Von Ängsten und Träumen …

Rolando Villazón inszeniert Bellinis „La sonnambula“ an der Semperoper als feinsinniges Drama mit Alpenromantik

Es ist der Abend der schönen Stimmen. Mit Vincenzo Bellinis „La sonnambula“ (Foto: Ludwig Olah) holt die Semperoper Dresden eine Belcanto-Oper auf die Bühne zurück, die in Dresden zuletzt vor über 100 Jahren gespielt wurde. Regie führt Rolando Villazón, der die eigentümliche Handlung von der Schlafwandlerin im konservativen Alpendorf gelungen in Szene setzt.

An großen Emotionen wird nicht gespart in dieser Oper. Es geht um Macht und Eifersucht in einer kleinkarierten Welt. Die Bedeutung von Liebe und Freiheit in einer Gesellschaft, die klar vorgegebenen Regeln folgt. Schon Bellinis Librettist Felice Romani ließ die Handlung in einem abgeschiedenen Alpendorf in der Schweiz spielen, dem beinahe jeder Zugang zur Außenwelt verwehrt bleibt. Alles Fremde droht die wohl bekannte Ordnung aus den Fugen zu bringen. Und dann ist da noch dieser vermeintliche Geist, das schlafwandelnde Mädchen, „La sonnambula“.

Villazón erweitert dieses Setting um eine weitere Ebene: Die unterbewusste Welt des Traumes, dem sich Amina, die Schlafwandlerin, anheim gibt. Der Traum als eigener Kosmos, ein Fluchtraum vor der harten Realität. Das Tor zur individuellen Freiheit. Das öffnet den Horizont und umschifft gekonnt so manche Klippe des Librettos. Er inszeniert detailliert und einfühlsam, schafft immer wieder eindrückliche Momente. Das Herz schlägt höher, als Amina und ihr Elvino sich im ersten Akt ein kleines Eifersuchtsdrama liefern, nachdem die Schlafwandlerin zufällig im Zimmer eines Fremden ihren Traum zu Ende träumte.

Amina und Elvino (Foto: Ludwig Olah)

Nach den ersten 30 zähen Minuten ist das dann auch der Moment, von dem an das Stück Fahrt aufnimmt. „Warum kann ich dich nicht hassen?“, fragt Elvino schließlich herzzerreißend im zweiten Akt. Emily Pogorelc und Maxim Mironov sind ein entzückendes Brautpaar. Stimmlich hinreißend das gesamte Ensemble, wobei gerade die junge Sängerin in der Hauptpartie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Noch keine 30 Jahre alt, besticht Pogorelc bei ihrem Debüt in Dresden mit stimmlicher Ausdruckskraft und einem klaren Gespür für feine Nuancen. Sie gibt die Amina bezaubernd und voller Seele. Als Elvino sie wegen des vermeintlichen Fehltritts verlässt, leidet man sofort mit ihr – und folgt ihr gern auf ihrem Weg bis zum Happy End.

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker greift die vermeintliche Alpenidylle auf: unten ein glatter, beinahe steril geordneter Raum, von dem mehrere Türen abgehen, oben die Silhouette der Berge und die weite Himmelsaussicht. Der Verweis ins Transzendentale bleibt dezent und doch unübersehbar. Der Zuschauer fühlt sich sofort hineingesogen in diese Welt, in der dem Chor (Leitung: Jonathan Becker) in Form des konservativen Alpenvolkes eine weitere Hauptrolle zuteil wird. Brigitte Reiffenstuel hat die Sänger mit schlichten klassischen Kostümen ausgestattet. Grautöne und schwarz kontrastieren auffällig mit Aminas weißem, reinen Kleid.

Amina, Elviro und Rudolpho (Foto: Ludwig Olah)

Am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden gibt zur Premiere (19.3.) Evelino Pidò sein Hausdebüt. Er lässt das Orchester wohlig schwelgen und in mannigfaltigen Farben schimmern. Zentrum dieser Oper ist und bleibt jedoch der „schöne Gesang“, den das Premieren-Ensemble von der ersten bis zur letzten Szene in jeder Note feiert! Dieser Abend ist musikalisch ein Genuss. Und Villazón verleiht den Figuren auch szenische Tiefe, lässt den Zuschauer mitfühlen und zum heimlichen Gast in diesem seltsamen Alpendorf werden. In seiner schlichten Inszenierung gelingt es ihm, die Geschichte um einige vermeintliche Belanglosigkeiten zu befreien und als zeitloses Spiel aufzuführen.

Als Gastwirtin Lisa entwickelt sich Rosalia Cid zur temperamentvollen Gegenspielerin von Amina und gibt damit ebenfalls ein sehr beeindruckendes Debüt an der Semperoper. Georg Zeppenfeld spielt in der Partie des Grafen Rodolfo den unbekannten Weltgewandten, ein eleganter Aufklärer mit Charme. Rudolfo ist es, der dem verknirschten Bergvolk den Spiegel zum Schluss vorhält, der erklärt, dass es sich bei der Geisterscheinung lediglich um eine Schlafwandlerin handelt. Eine Träumerin?

Ob ihr Traum von der Freiheit wahr wird oder nicht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Umjubelt klang der Premierenabend in der Semperoper aus, beglückend wohl für alle Beteiligten. Einfach nur BRAVO!

Vincenzo Bellini „La sonnambula“ an der Semperoper Dresden, wieder am 22. März, 21. und 23. April, 1. und 5. Mai 2023

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.