Plädoyer für eine neue Klassik

Klassik-Echo, David Garrett und die Ungehorsamen

Ich freue mich seit Langem mal wieder auf einen Fernsehabend. Morgen (18.10.) wird im Konzerthaus Berlin der ECHO Klassik verliehen. Ein riesiges Spektakel im Populärformat. Etwas, das die Klassikszene sonst ja nicht so kennt, das viele auch nicht für gutheißen. Ich kann das verstehen, denn Populärformaten haftet eben immer das Vorurteil an, dass sie Massenprodukte sind, fürs Volk gemacht, ohne Anspruch. Genau das, was die Klassik eben nicht sein will und soll.

Schließlich sehen viele die klassische Musik – ähnlich wie das klassische Theater – doch als die letzte Bastion des deutschen Bildungsbürgertums. Sie erscheint oft als Anker der Intelligenten, die sich ab und an wohlig in ihre biedermeierlichen Wohnzimmer zurückziehen, um wissend den Aufnahmen der besten Dirigenten zu lauschen. Sie ist der Stolz jener Menschen, die sich Opernkarten in der ersten Reihe im ersten Rang leisten können. Dort, wo man auch mal ungestört wegnicken kann. Dieses treue Publikum hütet das Wissen um die großen Komponisten und Musikstile, das Wissen um den guten Geschmack. Meint es.

Doch dann kommt da dieser Echo und verleiht einen Preis an einen wie David Garrett (Foto: PR/Uli Weber). Jan Vogler hat ihn im kommenden Jahr auch zu den Dresdner Musikfestspielen eingeladen. Ein Skandal!? „Klassikfans dürften’s abschätzig aufnehmen“, schrieb dazu ein Kollege in der Sächsischen Zeitung. Er mutmaßt, Vogler würde das Profil seines Festivals mit dem Stargeiger „beschädigen“. Garretts Fans würden das Repertoire von Brahms und Beethoven ohnehin nicht kennen. Nun will ich hier keine Kollegenschelte betreiben, aber der Kommentar zeigt gut, was das Problem der Klassik ist: Sie macht sich durch solche Ansichten unnahbar, sie hebt sich auf ein elitäres Podest, das nur vermeintlich Eingeweihte sich zu besteigen trauen.

Das aber ist genau ihr Dilemma! Denn wenn wir auf der einen Seite leere Konzertsäle beklagen, wenn wir jammern, dass die Jugend keinen Zugang zur Klassik findet, dann sollten wir auf der anderen Seite doch für jeden Versuch dankbar sein, der die goldenen Schranken zum Konzertsaal für alle öffnet. Tatsächlich nämlich ist Musik – das gilt für Klassik wie für Pop gleichermaßen – kein Buch mit sieben Siegeln. Sie ist für jeden verständlich. Wer Qualität in der Musik vielleicht nicht hören kann, der spürt sie, ganz egal ob er Noten lesen kann oder nicht. Denn der Zugang zur Musik ist die Emotion. Ein mitreißend interpretiertes Stück kann schon mal Herzklopfen bereiten, ein melancholischer Satz, wenn er klug gespielt wird, zu Tränen rühren. Das hat die Musik dem Theater und auch der Literatur voraus: Denn es braucht keinen Text, um sie zu verstehen, sie wirkt unmittelbar.

Ein bisschen seltsam mutet es daher schon an, wenn gerade die „Klassikfans“, die sich ja gern als die Sehenden betrachten (um es mit Platons Höhlengleichnis zu erklären), die vermeintlich Feinfühligen, die Toleranten, bestimmte Musik als die Schlechte, Schmuddelige ausgrenzen – und anderen somit auch den Zugang zum Schönen, Guten versperren wollen. Nun mag man von David Garretts Cross-Over-Projekten halten, was man will. Aber stellt das seine Virtuosität denn wirklich in den Schatten? Sollte man ihn und sein Publikum deswegen vielleicht nicht ernst nehmen? Ich finde es höchst verwerflich, so zu denken. Vielleicht haben viele seiner Fans tatsächlich noch nie ein gutes Violinkonzert von Beethoven live erlebt. Doch selbst wenn nur ein paar Wenige davon sich durch Garrett verleiten lassen, ein klassisches Konzert zu besuchen, ist schon ein großer Stein ins Rollen gebracht. Wir sollten offen sein für das, was er tut, statt mit gerümpften Nasen auf ihn herabzublicken!

Vielleicht sollten jene, die meinen, die im 19. Jahrhundert bei Hofe gewachsenen Traditionen noch unbedingt ins Heute tragen zu müssen, sich eines vergegenwärtigen: Die Welt verändert sich, auch Bach und Beethoven galten einmal als Skandale im Konzertsaal. Nun ist es Zeit, dass die Klassikwelt endlich von ihrem Rapunzel-Turm herabsteigt, sich der Welt und dem Publikum öffnet, sich neu erfindet, gern auch mal populär sein darf. Alles andere ist Konservierung des Alten – und die hat kein Recht auf eine lebendige Zukunft. Das muss gerade hier in Dresden, wo viele gar nicht genug davon kriegen können, ständig die Konservativität der Stadt zu beklagen, sich über Rückwärtsgewandtheit und den Rückzug ins Bürgertum zu echauffieren, einmal gesagt werden. „Wir kategorisieren heute alle viel zu schnell“, hat Jan Vogler als Antwort auf David Garrett bei den Musikfestspielen gegeben. Ein kluger Satz. Denn Musik kennt keine Kategorien, sie kennt nur Dur oder Moll.

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