10 Jahre – 5 Fragen: Florian Mayer im Jubiläumsinterview (6)
Das Onlinemagazin elbmargarita.de feiert Zehnjähriges – und schenkt sich selbst eine kleine Fragerunde. Die Künstler der Stadt sind zur virtuellen Blogparty eingeladen und gratulieren per Interview. Heute antwortet der Violinist Florian Mayer (Foto: Annas Foto):
Stelle dich in drei Sätzen selbst vor!
Meine Eltern nannten mich Florian, als man sich noch wunderte, wie man ein Kind derart nennen kann und mein Name steht für den Schutzpatron der Feuerwehr, genauso wie er Ausdruck des Blumigen ist. Mein Sternzeichen ist der Fisch und mein chinesisches Tierkreiszeichen ist der Tiger und ich liebe alles an der Musik, liebe alles an der Geige, liebe alles an der Natur, ich mag Menschen und ich bin gerne allein. Den dritten Satz verwende ich für eine Frage an Elbmargarita, woher der Name Elbmargarita eigentlich kommt?
Aber gern! Margarita bedeutet im Lateinischen Perle – und die Elbe ist bekanntlich jener Fluss, der neben Dresden noch andere Perlen hier in der Region verbindet …
Apropos, Dein Lieblingsort in Dresden ist …
… die Prießnitzmündung in die Elbe unweit meiner alten Schule in Höhe des Diakonissenkrankenhauses. Ich bin dort früher oft nach dem Unterricht herumgestromert, habe Wildvögel beobachtet und gezählt, ich habe dort geangelt, einen Buschbrand gelöscht und Wildhüter gespielt, habe grüne Äpfel gegessen, Steine jeglicher Größe in den Fluss geschmissen, bin an Baumstämmen entlanggeklettert und im Wasser gewatet. In Zeiten des jährlichen Hochwassers habe ich die Kraft der Natur bewundert und manchmal habe ich auch einfach nur geträumt und vor mich hin gesponnen. Ich habe damals die giftigen Schaumkronen gesehen und ich habe das verdreckte Wasser gerochen. Im nahegelegenen Prießnitztunnel, der unter der Bautzner Straße verläuft und in dessen Mitte man keine der beiden Öffnungen mehr sieht, habe ich gekokelt, mich gefürchtet und mit schnalzender Zunge das Echo herausgefordert. Dort habe ich zwischen Mauer und Böschung meine ersten Ratten in natura gesehen. Manchmal wurde vor der „Scheiß-Welle“ gewarnt, jenem Vorgang, bei welchem von irgendwoher die Abwässer in den Fluss geleitet wurden. Dann wieder an anderen Tagen war das Wasser kristallklar und man konnte von der kleinen, leicht geschwungenen Brücke aus sogar Forellen schwimmen sehen. An der Mündung der Prießnitz stehen einige der größten und ältesten Bäume direkt am Elbufer innerhalb des erweiterten Stadtzentrums. Von dieser Stelle hat man einen romantischen Blick von der Seite auf die Türme der Stadt, von denen damals freilich derjenige der Frauenkirche fehlte. Ich war schon sehr lange nicht mehr dort, aber ich trage diesen Ort in meinem Herzen. Außerdem kann man ihn sehr gut bei der Fahrt über die Albertbrücke sehen. Die Prießnitzmündung ist ein Ort meiner Kindheit, einer Zeit, in der, so denkt man rückblickend fatalerweise, alles besser zu sein schien.
Was verbindet dich mit der Stadt?
Mit Dresden verbindet mich nichts Geringeres als meine gesamte bisherige Lebensgeschichte. Ich bin in Zwickau geboren, was ich gut finde, denn auch Robert Schumann und der Schauspieler Gert Fröbe haben dort das Licht der Welt erblickt. Wir sind dann, als ich fünf war, an die Elbe gezogen, ich habe hier meine gesamte Ausbildung genossen, mir hier aus meiner zunehmend wahrgenommenen Berufung meinen Beruf und meine Existenz aufgebaut und eine Familie gegründet. An vielen Orten hier und deren Brettern, die die Welt bedeuten, war und bin ich aktiv, bin aber auch zum Beispiel dem Zoologischen Garten und der Pferderennbahn durch diverses Engagement sehr verbunden. Meine Eltern haben Jahrzehnte an den beiden großen Häusern Semperoper und Staatsschauspiel gewirkt. Meine in Freital ansässigen Großeltern, in höchstem Maße Kreuzchoraffin und auch sonst sehr kulturinteressiert, haben den verheerenden Angriff auf die Stadt miterlebt, sie haben sich durch die langen Jahre des Wiederaufbaus durchkämpfen, einleben und neu finden müssen. Dresden ist für mich wie ein Nest. Dresden empfängt und verstößt mich gleichermaßen als Nesthocker und Nestflüchter. Die Stadt lässt mich über den Heimatbegriff öfter sinnieren als mir lieb ist.
An welchem Projekt arbeitest du gerade?
Ich arbeite derzeit am bisher mit Abstand größten und umfangreichsten Projekt meines Lebens (wenn man vom nie endenden Weg einer musikalisch-künstlerischen Gesamtentwicklung einmal absieht). Es trägt den Titel: „Mein Paganini – Die deutsche Reise. Ein Künstlertagebuch“. Ich folge darin den Spuren des sogenannten „Teufelsgeigers“ Niccolò Paganini auf seiner Konzertreise durch Deutschland in der Zeitspanne von Januar 1829 bis Februar 1831. Dies tue ich mit dem Abstand von 190 Jahren von Januar 2019 bis Februar 2021. Ich reise von Ort zu Ort im groben Radius der jeweiligen Konzertstationen, schreibe Tagebuch, recherchiere und konzertiere hier und da. Das Ganze wird weder ein historischer Roman noch eine musikwissenschaftliche Abhandlung, vielmehr ein geistig-körperlicher Selbsterfahrungsbericht eines Musikers in der heutigen Zeit, geleitet und befruchtet vom geschichtlichen Faden um einen legendären Virtuosen und seiner damaligen Epoche. Mittlerweile wurde mir immer konturierter klar, dass sich nicht wenige meiner Zustandsbeschreibungen unwillkürlich zu Milieustudien und Dokumentationen eines heutigen Deutschlands in denkwürdigen Zeiten auswachsen. Corona als Teil dessen gehört nun dazu. Aufhalten wird es mich nicht, genauso wie die Cholera Paganini bei seinen Reisen durch Europa nicht zu stoppen vermochte. Nur wird eben jetzt ein gewichtiges Kapitel hinzukommen. Wie umfangreich dieses letztendlich ausfällt, wieviel Wasser währenddessen die Elbe hinunterfließt – das muss die Zeit zeigen.
Was macht dir in der Corona-Krise Mut?
Ich habe über diese Frage lange nachgedacht und alleine der Fakt, dass dem so ist, sagt einiges. Natürlich denken sehr viele Menschen an mich – dazu zähle ich im Übrigen auch die Fragen der Elbmargarita – und machen sich viele Gedanken, wie sie helfen können. Umgekehrt geht es mir nicht anders und ich versuche nach meinen Möglichkeiten, etwas zu tun. Denn die Kraft zu finden, in dieser Situation anderen etwas Gutes zu tun, das kann ein gewaltiger Seelenstreichler sein. Es ist allerdings dieser Tage wahrlich nicht leicht, Sorgen und schlechte Gedanken bei sich selbst und anderen zu zerstreuen. Aber Mut gibt mir meine Arbeit, meine Fantasie. Trost das Besinnen darauf, was eine Vielzahl an Kriegsgenerationen schultern musste. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass die Lebensmittelregale in den Geschäften zum Glück noch gefüllt sind, Strom und Wasser ungerührt durch die Leitungen fließen. Mir gefällt sehr der Abschlusssatz eines Briefes von Paganini aus dem cholerageplagten Paris im März 1832 an einen Freund. Ich habe diese Zeilen vor Kurzem gefunden, sie sind für mich ein Mutmacher:
„Rossini ist vor Angst geflüchtet; ich dagegen fürchte nichts, so sehr wünsche ich, der Menschheit nützlich zu sein.“
Paganini-Briefwechsel, 1832
Vielen Dank für die tollen, ausführlichen Antworten!