog, der die Geschehnisse zunehmend drastischer, düsterer und gefährlicher macht. Unversehens eskaliert die Gewalt, vor allem gegen den Angeklagten Ruprecht Tümpel, den Sebastian Wendelin als herrlich naiven Simpel anlegt.

Auch Burghart Klaußners Adam, der sich zunächst mit albernen Ablenkunsmanövern der Lächerlichkeit preisgibt, durch Charme, Schmeichelei und Betulichkeit seine Felle zu retten versucht, wird zunehmend polternder, reizbarer, ja gefährlicher.

Je näher man der Lösung des Rätsels kommt, desto mehr kann das Ensemble auftrumpfen. Als Zuschauer rückt man unwillkürlich auf dem Sitz nach vorn, wenn Sonja Beißwenger als gestrenge Gerichtsrätin im Businesskostüm sich langsam selbst im Gespinst der Lügen zu verirren droht, Marthe Rull (Hannelore Koch) ihre Tochter immer mehr unter Druck setzt und das Mädchen (gespielt von Karina Plachetka) schließlich zusammenbricht und nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Rache einfordert.

Die abschließenden Erklärungen gestalten sich dann doch etwas zu langwierig, nach all der Rasanz nimmt sich die genaue Erklärung der Abläufe, die den Krug zu Boden gehen ließen etwas zu statisch aus.

Insgesamt  ist Roger Vontobel nicht der ganz große zweite Wurf gelungen, doch sein „Zerbrochener Krug“ ist mitreißend inszeniert und gespielt, hervorragend besetzt und intellektuell anregend.

Annett Baumgarten

„Der zerbrochene Krug“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 18.3., 19.00 Uhr, 27.3., 19.30 Uhr, 9.4., 19.30 Uhr

Weiterlesen

Vorhang auf, Licht an

Das Tal der Superhirne, Teil I

In Dresden wird seit jeher gefragt, geforscht und entdeckt. Allein die Technische Universität meldete 2011 rund 120 Patente an – und ist damit bundesweiter Spitzenreiter. Doch auch an den anderen Hochschulen und Instituten der Stadt köchelt es in den Erfinderstübchen. www.elbmargarita.de stellt in einer losen Serie DDner Entdeckungen vor:

Matthias Pinkert studierte von 2004 bis 2009 Produktgestaltung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW). Im Rahmen eines Seminar-Projektes – Ziel war es, neue, bedienungsfreundliche Produkte zu entwickeln – im siebten Semester kam ihm 2007 eine patentreife Idee. „Mir war schnell klar, dass ich mich dem Thema Licht zuwenden will“, sagt Pinkert. Er erinnert sich: „Damals waren die LED-Leuchten gerade ganz groß in Mode.“ Ein ganz normaler Vorhang habe ihn schließlich zu seiner Leuchte mit besonderem Lichtsteuerungsverfahren inspiriert.

Die aus einer langen Metallröhre auf vier Füßen stehende Lampe sieht auf den ersten Blick einfach nur futuristisch aus. Mit Hilfe von gardinenringartigen Metallringen kann das Licht damit je nach Bedarf entlang der Röhre „verschoben“ und somit genau da platziert werden, wo man es braucht.  „Das ist nicht nur praktisch, sondern auch besser für das Auge und sparsamer, denn die Lampe verbraucht natürlich nur da Strom, wo das Licht angeschaltet, also der Ringvorhang aufgezogen, wurde“, erklärt Pinkert.

Die Lampe funktioniert dank einer Vielzahl von aneinandergereihten LED-Lämpchen. Mithilfe der LEDs und einer Sensorik wird es möglich, die Ringe per Hand zu steuern und so das Licht per Vorhangprinzip auf- und zuzuziehen.

Pinkerts Idee überzeugte die Professoren, sodass er ein Patent auf seine Erfindung anmeldete und nach dem Studium ein zweijähriges Stipendium zur Entwicklung der Leuchte bekam. Zusammen mit einem Team von zwei Ingenieuren und zwei Kaufmännern entstanden ein Prototyp und ein Verkaufskonzept. Im vergangenen Jahr folgte dann die Gründung der Dresdner dreiplus GmbH unter Pinkerts Leitung.

Die Weiterentwicklung des Produkts für den Markt dauert derzeit noch an. Noch im Laufe dieses Jahres soll die Leuchte voraussichtlich in zwei Schienen vertrieben werden. „Wir wollen einerseits Design- und Wohnraumleuchten, zum Beispiel für Küchenzeilen, produzieren. Andererseits könnten die berührungslos steuerbaren Leuchten auch an Labore und Krankenhäuser verkauft werden“, so der junge Erfinder. Die Lampen sollen dann in Mittweida und Lauenstein hergestellt werden.

Nicole Laube

(erschienen in SAX 02.12, Seite 10/11)

Weiterlesen

Freier Eintritt dank Kassensturz

Militärhistorik für klamme Geldbeutel

Manche Besucher im Militärhistorischen Museum haben sich in den vergangenen Tagen sicher schon ein bisschen gewundert. Nach der Eröffnung Mitte Oktober und der ersten Aufwärmphase bis Ende Dezember ist der Eintritt im Museum gegenwärtig noch immer frei. Und das soll er „bis auf Weiteres“, wie es aus der Pressestelle heißt, auch bleiben. Über die Gründe indes schweigt sich diese aus.

„Änderungen werden zeitgerecht über die Presse und auf unserer Homepage kundgetan“, hieß es heute auf Anfrage lediglich dazu. Kann sich die Bundeswehr das leisten? Sicher nicht. Aber wie www.elbmargarita.de aus zuverlässiger Quelle  erfuhr, sind wohl Probleme mit dem Kassensystem im Museum schuld an der unfreiwilligen Großzügigkeit. Immerhin, die Besucher und Dresdentouristen freut’s! (NL)

Weiterlesen

„Dresden grüßt seine Gäste …“

Ein Erlebnisbericht zum 13. Februar

Seit Jahren nutzen Neonazis den 13. Februar, um das Gedenken an Krieg und Zerstörung für ihre Zwecke zu missbrauchen und einen der größten Aufmärsche Rechtsradikaler in Europa zu organisieren. Besonders nach den Krawallen vom letzten Jahr wurde heftig diskutiert, wie die Stadt und ihre Menschen sich gegen die Vereinnahmung dieses Gedenktages wehren können. Meinungen gibt es viele, Möglichkeiten auch.

Auch ich beteilige mich seit Jahren an den Protesten und auch den diesjährigen 13. Februar habe ich dick eingepackt auf den Straßen von Dresden erlebt.

Nachdem ich mich an einem Treffpunkt einer größeren Menge Gegendemonstranten angeschlossen hatte, war relativ schnell klar, wo ich den Rest des Tages verbringen würde: Die Straßenkreuzung vor dem World Trade Center war einer der beiden Blockadepunkte, die sich direkt auf der geplanten Demonstrationsstrecke der Rechtsradikalen befand. Umstellt von Polizeikräften harrten hier mehrere hundert Gegendemonstranten in der Kälte aus. Die Menschenkette fand etwa zeitgleich statt und entgegen der Annahme, dass das bürgerliche Dresden neben diesem symbolischen Akt des Protestes und des stillen Gedenkens an der Frauenkirche für aktiven Protest nichts übrig habe, gesellten sich hunderte der Teilnehmer der Menschenkette nach deren zu den Menschen an die beiden Blockadepunkte.

Das Bild, das sich dort bot, war vielfältig: Bunt verkleidete, tanzende Demonstranten neben parteifahnenschwenkenden Mitvierzigern, trommelnde Alternative neben Gruppen von Schülern, alte Menschen neben Jungen, Urdresdner neben eigens Angereisten. Überall schwebten pinke Luftbalons mit der Aufschrift „Dresden stellt sich quer“, Seifenblasen schwirrten durch die Luft, es gab Musik aus Lautsprecherwagen und von einer Liveband.

Stundenlang harrten die Leute hier in der Kälte aus, die Stimmung war fröhlich und entspannt; man half sich gegenseitig mit Decken und Getränken aus, über Liveticker und Durchsagen kam immer wieder die Meldung: „Durchhalten.“

Und tatsächlich bewirkten die beiden Blockaden eine erhebliche Verkürzung der geplanten Strecke. des rechten Fackelzuges; nicht mal ein Kilometer Strecke war mehr übrig geblieben: Jubel an den Blockadepunkten. Gefeiert wurde dann mit einer Abschlusskundgebung  auf dem Postplatz; mit erfrorenen Füßen und lauter Musik.

Kritiker mögen jetzt einwenden, dass angesichts der Opfer Dresdens und  angesichts des Leidens, das der Zweite Weltkrieg über Europa gebracht hat, ein lauter, bunter, fröhlicher Protest eine geschmacklose Entgleisung ist.

Dem möchte ich entgegensetzen, dass gerade die Vielfalt, die die Dresdner an diesem Tag an den Tag legen das offenbart, was diese Stadt für mich ausmacht.

Das stille Gedenken der Angehörigen am Heidefriedhof und das Kerzenmeer am Neumarkt zeugten von den Wunden, die in Dresden wohl nie ganz  verheilen werden. Die Menschenkette erzeugte ein eindrucksvolles Sinnbild für die Überzeugung der Nachgeborenen, dass die Stadt vor denen geschützt werden muss, die ihre Geschichte für ihre Zwecke vereinnahmen wollen. Auch die Menschen der Blockaden verfolgen dieses Ziel, denn eines ist klar: Dresden hält zusammen.

Annett Baumgarten

Weiterlesen

Die gehässige Hedda

Ibsens „Hedda Gabler“ am Staatsschauspiel

„Der große Jammer dieser Welt ist, dass so viele Menschen nichts anderes tun als dem Glück nachzujagen, ohne es zu finden.“ (Henrik Ibsen)

Auf den ersten Blick könnte Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ fast ein wenig an Effi Briest erinnern. Aber nur fast. Denn während die junge Effi ihrem zwar wohlständigen dafür aber allzu trögen Ehealltag per Affäre zu entkommen versucht, sieht Hedda gar keinen Ausweg aus der selbstgewählten Langeweile. Zwar ahnt Ibsens Protagonistin, dass das Leben mehr für sie hergeben könnte, doch ist sie nicht fähig herauszufinden, was davon sie genau haben will.

Regisseur Tilmann Köhler zeigt Hedda in seiner Inszenierung am Staatsschauspiel Dresden (Neufassung von Thomas Freyer) daher auch als modernen Überflussmenschen, der von allem zu viel hat, nichts mehr ernst nehmen kann und am Ende vor allem an sich selbst scheitert. Der Spiegel auf der Bühne (Karoly Risz) ist hier nicht nur raffinierte Kulisse, sondern wird gleichsam zum ironischen Selbstzweck – als Spiegel einer Gesellschaft, die im Überfluss ihrer Möglichkeiten zu ertrinken droht.

Ina Piontek lässt die schwierige Figur der frustriert gelangweilten, stur an ihrem Platz verharrenden Hedda Tesmann (geborene Gabler) dabei zu einem Menschen werden, den man irgendwie zu kennen glaubt. Anstatt die Tristesse mit dem chaotischen Lebemann Eilert Løvborg (herrlich verpeilt: Christian Erdmann) zu betäuben (der Effi-Weg), beginnt sie – unfähig, sich mit ihrem Alltag zu arrangieren, noch daraus auszubrechen – ein verhängnisvolles Machtspiel, das Løvborg schlussendlich ins Verderben stürzen wird. Christian Friedel gibt den Hedda-Gatten Jørgen Tesmann als Antifigur zu Løvborg phasenweise fast zu jugendlich, gewollt-komisch, mal naiv, immer aber lebensfroh, sodass die Figur weit weniger langweilig als ihr Ruf daher kommt.

Am Ende entspinnt sich auf der Bühne ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht, in dem sich Hedda als Außenseiterin ohne Lebenssinn entblößt. Das alles passiert auf witzig ironische Weise, entwickelt sich allerdings in der ersten Hälfte noch zu langatmig. Auch die von Ibsen bewusst angelegten Dreiecksbeziehungen zeigen sich in der Inszenierung nur in Andeutungen. Die tiefgreifende Psychologie des Originals ist nur noch schemenhaft erkennbar. So bleibt das Stück bis zum Schluss vor allem ein heiterer Spiegel der Gesellschaft, der in erster Linie von der schauspielerischen Leistung des Ensembles lebt. Für einen unterhaltsamen Theaterabend reicht das jedoch allemal.

Nicole Laube

(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“, vom 25. Januar 2012)

Dresden, Kleines Haus, wieder am 25.01.2012, um 19.30 Uhr und am 08.02.2012, 19.30 Uhr

Weiterlesen

Dresdner Kunstpreis für Volker Braun

Jury ehrt den Schriftsteller für sein Werk

Der Schriftsteller Volker Braun erhält den Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden 2012. Braun wurde am 7. Mai 1939 in Dresden geboren. Er gehört zu den bekanntesten Schriftstellern der DDR und der deutschen Gegenwartsliteratur. Bekannt wurde er unter anderem durch die Erzählung „Die unvollendete Geschichte“.

Der Dresdner Kunstpreis wird seit 1993 an ausgewählte Künstlerinnen und Künstler vergeben. Ausgezeichnet werden sie für ihr Werk und für künstlerische Leistungen von herausragender Bedeutung. Die Vorschläge für die Ehrungen kommen aus Dresdner Vereinen, Verbänden, Kultureinrichtungen und dem Kulturausschuss. Eine Jury wählt die Preisträger aus. In der Begründung der Jury heißt es „Mit Volker Braun würdigt die Jury einen Künstler, dessen Werk einen unverwechselbaren Platz in der zeitgenössischen europäischen Literatur einnimmt und dessen biographische Wurzeln zugleich eng mit Dresden verbunden sind.“

In der Geburtsstadt geehrt zu werden, sei immer eine besondere Freude, sagte Braun zu der Auszeichnung. „Vor allem, wenn es Dresden ist. Dresden ist die Heimat geblieben.“ Oberbürgermeisterin Helma Orosz wird den Preis am 17. März 2012 im Festspielhaus Hellerau übergeben. (NL)

Weiterlesen