„Die Hexe Baba Jaga“ startet „Das große Finale“ am Boulevardtheater
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Selbst für eine Hexe von Format wie Baba Jaga fällt einmal der letzte Vorhang. Der Mime Rainer König ließ die schrullig gruselige Märchengestalt aus Russland seit 2005 zur Dresdner Kultbühnenfigur mit frechem Eigenleben gedeihen – und machte die Hexe zum Dauerbrenner hiesiger Komödienbühnen. Auf den großen Erfolg des ersten Teils folgte ein zweiter, auf den Zweiten ein dritter …, schließlich eröffnete die olle Klamauknudel aus Sibirien mit dem fünften Teil 2014 die erste Saison am Boulevardtheater. Hier soll der Spuk mit dem sechsten nun auch bald vorbei sein – und so feiert Baba Jaga (Fotos: PR/Robert Jentzsch) in der Regie von Olaf Becker „Das große Finale“ als furiosen Abgesang auf unzählige humorvolle Märchenstunden.
Die Geschichte von Michael Kuhn und Georg Wintermann ist nach dem bewährten Schema gestrickt und kratzt nur manchmal haarscharf an der Grenze des Zumutbaren (in Länge und Schärfe vor allem für das junge, unschuldige Märchenpublikum). Zum 777. Geburtstag von Baba Jaga schlüpft dieses Mal ihre ungeliebte Schwester aus Amerika als Überraschungs-Ei auf die Bühne. Obwohl Baba Jaga diese Obaba aus Alabama so gar nicht leiden kann, erscheint ihr Hexenhaus zur Feier des Tages ungewöhnlich gut aufgeräumt (Bühne und Kostüm: Anna Beck): Im Kamin schmort ein aus garstigen Zutaten zusammengerührtes Suppengemisch dem großen Fest entgegen, das Grammophon wartet geduldig auf die Musik zur ersten Tanzeinlage, Pfannen und Töpfe stehen jeder Zeit wurfbereit im Regal.
Selbst der Duden ist schnell zur Hand, wenn auch wenig hilfreich. Das Schimpfwort „Rotzplötze“ ist in der Ausgabe von 1887 nicht vorhanden. Der „kruzitürkendrecksvermaledeite Hundekotzbrocken“ wird nach über zehn Jahren Hexenkult in Dresden wohl ebenso noch aufzunehmen sein. Doch zum Schimpfen bleibt Baba Jaga an ihrem Ehrentag sowieso fast keine Zeit. Ein Gast nach dem anderen trudelt mit Glückwünschen bei ihr ein – alle ungebeten, am meisten aber der Sensenmann (Michael Kuhn), der an die Endlichkeit ihrer (Bühnen-)Zeit erinnert. Die Hexe ist schockiert, sie zittert, hält ihm ein keckes „Ich kann Mikado!“, entgegen, kann der ablaufenden Zeit aber selbst mit ihrem düstersten Zaubertrick nichts entgegensetzen. Nur 77 Minuten bleiben ihr.
Von da an – Ironie oder Absicht? – nimmt das Stück endlich Fahrt auf, Baba Jaga startet ohne Besen durch und zündet in bewährter Art ein wildes Komödienfeuerwerk. Mit Geschichten aus dem romantischen Märchenwald hat das schon lange nichts mehr zu tun, auch wenn alte Bekannte wie die Schneeflocke Snegurotschka (Ulrike Mai), Zar Wasserwirbel, Luzifer oder Väterchen Frost (Jürgen Mai) vor der Tür stehen. Wer hier gut und böse ist, das weiß am Ende niemand mehr so richtig. Wie gesagt: Die Hexe ist ihren Vätern längst entglitten. Die Diva mit der Hakennase führt ein rücksichtsloses Eigenleben. Kaum hat der Sensenmann ihr die noch verbleibende Zeit auf den Tisch geklatscht, werden ihre Sprüche flotter, die Gags dichter. Harter Tobak. Ein humorvoll brodelndes Chaos bricht sich Bahn, als Gebieter Nikita (Franz Lenski) schließlich die zündende Idee hat, mitsamt dem Hexenhaus vor dem nahenden Ende davonzulaufen. Er holt Katjuscha das Huhn, die sofort den ersten Gang einlegt, die Wände wackeln …
… und dann fliegt auch noch die Hexenschwester (Laura Sophia Becker) aus Amerika in Sibirien ein. Ein scharfes junges Ding, das plötzlich westlichen Chic in die Hexenhütte bringt und verführerische Düfte und Essenzen aus ihrem Geburtstagspäckchen zaubert. Weil jedes Märchen eben auch ein bisschen im (oder mit dem) wahren Leben spielt, hängt dieser Paris-Hilton-Verschnitt sogleich das Putin-Portrait mit einem Mickymaus-Kalender ab und überreicht Baba Jaga ein Tablet, nein, keines zum Getränke tragen, versteht sich! Es bleiben nur noch wenige Minuten, doch Baba wird nicht müde, trotz vorheriger Versöhnung mit dieser machtvollen Obaba aus dem Westen immer wieder herzlichen Streit anzuzetteln.
Bevor das Spiel aus ist, wird es daher noch einmal richtig bunt. Dem nimmermüden Ensemble sei Dank, das Rainer König wie gewohnt die Bühne für komödiantische Höhenflüge auf dem Hexenbesen bietet. Und der Sensenmann? Der ist wie die Westschwester neu im Spiel – und bleibt erbarmungslos. Denn irgendwann muss schließlich auch der letzte Hexenstreich mal zu Ende gehen. Das wiederum stimmt das langjährige Publikum mit bunten Erinnerungsblasen dann doch ein bisschen wehmütig, heizt den Saal mit Musik (von Andreas Goldmann) aber nur wenig später noch einmal zu stehenden Ovationen an. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann … na, wir wissen ja: Wahres Hexenblut ist unverwüstlich!
„Die Hexe Baba Jaga – Das große Finale“ am Boulevardtheater Dresden, wieder am 23.–30.9. sowie am 17.–21.10., 23.10.