Dorothee oberlinger verführt auf Der Blockflöte exotisch zum TräUmen
So ein verträumt exotisches Konzertprogramm hat man in der Dresdner Annenkirche wohl noch nie gehört: Dorothee Oberlinger (Foto: PR) bewies bei den Dresdner Musikfestspielen einmal mehr, was auf der Blockflöte alles möglich ist – und entführte das Publikum zusammen mit ihren „Freunden“ aus den Ensembles 1700 und Sarband auf eine musikalische Weltreise durch Raum und Zeit.
Diese begann zunächst mit einem Traum von der Ferne, von Antonio Vivaldi komponiert, hier nun geheimnisvoll erzählt auf historischen Instrumenten wie Barockcello (Marco Testori), Harfe (Reinhild Waldek), Perkussion (Vladimir Ivanoff), Ney/Psalter (Celaleddin Bicer), Ney (Mohamad Fityan) und der Schossfiedel (Stratis Psadarellis). Fast märchenhaft beschwörte bereits dieser Auftakt die Sehnsucht nach fremden Kulturen herauf. Sachte entfalteten sich die orientalischen Klänge in der Annenkirche und flüsterten leise von fernen Ländern in längst vergangenen Zeiten.
Musikstücke wie das „Bel fiore danca“ aus dem Codex Faenza in Norditalien sind gut 600 Jahre alt und werden von den Musikern auf nahezu berauschende Weise wieder zum Leben erweckt. Heute weiß freilich niemand mehr, wie sich diese Musik damals wirklich angehört haben mag. Doch gerade das oft improvisatorische Changieren zwischen den Zeiten, die Suche nach einer Interpretation, die dem Ursprung zwar annähernd gerecht wird, die alten Werke dabei jedoch in einen Dialog mit heutigen Hörgewohnheiten stellt, hat einen besonderen Reiz.
Die spürbare Freude der Musiker daran, Altes neu zu entdecken und exotische Klangfarben mit Leben zu erfüllen, ließ den Funken an diesem Abend schnell überspringen. Voll lebendiger Energie steckt etwa Vivialdis Concerto RV 443 in C-Dur – und schon flammte nur beim Zuhören der Gedanke an den aromatischen Duft und die bunten Farben orientalischer Gewürze auf. So sinnlich kann Musik sein, so lebendig, obwohl die mächtigen Reiche, in denen sie entstanden ist, längst der Vergangenheit angehören, Venedig und Konstantinopel schon lange zu reinen Sehnsuchtsorten in unserer Phantasie geworden sind.
Doch es ist eben ein Abend, der gerade diese Sehnsüchte wecken möchte, der zum Träumen verführt, Zeit und Raum mit Leichtigkeit überwindet – und daher gut zum diesjährigen Festspielmotto „Zeit“ passt. Mancher im Publikum lauscht den teils meditativen Melodien mit geschlossenen Augen, ganz gebannt von der Musik. Wer Dorothee Oberlinger zusieht, wird ebenso gefangen genommen. Sie wirkt agil auf der Bühne, entlockt der Blockflöte mit ungeheurer Virtuosität überraschend vielseitige Klangfarben. Rasend schnell bewegen sich ihre Finger, betörend ist ihr Spiel.
Nach der Pause geht die musikalische Zeitreise weiter, mit Giovanni Battista Toderini und kurzen Volksweisen, von Konstantinopel nach Armenien, Aserbeidschan und schließlich nach Zentralasien. Diese spezielle Klangwelt tut sich in den knapp zwei Stunden fast soghaft auf. Am Ende wird es sogar ein wenig gefährlich: Die Reise führt jetzt durch Taklamakan, „die Wüste ohne Wiederkehr“ – und musikalisch auch in modernere Gefilde. Elektronische Klänge mischen sich in die Erzählungen der alten Instrumente. Der Sog bekommt dadurch noch einmal neue Intensität.
Angekommen in China, mit einer traditionellen Melodie aus der Provinz Jiangsu, ist diese musikalische Weltreise in fast intimer Atmosphäre doch viel zu schnell verflogen. Der anschließende Applaus bestätigt diesen Eindruck. Zwei Zugaben folgen, zuletzt darf und wird das Publikum sogar mitsingen, auf Türkisch. Diese Bereitschaft zum Mitmachen ist wahrlich untypisch für Dresden – und beweist endlich, wie sagenhaft mitreißend und völkerverbindend ein gutes Konzert sein kann.
*Die Autorin dieses Beitrags ist Pressereferentin der Dresdner Musikfestspiele, der Artikel entstand dennoch (so wie alle auf dieser Seite) unentgeltlich und unabhängig von dieser Aufgabe.