Ein Hoch auf das Leben!

“Pippin“ bringt Broadwayflair an die Staatsoperette

Was für ein Glamour! Mitreißende Ballette, schmissige Musik, ein Bühnenbild, das zum Träumen verführt. Die Neuproduktion von Stephen Schwartz‘ Musical “Pippin – die Kunst des Lebens“ (Foto: Pawel Sosnowski) an der Staatsoperette Dresden wartet mit allem auf, was ein waschechtes Broadwaymusical zum Erlebnis macht.

Nun ist das Buch von Roger O. Hirson zwar nicht unbedingt ein großer Wurf. Die Handlung – 1972 inspiriert von der von Individualismus getriebenen amerikanischen Gesellschaft – verläuft in kurzen Episoden. Die Entwicklung der Figuren bleibt flach. Das Ensemble in ausgelassener Showlaune macht dies in einer enorm aufwendigen Produktion jedoch wett. Regisseur Simon Eichenberger nimmt es leicht, inszeniert das Stück als große Revue. Die ursprünglich als Zirkus angelegte Szene wird bei ihm zu einem phantasievollen Spiel mit dem Theater, in dem die Figuren immer wieder kurz aus ihren Rollen schlüpfen.

Die Moral von der Geschicht‘: Ohne Träume geht es nicht. Und so erleben wir den Abend als großes Traumspiel. Ein Fest für die Sinne, das alle Gewerke der Staatsoperette aufs Trefflichste vereint. Die Bühne von Charles Quiggin entführt die Zuschauer in eine historische Schlosskulisse mit großer Freitreppe und gotischem Fenster. Hier könnte die Addams Family ebenso zu Hause sein wie Karl der Große. Letzterer ist es schließlich, auf den das Stück im Stück seine Aufmerksamkeit richtet.

Als Conférencier führt Kerry Jean in der Rolle der Prinzipalin durch die Geschichte. Sie ist der absolute Star des Abends, gibt die Prinzipalin als rassiges Vollweib, das stimmlich packend und voller Leidenschaft die Fäden der schönen Bühnenwelt zusammenhält. Einer geheimnisvollen Zauberin gleich scheucht sie Pippin, den Erstgeborenen Karls des Großen, durch die Welt, um ihm nach und nach verschiedene Facetten des Lebens schmackhaft zu machen. Manege frei für eine magische Reise! Doch Pippin findet an nichts Gefallen, weiß einfach nicht wohin mit sich. Gero Wendorff verleiht der Hauptfigur Wärme und Charme bei aller Unentschlossenheit.

Kerry Jean als Prinzipalin (Foto: Pawel Sosnowski)

Auf der Suche nach seiner wahren Bestimmung wird die Schlacht zum großen Spiel, der Sex zur Orgie, die Revolution zum Verhängnis und die Politik in Pippins Händen zur Bedrohung für alle. Auch der Alltag des Landlebens kann den strauchelnden Helden nicht befriedigen, obgleich die verwitwete Hofherrin Katharina ihm einige schöne Minuten schenkt.

Während Pippin mehr und mehr an seiner Sinnsuche verzweifelt, werden die Zuschauer bestens unterhalten. Das Musical hält prächtige Theatermomente, säuselnde Ohrwürmer und mehr als nur eine Überraschung bereit. Ganz großartig etwa die Wandlung von Bettina Weichert, die als Pippins Oma in Rollschuhen richtig aufdreht. Ladylike der Auftritt von Silke Richter, die in der Partie der Stiefmutter die Diva im Hermelin gibt. Claudio Gottschalk-Schmitt ist als Stiefbruder Ludwig so etwas wie Pippins Antibild – einer, der nicht lange nach Sinn sucht, sondern einfach anpackt. Sybille Lambrich vermag in der Rolle der einsamen Witwe zu berühren, am meisten just in dem Moment, in dem sie aus ihrer Rolle heraustritt und die Geschicke der Prinzipalin in eine gänzlich andere Richtung lenkt …

Die Musik ist vom Geist der 1960er Jahre in Amerika getragen, geprägt vom Populären mit eingängigen Songs, die Szenen wie im Kino auf Knopfdruck emotionalisieren. In einer von Koen Schoots eigens für das Haus geschriebenen Erweiterung der Original-Orchestrierung lässt sich das Orchester der Staatsoperette Dresden mit hörbarer Leidenschaft darauf ein, verleiht den Songs unter der Leitung von Peter Christian Feigel Strahlkraft und Farbe.

Ein großer Stab an Sängern und Tänzern erweckt die Kulisse in jeder Szene zum Leben. Gewagt erotisch geht‘s da zu, humorvoll, verspielt und verführerisch. Mit seinen phantasievollen Choreografien gelingt es Simon Eichenberger gekonnt, den Mangel an Drive in der Buchvorlage zu kaschieren. Bis am Ende alle prächtigen Kulissen fallen, um im Schatten den wirklich letzten Moment der Überraschung zu entblößen: Was wäre das Theater ohne das wahre, echte Leben? Ohne die Liebe? Und was das Leben schließlich ohne die Phantasie der Theaterwelt? Nichts. Wie gut, dass wir uns dies in den folgenden Vorstellungen nun immer wieder bewusst machen dürfen!

Info: „Pippin“ an der Staatsoperette Dresden, wieder am 1., 25./26. Februar, 7.-10. April, 15./16. Juni und 8./9. Juli 2023

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