Resümé der ersten Langen Nacht der Theater
Die erste „Lange Nacht der Dresdner Theater“ ist laut Informationen der Veranstalter ein voller Erfolg gewesen. Über 6500 Theaterenthusiasten haben am vergangenen Samstag (12.5.) die Stadt bevölkert und insgesamt 20 000 Eintrittskarten sind an den einzelnen Spielstätten über die Schalter gewandert.
Viel gäbe es von dieser wunderbaren Theaternacht (Fotos: A. Baumgarten) zu beschreiben, so loben und zu erwähnen, doch von allen Veranstaltungen war eine besonders faszinierend und anregend. „Die Unterbrechung. Ein Radioballet“ stand in Hellerau auf dem Plan und gerade die einigermaßen nebulöse Ankündigung im Programmheft trug dazu bei, ausgerechnet diese Veranstaltung auszusuchen.
Am Einlass bekamen die Gäste einen Radioempfänger mit Kopfhörern ausgehändigt und schon dieser Umstand hätte als Hinweis dienen können, dass diese Veranstaltung wohl nicht der allgemein üblichen Vorstellung von Ballet entsprechen sollte. Tatsächlich hat die Gruppe „Ligna“, die die Veranstaltung konzipiert hat, ein besonderes Experiment im Sinn gehabt: Ausgehend von den Choreographien des ungarischen Tanzlehrers Rudolf von Laban sah das Konzept vor, dass die Besucher selbst ein Teil eines so genannten Bewegungschores werden sollten.
Als Phänomen ihrer Zeit wurde diese Form der gemeinschaftlichen Bewegung schnell von den Nationalsozialisten vereinnahmt und geriet nach dem Ende des Dritten Reiches so schnell in Vergessenheit, wie sie aufgekommen war. Im kulturellen Gedächtnis geblieben sind vor allem die monumentalen Choreographien der Olympischen Spiele des Jahres 1936, die Laban vorbereitet hatte und die seither zu einem Sinnbild für den Wahn vom Herrenmenschen geworden sind.
Über Radiompfänger bekamen die in drei Gruppen eingeteilten Gäste synchronisierte Anweisungen, aber auch die Hintergrundinformationen zu Laban und seinem Wirken: „Bewegen Sie sich frei im Gelände. Machen Sie dabei jeweils drei kurze und dann einen langen Schritt. Bilden Sie einen großen Kreis; achten Sie darauf, dass Sie nicht mehr als eine Armläge von den Personen links rechts von Ihnen entfernt zu stehen. Machen Sie einen Schritt nach links, noch einen, noch einen. Schwingen Sie ihre Arme nach jedem dritten Schritt nach links, nach wieder drei Schritten nach rechts.“
Wer das liest, kann sich vorstellen, wie sich die Gesichtsausdrücke der Menschen von Staunen, über Unglauben hin zu beschämtem Lachen veränderten. Einige gingen sofort, doch die meisten blieben. Auch die älteren Damen im Ausgehkostüm, die hippen Jugendlichen, die Kinder und Päärchen. Auf der Wiese hinter dem Festspielhaus tanzten dann also etwa 100 Menschen Ringelreihen, legten sich ganz nach Anweisung auf den Rasen und lachten oder bildeten große, sich bewegende Figuren. Und es war schön; ein faszinierendes und berührendes Erlebnis.
Denn wider alle Erwartungen bildete sich eine Art Gemeinschaftsgefühl, man lachte zusammen und die Gesichter um einen her wurden offener, freundlicher. Am Ende blieb man nicht nur belustigt und beschwingt sondern auch sehr nachdenklich zurück. Zu einer Gruppe zu gehören, sich mitreißen zu lassen, an der Gemeinschaft teilzuhaben ist eben doch ein menschliches Grundbedürfnis. Wie schnell das Gefühl von Gemeinschaft entsteht und wie einfach es ist, Menschen über dieses Gefühl zu den ungewöhnlichsten Handlungen zu verleiten macht nachdenklich und betroffen.
Warum sind nicht mehr Leute gegangen? Warum bin ich nicht gegangen? Warum habe ich mitgemacht? Warum hat es mir gefallen? Das sind Fragen, die sich der ans oftmalige bloße Konsumieren gewöhnte Theaterbesucher wohl stellen mochte. „Die Unterbrechung“ zeigt einmal mehr, was moderne Theaterkunst leisten kann. Sie weist über sich hinaus, lässt den Besucher allein mit seinen Fragen zurück und bewirkt damit, dass er auch nach dem Theaterbesuch weiter reflektiert, nachdenkt und nachfragt. Die Antworten muss er dann selbst finden.
Annett Baumgarten