Seit dem 25. November gibt es rund 500.000 Hobbydetektive – und viele offene Fragen in der Stadt
Es ist ein Stoff, der für Romane und Mythen taugt: Am Morgen des 25. November 2019 klettern zwei vermummte Gestalten offensichtlich völlig ungestört über den Eisenzaun am Dresdner Schloss. Sie knacken das Gitter eines Eckfensters, heben das Fenster aus den Angeln und dringen ins Juwelenzimmer des Historischen Grünen Gewölbes ein. Dort zerstören sie eine Vitrine mit einer Axt und entwenden Brillanten von unschätzbarem Wert.
Was sich anhört, wie in einem Hollywood-Streifen, ist bittere Realität. Was uns bis heute fehlt, ist ein James Bond für diese unerhörte Geschichte. Niemand in Dresden hätte für möglich gehalten, dass sich ein Teil des Sächsischen Staatschatzes aus dem 18. Jahrhundert so einfach klauen lässt. Obwohl das Dresdner Schloss mittels Alarm sowie durch Sicherheitsleute geschützt ist und die Diebe offenbar brutal zu Werke gingen, kommt die Polizei zu spät. Von den Tätern ist um 5.04 Uhr keine Spur mehr zu sehen. Die Juwelen sind futsch. Bis heute.
Man mag darüber streiten, ob mit den Juwelen aus den wertvollen Garnituren Augusts des Starken auch ein Stück sächsische Identität verloren ging. Selbst wenn man alles Pathos aus den Worten der Politiker streicht: Die Fassungslosigkeit der Dresdner, ja die Anteilnahme der Welt über diesen dreisten Diebstahl von wertvollen Kulturgütern bleibt. Und sie ist nicht unbegründet.
Sicherer als Fort Knox sei das Grüne Gewölbe haben sie uns nach dessen Wiedereröffnung im Jahr 2006 erzählt. Nicht nur die Dresdner, auch Tausende von Gästen und Touristen erfreuten sich seither am Prunk, den das Augusteische Zeitalter uns hinterlassen hat. Die Schatzkammer in Dresden gilt unter Experten als eine der bedeutendsten in der ganzen Welt. Wie Phönix aus der Asche stieg sie nach der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg mit der Wiedereröffnung des Historischen Grünen Gewölbes in den originalen Räumlichkeiten wieder auf. Die freundlichen Bekundungen der Anteilnahme, die die Staatlichen Kunstsammlungen seit dem Diebstahl von Museen und Fachleuten aus aller Welt erreichten, sprechen für sich.
Entsprechend groß war in der Stadt auch der Schock, als sich die einst in den höchsten Tönen gepriesene Sicherheit dieses Schatzes am Morgen des 25. November als hinfällig erwies. So mancher spottete, sein eigenes Heim sei besser gesichtert als dieses Museum. Andere brachen schlicht in Tränen aus. All das hat allein noch nichts mit Dresdner Stolz zu tun, sondern vor allem mit der Logik des gesunden Menschenverstands. Das Herz der Dresdner blutet, aber was neben der Fassungslosigkeit bleibt, ist das merkwürdige Gefühl, dass dieser Diebstahl nicht nur hätte verhindert werden müssen, sondern auch können.
Direktalarm, Bewegungsmelder, moderne Kameratechnik sind nur drei der Schlagworte, die seither am Abendbrottisch vieler Dresdner Familien sowie in der Presse immer wieder mit einem dicken Fragezeichen markiert ertönen. Seit gut zwei Wochen gibt es etwa 500.000 Hobbydetektive in der Stadt, die den Fall mit viel Herzblut und reichlich Raum für Spekulationen zu lösen versuchen. Der Dresdner Kunstdiebstahl schaffte es mittlerweile schließlich nicht nur auf die Titelseiten der Welt, sondern auch bis in die Fernsehsendung Aktenzeichen XY-ungelöst.
Die einzig relevante Frage aber ist nach wie vor: Warum wurde die Polizei so spät alarmiert? Wie konnte sich an einem der prominentesten Plätze von Dresden überhaupt ungesehen ein solcher Diebstahl ereignen? Inzwischen hat die Polizei den Tathergang nachgestellt und herausgefunden, dass die Diebe etwa zehn Minuten für ihr Werk gebraucht haben. Auch ein Foto des Fluchtwagens (weißer A6 mit schwarzem Dach) wurde jetzt veröffentlicht.
Hatten wir schon erwähnt, dass die Täter vor dem Einbruch zunächst einen Stromkasten unter der gerade im Bau befindlichen Augustusbrücke in Brand und die Straßenbleuchtung am Schloss damit außer Gefecht gesetzt hatten? Das zumindest gilt als bewiesen. Ob es nicht vielleicht doch ein bisschen mehr war als nur die Straßenbeleuchtung, die dabei draufging, bleibt hingegen Spekulation. Sollte es wirklich so sein, hat der Diebstahl von Dresden allerdings nicht nur Mythen-, sondern auch Gaunerfilmpotenzial. Auf das Happy End bleibt zu hoffen …