Die sechs Wahrheiten über Gundermann und die Lausitz

Rückschau auf die Revue “Gundermann: alle oder keiner” am Staatsschauspiel Dresden

“Von jedem Tag will ich was haben, das ich nicht vergesse”, sang Gerhard Gundermann Anfang der 1990er Jahre. Doch wer war der Liedermacher aus der Lausitz, der tags im Braunkohlerevier arbeitete und nachts mit der Gitarre auf der Bühne stand? Regisseur Tom Kühnel geht dem Menschen Gundermann in seiner “Revue über Helden, Gras und Kohle” (Fotos: Sebastian Hoppe) am Staatsschauspiel Dresden auf die Spur. 

Nicht einen, nein gleich sechs Gundermanns stehen hier auf der Bühne. Sechsmal blonde Haare, Brille, Fleischerhemd und Gitarre umringt von senffarbenen Samtvorhängen, die an die Schulaula von früher erinnern. Für Brot wolle er keine Kunst machen müssen, hat “Gundi” Gundermann einmal gesagt. Ebenso wenig wollte er sich in der Schublade des “Vorzeigeproleten” und “singenden klingenden Baggerfahrers” einrichten. Schon schwenkt das Bühnenbild von Jan Pappelbaum zur fast bedrückenden Mondlandschaft des Lausitzer Tagebaus, bevor die bunte Werbewelt der 1990er Jahre wie ein surrealer Traum an den sechs Gundermanns vorüberzieht. Vorwürfe, Fragwürdigkeiten und Ausverkauf inbegriffen.

Gundermann: alle oder keiner (Foto: Sebastian Hoppe)

Egal, ob Ost oder West, egal ob grau oder bunt, Gundermann ist sich in seiner ganzen Ambivalenz immer treu geblieben. Auf dem Bagger schrieb er tiefgründige, poetische Lieder, die ihres Gleichen suchen, zugleich wurde er von der Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter geführt, der eine Zeitlang regelmäßig Berichte lieferte. Als Sänger überlebte er Wende wie Stasi-Geständnis, während der Tagebau der Lausitz zum Auslaufmodell erklärt wurde.

Gundermann: alle oder keiner (Foto: Sebastian Hoppe)

Ob Barbiegirl, Playboy oder Bärenmolke, Grundmann trotzt dem Überdruss der neuen Welt, in dem er ein wachsamer Eigenbrötler bleibt, bescheiden auf seine Art, doch um klare Worte nie verlegen. “Meine Grube Brigitta ist pleite … und die letzte Schicht längst schon verkauft”, beschreibt er die Realität in der Lausitz nach 1990 in einer Liedzeile. Paradoxerweise nimmt die wilde Revue am Staatsschauspiel Gerhard Gundermann ernst, indem sie ihm den trashigen Kontrast der Oberflächlichkeiten entgegenstellt und die Stärke solcher Zeilen somit noch betont.

Schonungslos unterhaltsam nimmt das Stück Fahrt auf, lässt voll gestopft mit Brüchen doch auch immer wieder der Melancholie Raum und entzieht sich somit jäh dem Vorwurf der Gleichgültigkeit. Thomas Eisen, Betty Freundenberg, Janina Hinsch, Henriette Hölzel, Daniel Séjourné und Nadja Stübinger zeigen dabei nicht den EINEN Gundermann, sondern begeben sich ganz offen auf die Suche, vielleicht auch nach sich selbst. Man verfolgt sie gern durch den Wald der Werbeplakate, den Dschungel der Stasiakten und über die Straße der Worte, die Gundermann in seinen Liedern baute – und gerät dabei schnell mit ihnen ins Strudeln zwischen den Wahrheiten.

Gundermann: alle oder keiner (Foto: Sebastian Hoppe)

Christoph Hermann, Jan Stolterfoht, Matthias Trippner, Helge Wittig agieren am Bühnenrand als furiose Viermann-Band, die die Lieder Gundermanns ordentlich rocken lässt. Diese Mischung aus knalligen Bildern, packenden Klängen und der typischen Gundermann-Melancholie mag an manchen Stellen vielleicht schon fast übertrieben wirken, doch sie funktioniert. Nicht zuletzt, weil sie mit den sechs Gundermanns auch die Menschen um ihn herum ernst nimmt. Warum soll ein Baggerfahrer aus der Lausitz auch nicht zugleich Sänger oder “Ökoterrorist” sein können? So spiegelt sich denn in der Figur Gundermann zugleich das Dilemma einer ganzen Region. Nachdenkenswert! Und die Moral von der Geschicht’: Eine einfache Antwort gibt es nicht! “Hier bin ich geboren”, singt “Gundi” am Ende über die Lausitz. Es galt damals wie heute. 

“Gundermann: alle oder keiner” am Staatsschauspiel Dresden (Großes Haus) wieder am 20. März 2022

Premiere am 9.10.2020

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