In Dresden jagt ein Stadtteilfest das nächste. Nachdem am vergangenen Wochenende die Bunte Republik Neustadt lockte, schlenderten die Dresdner vom 22. bis zum 24. Juni über das 22. Elbhangfest die Pillnitzer Landstraße entlang. Ob Trödelmarkt oder Drachenbootrennen, Konzerte oder Fußball-EM – das Fest lockte auch in diesem Jahr mit Sport, Kultur, Leckereien und Kuriosem. Hier spielte eine bekannte Dresdner Band fast unerkannt am Straßenrand, dort war ein bis auf die Räder eingestrickter VW-Bus zu bewundern – und dabei stand das Wochenende am Elbhang dieses Mal ganz im Zeichen der Frauen … Elbmargarita hat ein paar Impressionen gesammelt.
Alae iacta sunt. – Die Würfel sind gefallen. Die TU Dresden ist seit einer Woche offiziell Exzellenzuniversität. Eine von insgesamt nur elf in Deutschland, die diesen Titel nach jahrelangem Ringen nun zunächst bis 2017 tragen dürfen. Mit kindlichem Strahlen im Gesicht verkündete TU-Rektor Hans Müller-Steinhagen die Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Wissenschaftsrates am vergangenen Freitag, dem 15. Juni 2012. Ein historischer Tag für die TU Dresden, die nun für ihre vier exzellenten Forschungsprojekte (die Forschungszentren in der Biomedizin, der Mikro- und Nanoelektronik, die Graduiertenschule für Regenerative Therapien und das die ganze Uni betreffende Zukunftskonzept „Synergetische Universität“) bis 2017 voraussichtlich 140 Millionen Euro von Bund und Land bekommt.
Die Freude war groß und viel ist in der vergangenen Woche schon zu „unserer“ frischgebackenen Exzellenzuni geschrieben worden, die Dresden ganz nebenbei natürlich auch ein strahlendes Image als Wissenschaftsstandort beschert. Und doch bleiben, nachdem die ersten Jubelschreie verklungen sind, viele Fragen.
Selten in ihrer Geschichte hat die Universität wohl so im Fokus gestanden wie in diesen Tagen. Und auch in Zukunft werden sich die Blicke wohl ein wenig häufiger zur TU Dresden richten als vorher. Denn Dresdens Universität ist mit dem Exzellenztitel mehr denn je ins Rampenlicht gerückt. Die Anfragen zukünftiger Studenten sollen sich schon wenige Tage nach Verkündung der frohen Botschaft auffällig erhöht haben. Mehr Studenten als jetzt wird die Uni jedoch auch im neuen Semester nicht aufnehmen können. Der Grund: Die Universität arbeitet seit Jahren am Limit ihrer Möglichkeiten. Dass sie trotzdem im bundesweiten Exzellenzwettbewerb erfolgreich war, ist ein Zeichen besonderer Effizienz, sagte Rektor Müller-Steinhagen am 15. Juni. Es ist aber auch einer gewissen idealistischen Grundeinstellung vieler ihrer Mitarbeiter zu verdanken. Wahrscheinlich ist es auch dieser Idealismus, den Müller-Steinhagen noch am Tag der Entscheidung sympathisch mit dem Begriff des „Dresden Spirit“ umschrieb.
Allein mit Idealismus können und werden die Erwartungen, die nun an Dresdens exzellente Alma Mater gestellt werden, jedoch nicht erfüllt werden. Folgerichtig verkündete die Sächsische Landesregierung noch am Freitag (15.6.), dass sie die geplanten Stellenkürzungen an der TU Dresden (bis 2015 sollen rund 300 Stellen an allen sächsischen Hochschulen gestrichen werden, 95 allein davon an der TU Dresden) aussetzen werde. Das ist sicher ein Zeichen in die richtige Richtung, aber für eine Hochschule, die ab sofort vier exzellente Konzepte realisieren möchte und schon seit Jahren auch ohne Stellenstreichungen im Bundesvergleich unterdurchschnittlich budgetiert ist, lange nicht genug. Etwa 6500 Euro stehen der TU Dresden derzeit im Jahr pro Student zur Verfügung. Das sind pro Student rund 2000 Euro weniger als im deutschen Durchschnitt.
Die Leidtragenden, nicht nur der Sparpolitik, sondern auch im Exzellenzwettbewerb, werden folglich neben den anderen sächsischen Hochschulen die Studierenden sein. Und zwar vornehmlich jene, die nicht an den exzellenten Fakultäten lernen und in deren Studiengängen schleichend Professuren dem Geldmangel zum Opfer fallen. So beklagen beispielsweise die Studierenden der Freien Universität Berlin – diese ist bereits seit 2006 Exzellenzuni –, dass Lehre und Forschung an der Freien Universität seit Erhalt des Exzellenztitels nur umso mehr auf marktfähige Inhalte reduziert und beispielsweise die Geistes- und Sozialwissenschaften zugunsten anwendungsorientierter, meist naturwissenschaftlicher und technischer Fächer abgewertet wurden.
Ähnliches sollte und darf in Dresden nicht passieren. Denn die TU gehörte auch vor dem historischen 15. Juni zweifelsohne in ihrer ganze Breite als Volluniversität schon zu den exzellenten Hochschulen in Deutschland. Und das muss auch mit Titel so bleiben!
Miriam Tscholl inszeniert mit der Bürgerbühne ein amüsantes Spiel mit Verheirateten und solchen, die es mal waren.
Es ist Frühling im Paradiesgarten. Die Vögel zwitschern – und was für welche: Paradiesvögel, Turteltäubchen, Streithähne (Foto: PR/David Baltzer). In Miriam Tscholls Inszenierung „Ja, ich will“ (Stückfassung: Lissa Lehmkühler) geht es so bunt zu wie im Dschungel. Die Piepmätze treffen auf der grünenden Bühne 3 des Kleinen Hauses (Judith Kästner) zusammen und reden über das, was sie alle verbindet: die Ehe.
Ob (noch) glücklich verheiratet oder schon geschieden – die Luftschlösser, Erfahrungen und Probleme, von denen hier die Rede ist, kennt jeder – wenn nicht von sich selbst, so aus Familie, Bekanntenkreis oder aus dem Fernsehen. Sie werden in der aktuellen Aufführung der Bürgerbühne ungekünstelt selbstironisch und ganz ohne Schlammschlachten inszeniert. Nur selten grenzt das Stück ans Klischeehafte, fängt sich dann aber schnell mit herzerfrischend komödiantischen Ideen.
Da ist zum Beispiel der zauberhafte Märchenprinz Michael Sommer, dem alle Frauen zu Füßen liegen, dem sie aus der Hand fressen, den sie vergöttern. Nur nützt es ihm nichts, weil seine Geschichten stets vor der Hochzeitsnacht enden. Da ist der kauzige Pirol (Dietmar Bombach), der die Reisezeit seines Lebens in Kilometer umrechnet und feststellt, jeden zweiten Schritt zusammen mit seiner Frau gegangen zu sein. Und da ist das glücklich verheiratete Schwanenpärchen (Annekatrin und Hagen Bruder), bei dem sich alle anderen fragen: Kann so viel Liebe dauerhaft möglich sein? Dazwischen gibt es auch nachdenkliche, traurige Momente. Die Facetten der Ehe, sie kommen (fast) alle zum Vorschein, in diesen eineinhalb Stunden guter Theaterunterhaltung für Verheiratete sowie auch für die, die es (nicht) noch werden wollen.
Nicole Czerwinka
(erschienen in „ad rem“ 17 vom 20.06.2012)
Kleines Haus 3 Dresden, wieder am: 20.6., 20 Uhr und am 1.7., 19 Uhr
In Dresden wird seit jeher gefragt, geforscht und entdeckt. Allein die Technische Universität meldete 2011 rund 120 Patente an – und ist damit bundesweiter Spitzenreiter. Doch auch an den anderen Hochschulen und Instituten der Stadt köchelt es in den Erfinderstübchen. www.elbmargarita.de stellt in einer losen Serie DDner Entdeckungen vor:
Eine Erfindung, die es Anfang 2011 sogar ins Guinnessbuch der Rekorde schaffte, kam aus dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW). Vier Forscher schafften es, den kleinsten von Menschenhand gefertigten Düsenantrieb herzustellen. Er misst gerade mal 600 Nanometer im Durchmesser und wiegt ein Picogramm (ein Billionstel Gramm). Doch wofür ist so ein Antrieb eigentlich nützlich? „Unsere Vision ist, diese Düsenantriebe als Transporter in der Blutbahn zu benutzen, um Medikamente gezielt an bestimmte Orte zu bringen“, sagt Professor Oliver Schmidt, einer der vier Erfinder des Minidüsenantriebs. Etwa ein Jahr habe die Entwicklung dieser sogenannten Mikro-Container mit Selbstantrieb gedauert, welche nach dem Vorbild biologischer Mikroorganismen konstruiert wurden. Diese Organismen nutzen die chemische Energie ihrer Umgebung und verwenden sie für ihre eigene Fortbewegung.
Der Minidüsenantrieb basiert im Wesentlichen auf dünnen Titan-, Eisen- und Platinschichten, die sich selbst zu winzigen Mikro- und Nanoröhren zusammenrollen. Die innerste Schicht dieser Mikroröhren besteht aus Platin und dient als Katalysator in der Reaktion von Wasserstoffperoxid zu Wasser und Sauerstoff. Dabei bilden sich Sauerstoffblasen, die aus den Mikro- oder Nanoröhren herausgestoßen werden und so zu einer schnellen Bewegung der Röhrchen führen. Durch ein äußeres Magnetfeld kann diese Bewegung ferngesteuert werden. Sogar das Be- und Entladen der durch die Mikro-Röhren transportierten Fracht ist durch ein Magnetfeld präzise steuerbar. In ersten Experimenten konnten die Forscher auf diese Weise bis zu 60 Styroporkügelchen sowie metallische Nanoplättchen durch die Flüssigkeit transportieren. „Die Antriebe können mittlerweile gezielt angehalten und wieder beschleunigt werden. Sie können sich auch schon von selbst – wie kleine Minibohrer – in Zellmaterial hineinbohren und ferngesteuert gelenkt werden“, erklärt Schmidt.
Wann diese Technologie in der Medizin schlussendlich zum Einsatz kommen kann, darüber spekuliert Schmidt derzeit allerdings nur ungern: „Die Vorhersage ist sehr schwierig. Mittlerweile arbeiten Gruppen in den USA und in China an der Technologie. Wenn alles gut geht, dann gibt es eine Anwendung in etwa zehn Jahren.“
Glänzende Karossen und knatternde Motoren waren heute (9. Juni) zum Start der ersten TUD Campus Classics hinter dem Hörsaalzentrum der Technischen Universität Dresden zu bestaunen. Im Rahmen des Uni-Tags präsentierten Mitarbeiter, Studenten und Alumni der Universität insgesamt 38 Oldtimer, darunter auch vier Motorräder. Ob Trabi, Käfer, Wartburg, Skoda, Mercedes, Ford, VW, Maserati, Barkas oder BMW – die Fahrzeuge haben bis zu 110 Jahre auf dem Blech. Kurz nach 11 Uhr brachen die Wagen angeführt von Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen zu einer rund 70 Kilometer langen Rundfahrt auf, die über die drei Hauptstandorte der TUD führte: Zentralcampus, Tharandt, Campus Johannstadt.
An der Gläsernen Manufaktur wird gegen 14.45 Uhr die nächste Aufstellung des Feldes sein. Gegen 17 Uhr kehren sie dann zur Schlussaufstellung in der Mommsenstraße zurück.
Torsten Ranft (vorn) ist Liliom am Staatsschauspiel Dresden (Foto: PR/Matthias Horn).
„Liliom“ am Kleinen Haus Dresden
„Auf jeden Schrecken ein Bier“, sagt der Schausteller Liliom (Torsten Ranft) und lässt die leere Flasche die schräge Bühne im Kleinen Haus Dresden hinunterrollen. Die Hauptfigur in Franz Molnars gleichnamigen Stück ist ein Raubein, ein armer Schlucker und Schlawiner, der seine Freundin Julie (Cathleen Baumann) schlägt und nie Geld hat. Eine traurige Figur, die erst im Himmel zum Menschen wird.
Franz Molnars „Liliom – Eine Vorstadtlegende in sieben Bildern“ hat es schon bei der Uraufführung 1909 in Budapest nicht leicht gehabt. Molnars Stück – irgendetwas zwischen sozialem Drama und Tragikkomödie – floppte. Und auch die Premiere der deutschsprachigen Übersetzung von Alfred Polgar in Berlin 1912 war kein großer Erfolg. Erst die Aufführung am Theater in der Josefstadt Wien lief besser. Von da an wurde „Liliom“ zum Selbstläufer. Hans Albers hat es allein 1800 Mal in Berlin gespielt, das Sujet wurde mehrfach verfilmt und Vorlage für das Musical „Caroussell“.
So richtig verruchte Rummelatmosphäre will allerdings in der Inszenierung von Hausregisseurin Julia Hölscher am Staatsschauspiel Dresden nicht aufkommen. Das überwiegend düstere Bühnenbild (Esther Bialas) beschränkt sich hier auf jene Bierflaschen auf schräger Bühne und einen großen Kasten, ein Schrank mit Ziehharmonikatüren, der auf der Schräge beständig auf- und niederfährt und sich hin und wieder für musikalisch durchaus stimmungsvolle Szenen öffnet. Das darin versteckte bunte Licht und eine kleine Kapelle sind ist alles, was hier ans Schaustellermilieu erinnert.
Ansonsten sind die Figuren im Mittelpunkt der Szenerie. Sie zeigen eine kaputte Gesellschaft kleiner Leute am Rande des Lebens. In abgewetzten Hemden hecken die Männer Pläne aus, um an Geld zu kommen, während die kurz berockten Mädels (Kostüm: Ulli Smid) sich über die Liebe austauschen. Marie (Annika Schilling) scheint es mit ihrem Wolf dabei noch besser getroffen zu haben, als Julie mit ihrem Liliom. Das Spiel dieser drei Hauptfiguren wirkt vor allem zu Beginn allerdings noch zu wenig lebendig, ist weder berührend noch zieht es den Zuschauer hinreichend in das Stück hinein. Torsten Ranft gibt den Zyniker Liliom in der ersten Hälfte noch etwas farblos, eigentlich emotionale Stellen wirken dagegen eher künstlich akzentuiert. So entsteht eine Distanz, die schnell in Langeweile umschlagen kann. In den dialoglastigen Szenen des Anfangs wirkt der Wiener Dialekt der deutschen Übersetzung von Alfred Polgar zudem allzu angestrengt, Dialektsprache wechselt ungeschickt mit Hochdeutsch.
Doch dann öffnet sich der große Kasten wieder einmal, die bunten Lichter erstrahlen und die Musik der Einmann-Kapelle (Tobias Vethake) erfüllt den Raum, rauschhafte Szenen spielen sich ab und Benjamin Höppner tanzt als Ficsur plötzlich nackt im Schrank. Das ist verstörend und überzogen, aber immerhin passiert nun endlich etwas. Auch als Liliom anschließend seinen Raubüberfall plant, nimmt das Stück langsam Fahrt auf. Torsten Ranft hat die kühle Distanz des Anfangs nun gänzlich überwunden und bringt die Figur Liliom in ihrer ganzen Ambivalenz auf die Bühne. Als dieser im hellen Licht stirbt, später wieder unter Engelsmusik im Himmel erwacht und von seiner ungeborenen Tochter erfährt, wird es sogar für kleine Momente lang berührend.
Ansonsten sind die sieben Bilder des Stückes bis zum Schluss kaum voneinander zu unterscheiden. Die Inszenierung bewegt sich bis auf diese wenigen prickelnden Momente überwiegend im Nebulösen, Ungreifbar-Abstrakten. Und die tragische Figur des kleinen Rummelschaustellers „Liliom“ verschwindet ins Dunkel, als hätten sich die Türen des hell erleuchteten Kapellenschränkchens auf der Bühne eben wieder geschlossen.
Kleines Haus Dresden, wieder am 11.6., 26.6., 03.07., jeweils 19.30 Uhr
Regisseurin Bettina Bruinier lässt in Mozarts „La clemenza di Tito“ an der Semperoper Fuchs und Adler zusammentreffen und vereint so Oper und Fabel auf neuartige Weise.
Irgendwie scheint es clever, Mozarts messerscharfen musikalischen Figurencharakterisierungen in „La clemenza di Tito“ ein tierisches Gesicht zu verleihen. So wird der milde Herrscher Titus (Steve Davislim ) in der aktuellen Inszenierung an der Semperoper zum Adler und dessen durchtriebene Angebetete Vitellia (Amanda Majeski ) zur schlauen Füchsin. Regisseurin Bettina Bruinier gibt dem Stoff damit eine ganz neue, ironisch-fabelhafte Ebene (Kostüme: Mareile Krettek). Abgesehen davon spielt die Geschichte um Verrat und Güte an der Semperoper aber genau dort, wo Mozarts Librettist Pietro Metastasio sie 1791 anlegte: im alten Rom (Bühne: Volker Thiele). Dort überflügelt Adler Titus sein Reich, während Füchsin Vitellia und Hund Sesto (Anke Vondung) Intrigen spinnen (Foto: PR/Matthias Creutziger). Alle drei brillieren mit grandiosen Sangesleistungen. Vor allem Steve Davislim verfügt stimmlich über alles, was Mozarts Herrscherpartie braucht.
Spätestens im zweiten Akt, Rom ist längst in Schutt und Asche gebrannt, gerät das Tierfigurengefüge der Inszenierung jedoch ein wenig ins Wanken. Hund Sesto ist der Erste, der seine tierische Maske zugunsten reuiger Menschlichkeit fallen lassen darf. Der Zuschauer jedoch muss nach den bunten Szenen des ersten Aktes nun ein eher statisches Spiel in Kauf nehmen. Nicht nur die Masken der Protagonisten, auch die der Inszenierung scheint sich an dieser Stelle zu lüften, wird die Reduktion der eigentlich bis heute universell gültigen Oper auf eine klassische, eher brave und daher langweilige Lesart nun überdeutlich. Spannend ist hier allein die musikalische Interpretation von Sängern und Staatskapelle unter der Leitung Tomáš Netopils. Auch wenn der Schlusschor am Ende noch einmal zur gewaltigen Szene gerät, so bleibt das Werk insgesamt zwar als gelungene, jedoch keinesfalls herausragende Regiearbeit in Erinnerung.
Nicole Czerwinka
(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“ Nr. 15 vom 06.06.2012)
Semperoper Dresden, wieder am 08.06. und 15.6., 19 Uhr
Martin Grubinger begeistert bei den Musikfestspielen
Es ist eine Begegnung zwischen klassischer Kammermusik und exotischen Perkussionrhythmen, die die Dresdner Musikfestspiele am Donnerstagabend (31.5.) unter dem Motto „Martin Grubinger & Friends“ in der unkonventionellen Kulisse des gemeinhin unschön „Eventwerk“ getauften Tanztempels im alten Industriegelände bescheren. Im ungewöhnlichen Mittelpunkt des Ganzen steht der Salzburger Perkussionist Martin Grubinger (Foto: PR/Oliver Killig). In einfache schwarze Hose und T-Shirt gekleidet, entspricht der 29-Jährige weder dem Typ eines geschniegelten österreichischen Orchestermusikers noch dem des abgedrehten Schlagzeugrockers. Für die beeindruckende Begegnung von Schlagzeug mit Kammermusik hat er sich in Dresden seine Freunde und Kollegen Roland Greutter (Violine), Christopher Franzius (Violoncello), Per Rundberg (Klavier), Martin Grubinger sen. und Leonard Schmidinger (beide am Schlagzeug) mit auf die Bühne geholt.
Mit Viktor Dereviankos Bearbeitung von Schostakowitschs Sinfonie Nr. 15 A-Dur beginnt das Konzert dabei zunächst noch nahezu klassisch. Die Hauptperson, Grubinger, sitzt jedoch, während sich der erste Schostakowitsch-Satz langsam durch Klavier- und Streicherpartien hindurch entfaltet, zunächst noch seelenruhig da, scheint sich jede Note konzentriert auf der Zunge zergehen zu lassen. Es dauert einige Takte, bis er selbst die Schlagzeugstöcke in die Hand nimmt, sich noch einmal in Positur rückt, um zunächst weitere Takte verstreichen zu lassen und schließlich einen Trommelwirbel anstimmt. Aus der Vogelperspektive der Galerie betrachtet, wirkt das Konzert an dieser Stelle fast wie ein musikalisches Schauspiel, wie die Filmdokumentation eines Schlagezeugers und seiner Mannschaft – beinahe ironisch. Als es in dem mit Adagio-Largo überschriebenen zweiten Satz draußen plötzlich zu regnen beginnt, ist vom Perkussion zwar noch immer nicht viel zu hören, die Stimmung im Eventwerk aber perfekt. Die Töne streichen im melancholischen Takten dahin, während es vor den Türen leise plätschert. Ein atmosphärischer Höhepunkt. Auch jetzt sitzt Grubinger wie unberührt an seinem Instrument, hochkonzentriert, bis die Ruhe des Satzes in einer musikalsichen Explosion mündet, zu der auch er das Seine beiträgt. Alle sechs Musiker sind dabei aufs Feinste aufeinander eingestimmt, die Übergänge gelingen absolut präzise – sodass der Eindruck eines sorgfältig gewebten Klangteppichs entsteht, den man akustisch betrachtet. Dieses sehr spannungsvolle Spiel ist voller Kraft. Allein im vierten Satz verliert es einen kleinen Augenblick lang an Brillanz, jedoch kaum merklich. Nein, langweilig wird es nicht – und doch ist schnell klar, dass Schostakowitsch hier allenfalls das Aufwärmstück ist. Denn Meister Grubinger hat bisher kaum Möglichkeit, die großen Versprechen des Programmheftes – das ihn als einen der derzeit weltbesten Trommler bezeichnet – einzulösen, sich selbst in seiner Kunst zu entfalten. Man ahnt vor der Pause: Da kommt noch was!
Und so ist es auch: Während die Anwesenden im Industriegelände schnell frische Regenluft schnuppern, wird die Bühne komplett umgebaut. Mehrere Schlagzeuge, darunter allein zwei riesige Perkussion, stehen jetzt auf dem Podest. Der zweite Teil beginnt dann mit „Rebonds B“ von Iannis Xenakis (1922-2001), einem Stück, das Martin Grubinger in einer flotten Anmoderation kurz als den „Klassiker für Schlagzeuger“ bezeichnet. Jetzt ist der Virtuose in ihm erwacht. Das Stück ist laut und mitreißend zugleich. Grubinger bietet es in beeindruckender Weise dar. Endlich bekommt er seinen Soloauftritt, entführt das Publikum nun in seine Welt der Schlagzeugmusik. Er hat sein Handwerk verinnerlicht, das sieht und hört man schon in den ersten Takten. Die Rhythmen fliegen nur so dahin und am Ende ist man überzeugt: Dieser Mann macht aus selbst dem Küchenschrank seiner Oma noch Musik!
Und am Ende kriegen sie sich doch. Das ewige Lied von der scheinbar unerfüllten Liebe des einen zum anderen, wobei die glückliche Wendung am Ende doch noch unterwartete eintrifft, wird auch in Gaetano Donizettis Oper „Der Liebestrank“ gesungen. Das „Melodramma“ in zwei Akten kommt dabei in Michael Schulz Inszenierung an der Semperoper Dresden leichtfüßig daher. Fast schon operettenhaft wechseln die Bilder auf der Bühne, da tauchen Gardegruppen aus dem Boden auf (Foto: PR/Matthias Creutziger) oder werden Schiffe auf die Bühne gefahren. Nein, langweilig wird es nicht, obwohl – und das wird schon im ersten Akt deutlich – das Stück gemeinhin ja als Sängeroper gilt. So gerät der Abend zu einem vergnüglichen Opernerlebnis obendrein vollgestopft mit eingängigen italienischen Partien.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden bringt diese Musik unter der Leitung von Riccardo Frizza in gewohnt brillanter Weise zum Klingen. Gesanglich bleiben vor allem die beiden Hauptfiguren in Erinnerung. Nadja Mchantaf in der Partie der Adina, die fast durchgängig auf der Bühne präsent ist und dies souverän meistert, sowie Giorgio Berrugi, der den innbrünstig liebenden Nemorino mit kraftvoller Stimme interpretiert. Gleich im ersten Akt liefern sich die beiden ein leidenschaftliches Duett – bevor dann schließlich ein geheimnisvoller Liebestrank Abhilfe schaffen soll, damit Adinas Liebe zu Nemorino endlich entfacht. Doch Donizetti wäre ein Spielverderber und die Oper rasch vorbei, wenn der Placebo-Trank so schnell Wirkung zeigen würde. Das Publikum bleibt jedoch bis zum letzten Takt bestens unterhalten.
Nicole Czerwinka
(erschienen in Hochschulzeitung „ad rem“ vom 23.5.2012)
Semperoper Dresden, Donizettis „Liebestrank“ wieder am 25.5., 11 Uhr
Die erste „Lange Nacht der Dresdner Theater“ ist laut Informationen der Veranstalter ein voller Erfolg gewesen. Über 6500 Theaterenthusiasten haben am vergangenen Samstag (12.5.) die Stadt bevölkert und insgesamt 20 000 Eintrittskarten sind an den einzelnen Spielstätten über die Schalter gewandert.
Viel gäbe es von dieser wunderbaren Theaternacht (Fotos: A. Baumgarten) zu beschreiben, so loben und zu erwähnen, doch von allen Veranstaltungen war eine besonders faszinierend und anregend. „Die Unterbrechung. Ein Radioballet“ stand in Hellerau auf dem Plan und gerade die einigermaßen nebulöse Ankündigung im Programmheft trug dazu bei, ausgerechnet diese Veranstaltung auszusuchen.
Am Einlass bekamen die Gäste einen Radioempfänger mit Kopfhörern ausgehändigt und schon dieser Umstand hätte als Hinweis dienen können, dass diese Veranstaltung wohl nicht der allgemein üblichen Vorstellung von Ballet entsprechen sollte. Tatsächlich hat die Gruppe „Ligna“, die die Veranstaltung konzipiert hat, ein besonderes Experiment im Sinn gehabt: Ausgehend von den Choreographien des ungarischen Tanzlehrers Rudolf von Laban sah das Konzept vor, dass die Besucher selbst ein Teil eines so genannten Bewegungschores werden sollten.
Als Phänomen ihrer Zeit wurde diese Form der gemeinschaftlichen Bewegung schnell von den Nationalsozialisten vereinnahmt und geriet nach dem Ende des Dritten Reiches so schnell in Vergessenheit, wie sie aufgekommen war. Im kulturellen Gedächtnis geblieben sind vor allem die monumentalen Choreographien der Olympischen Spiele des Jahres 1936, die Laban vorbereitet hatte und die seither zu einem Sinnbild für den Wahn vom Herrenmenschen geworden sind.
Über Radiompfänger bekamen die in drei Gruppen eingeteilten Gäste synchronisierte Anweisungen, aber auch die Hintergrundinformationen zu Laban und seinem Wirken: „Bewegen Sie sich frei im Gelände. Machen Sie dabei jeweils drei kurze und dann einen langen Schritt. Bilden Sie einen großen Kreis; achten Sie darauf, dass Sie nicht mehr als eine Armläge von den Personen links rechts von Ihnen entfernt zu stehen. Machen Sie einen Schritt nach links, noch einen, noch einen. Schwingen Sie ihre Arme nach jedem dritten Schritt nach links, nach wieder drei Schritten nach rechts.“
Wer das liest, kann sich vorstellen, wie sich die Gesichtsausdrücke der Menschen von Staunen, über Unglauben hin zu beschämtem Lachen veränderten. Einige gingen sofort, doch die meisten blieben. Auch die älteren Damen im Ausgehkostüm, die hippen Jugendlichen, die Kinder und Päärchen. Auf der Wiese hinter dem Festspielhaus tanzten dann also etwa 100 Menschen Ringelreihen, legten sich ganz nach Anweisung auf den Rasen und lachten oder bildeten große, sich bewegende Figuren. Und es war schön; ein faszinierendes und berührendes Erlebnis.
Denn wider alle Erwartungen bildete sich eine Art Gemeinschaftsgefühl, man lachte zusammen und die Gesichter um einen her wurden offener, freundlicher. Am Ende blieb man nicht nur belustigt und beschwingt sondern auch sehr nachdenklich zurück. Zu einer Gruppe zu gehören, sich mitreißen zu lassen, an der Gemeinschaft teilzuhaben ist eben doch ein menschliches Grundbedürfnis. Wie schnell das Gefühl von Gemeinschaft entsteht und wie einfach es ist, Menschen über dieses Gefühl zu den ungewöhnlichsten Handlungen zu verleiten macht nachdenklich und betroffen.
Warum sind nicht mehr Leute gegangen? Warum bin ich nicht gegangen? Warum habe ich mitgemacht? Warum hat es mir gefallen? Das sind Fragen, die sich der ans oftmalige bloße Konsumieren gewöhnte Theaterbesucher wohl stellen mochte. „Die Unterbrechung“ zeigt einmal mehr, was moderne Theaterkunst leisten kann. Sie weist über sich hinaus, lässt den Besucher allein mit seinen Fragen zurück und bewirkt damit, dass er auch nach dem Theaterbesuch weiter reflektiert, nachdenkt und nachfragt. Die Antworten muss er dann selbst finden.