Vergessene Perlen aus Musik, Literatur und Film

Die Dresdner Philharmonie geht zum Tag der Deutschen Einheit auf Spurensuche

Es ist schon fast eine kleine Tradition: Seit drei Jahren widmet sich die Dresdner Philharmonie immer um den Tag der Deutschen Einheit herum mit einem thematischen Schwerpunkt dem Musikschaffen in der DDR. Dieses Mal steht am 2. und 3. Oktober das Werk des Komponisten Christfried Schmidt im Mittelpunkt. Geboren 1932 in der Oberlausitz, absolvierte er zunächst ein Kirchenmusik-Studium in Görlitz, bevor es ihn als Schauspielkapellmeister nach Quedlinburg verschlug. „Dort hat er angefangen zu komponieren und viele Partituren verfasst, von denen bis in die 1970er Jahre hinein fast keine einzige aufgeführt wurde“, erklärt Dramaturg Jens Schubbe, der die Thementage Ost-West der Dresdner Philharmonie inhaltlich verantwortet.

Schubbe weiß so manche interessante Geschichte zu erzählen, von der zeitgenössischen Musik in der Deutschen Demokratischen Republik, die er schon in seiner Jugend mit Spannung verfolgt hat. Aber auch von der Hinwendung vieler Komponisten zu den tragischen Künstlerfiguren der Klassik und Romantik, in deren Werken und Schicksalen man in den 1980ern das eigene Gefühl vom Leiden an einer kranken Welt gespiegelt sah. Bis hin zu den Trickfilmen der DEFA reicht sein Wissensschatz, was natürlich neben den Regisseuren und Stoffen vor allem die „tolle Musik“ der Avantgardekomponisten der DDR betrifft. Alle drei Säulen – Musik, Literatur, Film – finden sich im Programm der aktuellen Thementage der Philharmoniker wieder. Personen, Werke, Ereignisse, die einst das kulturelle Leben in Ost und West prägten – vieles davon schlummert seit der Wende tief in den Schubladen der Archive und ist über 30 Jahre dem Vergessen geopfert worden.

Zum Beispiel die Werke von Christfried Schmidt, der durch einen günstigen Zufall zunächst in Japan uraufgeführt wurde, bevor man schließlich in Westdeutschland auf seine Kompositionen aufmerksam wurde. „In der DDR galt er ab Mitte der 1970er Jahre als Geheimtipp. Das änderte sich erst in den 1980ern langsam“, sagt Schubbe. Nachdem Schmidts Musik dann sogar für Mitschnitte und Fernsehproduktionen entdeckt war, geriet er Mitte der 1990er wie so viele erneut in Vergessenheit. Nun feiert seine Sinfonie Nr. 2 „In memoriam Martin Luther King“ für Orchester, Bass- und Altsolo (1969) am 3. Oktober ihre späte Uraufführung im Kulturpalast – und das obwohl sie seit Jahren schon in der SLUB liegt. Die Sinfonie sei es wert, entdeckt zu werden, ist Jens Schubbe überzeugt. Ebenso wie Schmidts „… Glied der menschlichen Gesellschaft“ – ein Memorial nach Briefzitaten des Heinrich von Kleist für Sprecher und Ensemble, das zum Auftakt am 2. Oktober zur Aufführung kommt. Er widmete sein Memorial damals „Den Sensiblen, die an der Welt leiden“ – ein musikalisches Bekenntnis, das sich gleichfalls in der Literatur der Zeit spiegelte.

Auch auf diesem Gebiet versprechen die Thementage einige Wiederentdeckungen. Klaviermusik und Literatur aus Ost und West von 1953 bis 1990 stehen im Mittelpunkt einer Matinee am Tag der Einheit, wobei der Leipziger Komponist und Pianist Steffen Schleiermacher mit dem Schauspieler Erik Brünner das geteilte Deutschland in Text und Klang erfahrbar machen. Kompositionen von Friedrich Goldmann, Siegfried Thiele, Wolfgang Rhim oder Paul Dessau eröffnen vielfältige Querverbindungen zu den Texten von Wolfgang Hilbig, Peter Huchel, Paul Celan, Ingeborg Bachmann oder Volker Braun und werfen in der Rückschau vielleicht auch neue Perspektiven auf Erlebtes.

Der dritte Schwerpunkt der Thementage beleuchtet schließlich das Verhältnis von avancierter Musik und Film in der DDR. „Musik für Film und Theater zu schreiben war ganz typisch für die Komponisten in der DDR“, sagt Jens Schubbe. Die Philharmonie kramt mit der Musik zugleich cineastische Perlen aus der Schublade. Zum einen sind das kurze Animationsfilme der Dresdner DEFA-Studios von Kurt Weiler und Lutz Dammbeck mit Musik von Thomas Hertel, Reiner Bredemeyer, Friedrich Goldmann und Gerhard Rosenfeld. Zum Abschluss des Schwerpunkts folgt am 3. Oktober mit „Wind sei stark“ ein Dokumentarfilm von Jochen Kraußer, der in den letzten Monaten der DDR entstand und drei Außenseiter präsentiert, die sich alle am Bau von Windrädern versuchen. Die Musik in dem Film stammt von Michael Hintzenstern und dem Ensemble für Intuitive Musik, das Teil der filmischen Inszenierung ist.

Zu entdecken gibt es also in den insgesamt fünf Veranstaltungen am Sonnabend und Sonntag einiges. Mit Tiefenschärfe und doch fern von verklärter Ostalgie-Seligkeit hat Jens Schubbe ein Programm geschnürt, dass deutsch-deutsche Geschichte auf verschiedenen Ebenen zu spiegeln und zu Unrecht Vergessenes aus der Verbannung zu heben versucht. Manche Querverbindungen dürften sogar überraschen – in jedem Fall lohnt es sich, in die zahlreichen Geschichten, die sich hinter den einzelnen Werken verbergen, einmal tiefer einzutauchen.

Info:
Ost-West-Thementage der Dresdner Philharmonie am 2. und 3. Oktober 2021

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