Auf Tuchfühlung mit Fallada

“Ein Mann will nach oben“ am Kleinen Haus Dresden

Ein Leben voller Gegensätze: Der “kleine Mann“ und große Autor Hans Fallada. Regisseur Sebastian Klink zeigt den Schriftsteller in seiner Inszenierung des Romans “Ein Mann will nach oben“ am Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden (Foto: Sebastian Hoppe) im Spiegel seines Werkes und bringt autobiografische Bezüge in einer Zerreißprobe zwischen Fiktion und Wirklichkeit auf die Bühne.

Film und Wahrheit, Buch und Leben. Die Inszenierung spart nicht mit Andeutungen und Querbezügen, verlangt dem Zuschauer (vor allem, wenn er die Romanvorlage nicht kennt) einiges ab und ist dabei alles andere als belanglos oder langweilig. Die Hauptfigur Karl Siebrecht ist ganz anders als der Pinneberg aus “Kleiner Mann, was nun?“, radikaler, ständig strudelnd im Strom seiner Zeit. Daniel Séjourné bringt die Aura dieses Mannes greifbar auf die Bühne, wechselt beständig die Perspektive, schlüpft vom Autor in seine Figur und zurück und stemmt so fast den ganzen Abend im Flimmerlicht zwischen Filmprojektion und Bühnenrealität mit packender darstellerischer Hingabe.

Das Bühnenbild von Gregor Sturm und Oliver Knick erweist sich dabei als Referenz an die Romanvorlage, die 1941 für einen “großen repräsentativen Berlinfilm“ entstand, bevor sie für lange Zeit in der Schublade schlummern musste: Mehrere weiße Vorhänge dienen hier als fächerartige Leinwand, das Stück beginnt als Film und es dauert eine ganze Weile, bis klar wird, wer hier eigentlich die Hauptrolle spielt. Ist es die Romanfigur Karl Siebrecht oder der Autor Fallada selbst?

Die Zeiten und Figuren changieren in einer verschachtelten Erzählung, deren roter Faden sich erst peu à peu entpuppt. Frauen und Arbeitgeber wechseln, fiktives und reales Ich gehen scheinbar nahtlos ineinander über. Sebastian Klink gelingt der Spagat schließlich auch dank eines fantastischen Ensembles, das Brüche zwischen Hoffnung und Realität, zwischen Traum und Krieg berührend zu vermitteln vermag.

Und Fallada spielt selbst gleich doppelt mit. Das reife und das junge Ich des Autors bringen Daniel Séjourné und Torsten Raft in filmischen Rückblenden und kurzen Szenen in Reflexion zu seinen Figuren auf die Bühne. Dabei zeigt sich dieser Mann, der nach oben will, als höchst widersprüchliche, gebrochene Person: Liebender Ehemann und morphiumsüchtiger Schriftsteller, brutaler Freund und erfolgreicher Unternehmer.

Ein bedrückendes Bild zeichnet Fanny Staffa von Falladas Ehefrau Suse, die sich, ähnlich der Figur Rieke Busch im Buch, immer mehr von ihrem kapriziösen Mann entfernt. Bis zum endgültigen Bruch. Jannik Hinsch gibt in der Rolle des Kalli Flau eine warmherzige Antifigur, er ist der verlässliche Kumpeltyp, Berliner Schnauze mit Herz, eine starke Schulter zum Anlehnen. Und Eva Hüster verkörpert einfühlsam die kühle schöne Ilse alias Herta Eich, Falladas zweite Ehefrau. Das junge Mädel, das vom Romanprotagonisten Siebrecht erst gerettet, später verdammt wird.

Gespickt mit Bildern aus dem Berlin der 1920/30er Jahre zeigt sich dabei auch das Sittenbild einer Zeit zwischen den Kriegen. Kapitalistische Ausbeutung, der tägliche Kampf ums Leben. Druck, Erfolg, Ängste treffen auf unbändige Lebenslust. Immer die Gefahr, dass morgen nicht mehr ist, was gestern noch gewiss schien. Es gibt sie bis heute, diese Männer und Frauen, die nach oben wollen, dem mahlenden Zahnwerk des harten Alltags entkommen. Die Kämpfer, die Verfluchten, die Pechvögel und Abenteurer.

Es gibt sie bis heute, die Zeiten, die sich ändern. Manchmal über Nacht. Und mit den Menschen machen, was sie wollen, die im Schatten vertaner Chancen Brutalitäten und Ängste hervorbringen, die uns ins Strudeln bringen zwischen Wahrheit und Illusion. Wie wunderbar verwirrend und dabei erhellend ist doch dieses Stück, wie hintersinnig inszeniert und dabei in all seinen Brüchen verblüffend schonungslos erzählt. So als bestünde wohl Hoffnung, die Menschheit könne noch etwas lernen aus dem ewigen Spiel der Zeiten, von Verlierern, die längst als Sieger schienen; aus dem vergeblichen Kampf um Macht und Anerkennung aus dem Gestern für heute und morgen. Vielleicht!

Info: „Ein Mann will nach oben“ am Kleinen Haus des Staatsschauspiels, wieder am 11. Februar und 5. März 2023

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