Sommerfilmflimmerschau …

… wo Kino auch im Freien fetzt

Die Dresdner Freiluftkinos servieren in diesem Jahr einen heißen Filmsommer. Vom Klassiker bis zur Premiere, vom Programmkinofilm bis zum Blockbuster steht hier alles auf dem Programm. Die elbmargarita-Sommerkinoliste zeigt auf einen Blick, wann es wo losgeht und wer welche Filme spielt. Hier gibts die Daten, Fakten und Linktipps – das passende Wetter ist Glückssache.

(1) Filmnächte am Elbufer

Dresdens größtes und Deutschlands wohl schönstes Sommerkino zaubert vom 27. Juni bis 25. August ein sattes Film- und Konzertprogramm ans Königsufer. Neben alten DDR-Klassikern wie „Die Legende von Paul und Paula“ (29.6.) laufen hier die großen Produktionen der Saison, wie „Cloudatlas“ (5.7.) und „Kontiki“ (18.8.). Am 8. August lockt zudem die Kurzfilmnacht an die Elbe. – Aktuelles zu den Filmnächten gibt’s hier.

Filmnächte-Linktipp: www.filmnaechte-am-elbufer.de

(2) Kino hinterm Zentralgasthof Weinböhla

Das Freiluftkino Weinböhla flimmert dieses Jahr vom 12. Juli bis 3. August über die Leinwand hinter dem Zetralgasthof. Jeweils freitags und samstags sind dort in diesem Zeitraum ausgewählte cineastische Filmperlen wie „Sushi in Suhl“ (12.7.), „Der Sommer der Gaukler“ (19.7.) oder „Drive“ (2.8.) zu sehen.

Kino-Linktipp: https://www.facebook.com/freiluftkino

(3) Schauburg Hirsch-Kino in der Muschel

Auf dem Konzertplatz am Weißen Hirsch bietet die Dresdner Heide eine kühlschattige Kulisse für filmischen, theatralen und musikalischen Hochgenuss unter freiem Himmel. Zum Programm, das hier vom 7. Juli bis 31. August unterhält, gehören neben Theater, Kabarett und Konzerten auch acht Filmabende. Diese werden von der Schauburg organisiert – um welche Filme es sich handelt, steht noch nicht fest.

Hirsch-Kino-Linktipp: www.dresdner-sommer.de

(4) Sommerkino in der Zschoner Mühle

Nicht unter freiem Himmel, aber dennoch idyllisch in der Scheune ist das Sommerkino in der Zschoner Mühler. Dieses geht anno 2013 seine 19. Saison, die dank dem verantwortlichen Cinema Paradiso schon am 2. Juni begann und noch bis zum 28. August mit Filmen wie „The broken circle“ (30.6.-3.7.), „Das hält kein Jahr“ (7.7.-10.7.). oder „Oh Boy“ (28.7.-31.7.)  als einziges Sommerkino der Stadt auch bei Regen erfreut.

Film-Mühlen-Linktipp: www.zschoner-muehle.de

(5) Hofkino in der Schauburg

Freiluftflimmern mit über zehnjähriger Tradition ist im Hofkino der Schauburg Programm. Von Arpil bis Ende September laufen hier die aktuellen Filme nach Sonnenuntergang auch draußen. So können Cineasten noch in ganz entspannt in der Sonne die wöchentlichen Kinokritiken studieren, bevor sie sich unter freiem Himmel im Hof des Lichtspieltheaters ganz dem Kinospaß hingeben.

Hofkino-Linktipp: www.schauburg-dresden.de

Ihr kennt noch ein anderes Sommerkino, das hier unbedingt erwähnt werden sollte? Dann schreibt eine Mail an: elbmargarita[at]freenet.de !

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Die Macht der Weiblichkeit

Bühnamit spielt „Selbstbefriedung“

Sechs Paare, sechs Beziehungen – die bald ganz ohne Sex stattfinden. Kaum zu glauben, aber genau das ist das Thema der gut 2000 Jahre alten griechischen Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes. Die freie Dresdner Theatergruppe „Bühnamit“ hat aus diesem Stück, bei dem Die Frauen per Sexentzug letztlich vor allem den Krieg stoppen wollen, nun mit „Selbstbefriedung“ – nicht Selbstbefriedigung! – ihre ganz eigene, moderne Lesart entworfen und auf die Bühne (Fotomontage: PR) gebracht.

So sind diese sechs Paare in der Inszenierung von Moritz Greifzu und Vivien Woltersdorf zunächst in ganz alltäglichen Situationen zu sehen: Beim Schachspiel, beim Hausputz, nach dem Sex oder beim leidenschaftlichen Wiedersehenskuss. Sie sind erstaunlich heutig diese Pärchen – der Krieg, der die Männer früher band und für jede Beziehung ungreifbar machte, hat hier nun ganz verschiedene Gesichter. Da ist ein ständig arbeitender Macho, dort ein Ehemann, dem schnell mal die Hand ausrutscht, da der Gatte, der seiner Frau nur über den Rand der Frühstückszeitung beim Putzen zusieht, oder der wilde Liebhaber.

Sie alle trifft die plötzliche Abstinenz ihrer Damen wie ein unerwarteter Blitzschlag. Machtlos wie sie sind, drohen die Männer zu verzweifeln, sie diskutieren, tun laut hämmernd ihren Unmut kund, versuchen zu verführen und beißen bei der holden Weiblichkeit doch auf Granit. Ganz allmählich wird so aus dem früheren Staats- ein handfester Ehestreit, der jeweils in den unterschiedlichen Farben dieser verschiedenen Beziehungskonstellationen gemalt ist. Dabei tun die Frauen hier eigentlich nichts anderes als die Männer: Sie führen Krieg, nur eben mit den Waffen einer Frau – der später auch zum Zickenkrieg ausufert.

Der Sexentzug, so zeigt sich bald im Wechsel von streitenden, schmollenden, verzweifelten und verbissenen Gesten, macht auch heute sicher nichts besser, aber alles anders. Zu schwach sind beide Geschlechter, die am Ende schließlich noch weniger ohne als miteinander leben können. Aus dem antiken Stück wird so auf amüsante, kurzweilige und doch auch tiefsinnige Weise eine moderne Parabel auf die Emanzipation der Frau – mit allen ihren Vor- und Nachteilen. Denn selbst die mitbestimmende, selbstbewusste Frau bleibt im Herzen doch immer auch Weib.

So ist das Experiment Sexentzug am Ende vor allem für jene geglückt, die es mutig auf die Bühnen der Stadt holten: Das Ensemble von Bühnamit übersetzt die Vorlage von Aristophanes in seiner achten Inszenierung keck ironisch in die Gegenwart, sodass sich jeder mit einem Schmunzeln im Gesicht auch ein Stück weit selbst darin wiederfinden kann. Man kennt sie ja irgendwie diese Beziehungskisten. Vielfältig und mit Liebe sind diese Stereotypen gestaltet – doch genau das macht sie hier so lebendig und wunderbar komisch in ihren Handlungsweisen.

Nicole Czerwinka

Bühnamit: „Selbstbefriedung“, wieder am 19.06. und 20.06., 20 Uhr im Projekttheater sowie am  21.06. und 25.06., 19 Uhr im Kreuzgymnasium

Linktipp: www.bühnamit.de

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Russische Sehnsucht an der Manufaktur

„Klassik Picknickt“ zum Sechsten

Das ist Dresden wie es leibt und lebt: Die Sächsische Staatskapelle Dresden lädt zusammen mit der Gläsernen Manufaktur im Herzen von Elbflorenz zur russischen Nacht (15.6.) unter freiem Himmel ein – und alle kommen. Mit Decken und Picknickkörben strömen sie zur sechsten Auflage von „Klassik Picknickt“ herbei. Hier trifft Kenner auf Genießer, Klassikliebhaber auf Junggesellenabschied. Dass 3500 verkaufte Karten auf dem Gelände der Automobilfabrik da nicht ausreichen, kann kaum verwundern – tatsächlich sind auch die 300 Abendkassenkarten schon 19.30 ratzeputz ausverkauft.

Heim geht deswegen aber niemand, schnell entfalten die klassikinteressierten Picknicker stattdessen ihre Decken auch auf der Wiese gegenüber, zaubern Sekt, Brote oder Süßigkeiten aus ihren Körben, schlagen Campingstühle auf dem Fußweg vor der Manufaktur auf oder platzieren sich etwas abseits auf den angrenzenden Rasenflächen im Großen Garten. Denn ab 21 Uhr servieren die Gläserne Manufaktur und die Staatskappelle unter sommerlichem Himmel ein auserlesenes Musikprogramm. Hier steht dieses Mal kein geringerer als Schostakowitsch-Kenner Michail Jurowski am Pult, als Solist betritt später Sergei Nakariakov, auch als Paganini der Trompete bezeichnet, die Bühne.

Bei solch großer Kunst für wenig (fünf Euro Eintritt!) oder gar kein Geld stört nicht einmal die in kurzen Abständen sachte vorbeisäuselnde Straßenbahn – die Verkehrsbetriebe haben ihre Fahrer in Höhe der Manufaktur während des Konzerts zum Langsamfahren angehalten – den Musikgenuss. Das zuvor an alle, auch die Außenpicknicker, verteilte Programmheft informiert neben Moderatorin Bettina Volksdorf über diesen Abend, an dem sehnsuchtsvolle Melodien von Schostakowitsch, Mussorgsky, Arutjunjan, Böhme, Glinka und Tschaikowski durch die Sommerluft flattern und in reinem Ton auch jenseits der Lennéstraße ankommen. Sogar die Getränkeverkäufer finden den Weg bis dahin, sodass es diesem gediegenen Klassikpicknick an nichts fehlt – außer vielleicht an einer guten Platzlösung bei weiterer Publikumszunahme in den nächsten sechs Jahren.

Fotos & Text: Nicole Czerwinka

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Aufwühlend persönliche Akteneinsicht

„Meine Akte und ich“ am Kleinen Haus

Meter von Aktenordnern und vergilbten Papier, kleine weiße Wolken geschredderter Vergangenheit am Boden, ein Holztisch, zahlreiche Regale – diese Kulisse ist statisch und doch so lebendig. Matthias Schaller hat mit seiner atmosphärischen Bühnengestaltung am Kleinen Haus 3 ein symbolhaftes Bild für das Stasi-Stück „Meine Akte und ich“ der Dresdner Bürgerbühne gefunden, das den neun Darstellern dennoch genug Raum für Individualität lässt.

Denn Künstlichkeit und Schauspielerei sind ganz sicher nicht das Anliegen, das Regisseur Clemens Bechtel mit seiner Inszenierung verfolgt. Vielmehr geht es hier um die unbedingte Authentizität der neun Dresdner, die sehr persönlich von ihren Erfahrungen mit der Staatssicherheit, schwarz auf weiß festgehalten im Inhalt ihrer Stasiakten, erzählen. Diese neun Geschichten verweben sich zu einem gut recherchierten, behutsam präsentierten Teil der DDR-Geschichte – und sind so unterschiedlich wie ihre Protagonisten selbst.

Da ist zum Beispiel Ex-EOS-Lehrer Max Fischer, der zwar nicht unterschrieb, dafür aber bei der Akteneinsicht später feststellte, dass er von jenem Kollegen, den er einst bespitzeln sollte, selbst verraten wurde. Oder Catharina Laube, die als Studentin einer politisch interessierten Gruppe angehörte und nach der Verhaftung eines Kommilitonen stundenlang von der Staatssicherheit verhört wurde. Auch Michael Schlosser, der „Dresdner Ikarus“, der einst mit einem selbst gebauten Flugzeug aus der DDR flüchten wollte, aber vorher von der Stasi geschnappt wurde, gehört zum Ensemble dieses berührend-authentischen Dokumentationstheaters.

Bechtel hüllt diese neun Schicksale in eine bühnentaugliche Dramaturgie und erarbeitet mit den individuellen Erfahrungen der Protagonisten eine Art Rückschau, ohne zu verurteilen, anzuklagen oder zu bewerten. Hier geht es nicht um Opfer und Täter – beide Seiten stehen sich auf der Bühne sogar gegenüber –, sondern vielmehr um die Funktionsweise des DDR-Geheimdienstes, die anhand der Akteneinsicht exemplarisch ein Stück weit offengelegt werden kann. Am aufwühlendsten ist dabei die Szene, in der Jürgen Gottschalk (Foto: PR/Matthias Horn), Michael Schlosser und Gottfried Dutschke sich an den Häftlingsalltag in der DDR erinnern. Doch auch an anderen Stellen sind die Ängste der Vergangenheit dank der Nähe aller Darsteller zum Thema nahezu greifbar.

Dennoch wird der Versuch, bei der nachträglichen Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Diktatur Ursache und Wirkung in ihrem Zusammenhang darzustellen, immer Versuch bleiben – zu komplex ist das Thema, das sich der Nachvollziehbarkeit aus heutiger Sicht allzu gern entzieht. Es gehört zu den Stärken der Inszenierung, dass Bechtel auch das gar nicht zu verschleiern versucht, sondern die Protagonisten ganz für sich sprechen lässt. So ist das Stück mit Sicherheit eines der spannendsten, aber auch berührendsten im Spielplan der Dresdner Bürgerbühne.

Nicole Czerwinka

„Meine Akte“ am Kleinen Haus Dresden, wieder am 08.06., 18.06. und 30.06., jeweils 20 Uhr

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Schelmisches Puppenspiel vom Menschsein

Werkschau der Compagnie Freaks und Fremde

Ein bisschen anders, ein bisschen verrückt, dabei gleichzeitig berührend, schelmisch, derb und weise – das ist Theater der „Compagnie Freaks und Fremde“. Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich das ganz und gar nicht spießige Puppenspielerduo Heiki Ikkola und Sabine Köhler aus Dresden. Wie in einem „künstlerischen Labor“ denken sich die beiden seit 1997 Theaterprogramme aus und forschen dabei bis heute an sich selbst, wie sie sagen. Ihre Geschichten entstehen auf Reisen, im Dialog mit verschiedenen Theatermaterialien oder purzeln ihnen ganz schlicht im Alltag über den Weg. Nur eines haben sie alle gemeinsam: Sie erzählen von den großen und kleinen Unmöglichkeiten des Menschseins, loten Normen aus und bezaubern die Zuschauer mit einem Übermaß an Phantasie (Foto aus MASCARA: PR/Max Messer).

„Wir machen grenzenloses Theater, es ist aber kein Gemüsegarten. Es ist nicht beliebig, sondern frei in der Wahl der Mittel“, erzählt Heiki Ikkola über die Arbeit der Compagnie. Zusammen mit Sabine Köhler will er seinen Zuschauern keinen belehrenden Zeigefinger entgegenstrecken, sondern mit seinen Stücken viel lieber berühren. „Die Zuschauer sind Voyeure, leben ihre Faszination mit dem Abnormen aus. Mit Puppen ist es möglich, so etwas zu zeigen und auch darüber zu lachen“, ergänzt Sabine Köhler. So widmet sich das Stück „Freakshow“ beispielsweise der Frage: Was ist normal? – und stellt dabei Sonderlinge mit ihren merkwürdigen Fratzen in den Mittelpunkt. Die „Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ dagegen erklärt auf spielerische Weise, wie das Leben funktioniert und dass der Tod ein natürlicher Teil davon ist.

In der Vorbereitung dieser Programme steckt so manche mühevolle Nachtschicht. Freizeit und Arbeit gehen für die beiden Künstler, die unter anderem auch vom Dresdner Schaubudensommer bekannt sind, Hand in Hand. So sind zum Beispiel die Puppen der Compagnie alle samt von Sabine Köhler selbst angefertigt. Von Dresden aus reisen diese dann mit ihren beiden Compagnie-Eltern nicht selten quer durch die Welt. „Das Reisen passt für mich super zum Theatermachen. Das gibt mit Wellen von Spannung und Entspannung. Und wenn man zurückkommt, sieht man Dinge, die man vorher gar nicht mehr gesehen hat, wieder ganz neu“, meint Heiki Ikkola.

Doch auch für die Zuschauer ist jede Aufführung der „Compagnie Freaks und Fremde“ so etwas wie eine kleine individuelle Reise für sich. Wer Lust bekommen hat, sich darauf einzulassen, der kann schon mal die Phantasie-Koffer packen. Denn unter dem Motto „Acht Stücke in vier Tagen: Ein langes Wochenende voller Chaos und Liebe, echtem Mut und falschen Hörnern“, versprechen die beiden bei einer Werkschau im Rahmen des OFF-Theaterfestivals vom 6. bis zum 9. Juni am Dresdner Societaetstheater einen bunten Querschnitt durch ihr Programm. Neben eigenen Inszenierungen sind hier auch Koproduktionen und künstlerische Begegnungen der beiden mit anderen Theatern und Compagnien zu erleben. Vom bissig interpretierten Märchen bis hin nachdenklichen Fabel übers Altern ist alles dabei.

Nicole Czerwinka

Linktipp: www.freaksundfremde.blogspot.de

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Von Helden und Waschlappen

Peter Hacks „Helena“ an der St. Pauli Ruine

Auch Götter können irren. Und sie tun es ständig. So oder so ähnlich könnte man Peter Hacks fröhlich-satirisches Schauspiel mit Musik um die schöne „Helena“ (1964), nach einer Operette von Jacques Offenbach, wohl interpretieren. An der St. Pauli Ruine feierte dieses schwer ironische Stück am Freitag (31.5.) in einer Inszenierung von Jörg Berger Premiere. Hier gipfelt der allzu heutig erscheinende Götterkampf um Popularität zwar nicht im Trojanischen Krieg, dafür jedoch in einem unterhaltsamen Theaterabend, der in Hacks’scher Manier die Schwächen der allzu menschlichen Herrscher (Foto: PR) vorführt.

Helena, die schönste Frau auf dem Olymp, wird dabei gleichsam selbst Mittel zum Zweck. Denn eigentlich ist es die listige Kupplerin Venus, welche die Ehe der Schönen per verhängnisvolles Versprechen in den Hades befördert. Britta Andreas spielt diese listige Liebesgöttin, die es weder Minerva (Simone Foltran) noch Juno (Katrin Soddu) gönnt, vom trojanischen Prinzen Paris (Jonas Finger) als die Schönste aller Göttinnen gekrönt zu werden. So verspricht sie dem Prinzen die Liebe der Helena, um den goldenen Apfel des Paris schließlich selbst zu erhalten.

Der anfangs als blökender Zickenkrieg inszenierte Frauenstreit – sinnfällig werden die Schafe hier von Hund Merkur alias Detlef Epperlein zusammengescheucht – mündet schließlich im Konkurrenzkampf zwischen Jupiter (Karl Weber) und Venus. Resigniert stellt Priester Kalchas (Rainer Leschhorn) fest, dass Venus längst populärer als Jupiter ist. Helena indes ist inzwischen dem schönen jungen Paris verfallen und in ein gesellschaftliches Verhängnis verstrickt. Felicitas Mallinckrodt sticht dabei als eine allzu menschliche Helena hervor, die aufgeregt von der Empore herab ihr Schicksal betrachtet und hyperventilierend die Ankunft des angebeteten Paris kundtut.

„Dem Herzen folgen, gilt als Sünde“, deklamiert sie – tut es aber doch. Zusammen mit Paris zieht sie am Ende die Leidenschaft der gesellschaftlichen Anerkennung vor und flüchtet ins Nirgendwo, um die Herrscherriege, die eben noch beschaulich beim Angeln saß, einfach mal stehen zu lassen. Auch Helenas gehörnter Gatte Menelaos – von Lutz Koch wunderbar machtlos-treudoof dargestellt – bleibt mit dem Rest der ulkigen Götterbande zurück. Sogar das als große Show inszenierte Orakel führt sich mit diesem Ausgang der Geschichte letztlich selbst ad absurdum.

Das göttliche Herrschaftsgetue dieser in Bettwäschegewänder (Bühnen- und Kostümbild: André Thiemig) gepackten Bande wird hier nicht nur dank Ehebruch, sondern auch in seiner Erscheinung per se parodiert und herzhaft komisch in seiner ganzen Fragwürdigkeit enttarnt. Nicht nur Ajax I und II (Detlef Epperlein und Jens Döring) und der mächtige Held Achilles (Hans-Martin Thiel) erscheinen dabei als humorige Waschlappen, auch ihr Dichter Homer tritt als blinder Schreiber, den niemand mehr ernst nimmt, auf die Bühne und hat selbst am Mikro bald nichts mehr zu sagen.

Am Ende gibt es in dieser hintersinnigen Inszenierung weder Sieger noch Verlierer. Eine Moral aus der Geschicht’ – so sie überhaupt existiert – mag sich jeder Zuschauer für sich selbst herausfiltern. Dass es dem bunten Treiben in der Ruine dabei manchmal ein wenig an Stringenz fehlt und im wilden Göttergewusel auch schnell mal der Faden verloren geht, machen die vielen guten Einfälle – vom göttlichen Donnergrollen bis zur blökenden Schafsherde –  bis dahin wieder doppelt wett.

Nicole Czerwinka

Peter Hacks: „Helena“ an der St. Pauli Ruine, wieder am 4.6., 5.6. 19.30 Uhr, 7.6. und 29.6. 20 Uhr sowie am 9.7., 10.7., 23.7., 24.7., 25.7. 19.30 Uhr, am 13.-15.8., 27./28.9., 4./5.10.

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Das Große steckt oft im Unscheinbaren

„Wie Licht schmeckt“ an der bühne der TU

Sie rascheln und pfeifen und kratzen und summen und brummen, um dann wieder ganz still zu sitzen oder pantomimisch Lachfalten beim Publikum zu produzieren. Mattis Hasler und Maximilian Helm alias Lissy und Ringo sind die heimlichen Stars der aktuellen Produktion von die bühne – das Theater der TU Dresden. Still im Hintergrund, aber doch immer wieder mit herrlich komischer Präsenz in das eigentliche Stück hineinprasselnd sind sie so etwas wie der Pfeffer in einem gelungen angerichteten Theaterabend mit dem vieldeutigen Titel „Wie Licht schmeckt“ (Foto: PR/Paul Krehl).

Vordergründig entspinnt sich in der ersten Inszenierung von Stephan Thiel an der TU-Bühne, jedoch eine nachdenkliche, philosophisch-berührende Geschichte um den 14-jährigen Lukas. Das Stück beruht auf dem gleichnamigen Roman von Friedrich Ani. Im Gegensatz zu dieser Vorlage verzichtet die Dramatisierung von Johannes Schrettle jedoch auf den Hintergrund der Elternfiguren und genaue Ortsangaben. Hier geht es zunächst nur um Lukas, der an seinem 14. Geburtstag drei Tage lang nicht nach Hause gehen und schlicht frei sein mag. Marcus Horn spielt diesen planlosen Jungen, der außer einem Roman von Simon Beckett und ausgedehnten Spaziergängen in seiner Heimatsstadt nichts will und braucht, zunächst noch voll ungestümem Übermut, entwickelt diese Figur im Verlauf des Abends jedoch hin zu immer mehr Tiefe und Besonnenheit.

Auf seinen Streifzügen begegnet Lukas den beiden ulkigen Typen Lissy und Ringo, die zwar ein wenig älter als er, aber letztlich ebenso planlos daherkommen – und manchmal als bloße Phantasiefiguren von Lukas erscheinen, die nur vorübergehend aus Simon Becketts Roman an den Rand der Bühne zu ihm hervorkriechen. Doch dann stolpert Lukas auf einer Rolltreppe plötzlich über den Blindenstock der 17-jährigen Sonja. Er ist fasziniert von dem seltsamen Mädchen, hilft ihr über die Straße – wiederum kunstvoll gemalt mit Geräuschen aus dem Mikro – und verfolgt sie schließlich bis in das Lokal, in dem sie arbeitet. Sarah John könnte man in der Rolle dieser selbstbewussten und doch zerbrechlich wirkenden Sonja ewig zusehen. Mit geschlossenen Augen spielt sie die Figur souverän und berührend, wenn sie etwa Lukas zeigt, dass nicht nur das, was man sieht, wahr sein muss und den übermütigen Jungen mehr als einmal in die Schranken weist.

Und dann ist da noch Sonjas Freundin Vanessa. Maria Rähder lässt diese Kumpeline zwischen großer Sorge um ihre blinde Freundin und kleiner Eifersucht auf die immer mehr sich zwischen dieser und Luaks anbahnende Freundschaft schwanken. Geht sie zu Anfang noch begeistert mit Sonja ins Kino und Schwimmbad, schnattert fröhlich mit ihr über Lieblingsfernsehserien, so tritt sie am Ende eher als Randfigur in Erscheinung. Das, was da zwischen Lukas und Sonja passiert, versteht sie wohl nicht so recht, vielleicht weil sie selbst noch nicht so ganz begriffen hat, wie man ohne Augenlicht, aber dafür viel mehr als die anderen sehen kann.

Dank einem starken Ensemble entsteht so auf der kleinen Bühne im Weberbau der TU Dresden mit einfachen Mitteln großartiges Theater, bei dem viele gute Ideen mitspielen und am Ende zu einem gelungenen Ganzen zusammengesetzt werden. Mit einem Sammelsurium an kreativen Geräuschmachern aus dem Küchenschrank setzen die jungen Schauspieler sowohl die ulkigen als auch die wahrhaft berührenden Momente des Stückes ins richtige Licht. Die Philosophie der eigentlich tiefsinnigen Geschichte entspinnt sich in diesem abwechslungsreichen, vielseitigen Spiel angenehm unaufdringlich, ganz ohne erhobenen Zeigefinger.

Nicole Czerwinka

„Wie Licht schmeckt“, bühne das Theater der TU Dresden, wieder am 31.5., 1.6., 5.6., 7.6., 8.6. jeweils um 20.15 Uhr

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Opernposse ohne Narren

Verdis „Falstaff“ am Kleinen Haus

Nein, selbstverständlich ist es wahrlich nicht, mit studentischen Stimmen eine Oper von Giuseppe Verdi zu inszenieren. Anlässlich des diesjährigen Doppeljubiläums 200 Jahre Wagner-Verdi wagte Andreas Baumann, der Leiter der Opernklasse an Dresdens Musikhochschule (HfM), für seine letzte Inszenierung dieses Experiment dennoch. So gipfelte die diesjährige Kooperationsarbeit der Dresdner Hochschulen für Musik (HfM) und Bildende Künste (HfBK) nun in einer bunt trubelnden Aufführung von Verdis letzter Oper „Falstaff“ (1893), die am Sonnabend (25.5.) im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele am Kleinen Haus Premiere feierte.

Die lyrische Komödie in drei Akten (Libretto: Arrigo Boito) ist ein drolliges Stück, das auf William Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ basiert, musikalisch allerdings längst nichts mehr mit der dramatischen Getragenheit von Verdis bekannten Opernschlagern gemein hat. Für die Hochschulkooperation übernahm daher der renommierte Kammersänger Matthias Henneberg die schwierige Titelpartie des Falstaff – und setzte mit seinem herrlich voluminösen Bariton einige Glanzpunkte des Abends. Der Rest blieb – sowohl gesanglich als auch gestalterisch – den Studenten der beiden Dresdner Kunsthochschulen überlassen, die der Herausforderung von Stoff und Partitur mit einer soliden, in den folgenden Vorstellungen sicher aber noch steigerbaren, Leistung trotzten.

Verdis letztes Opernwerk ist ein selbstironisches Stück, das die Entwicklung der Menschlichkeit jenseits bürgerlicher Konventionen hinterfragen will. Der ehrlose, aber ehrliche Falstaff wird dabei in allerlei Eifersuchtshändel verwickelt, die ihm die vermeintlich ehrvolle Bürgerschaft – allen voran die Weiber von Windsor – schließlich rückwirkend zum Verhängnis macht. Fern ab dieser Gesellschaft tauschen Nannetta und Fenton auf Wolke sieben jungverliebte Küsse, bis sie sich in altbekannter Opernlist, natürlich gegen den Willen von Nannettas Vater, doch das Jawort geben. Die Moral der Geschicht’ erteilt Verdi ganz am Ende musikalisch-vieldeutig: „Der Mensch ist ein Narr.“

Die beiden Bühnen- und Kostümbildnerinnen Sabine Mäder und Martina Lebert (HfBK) haben zu der mit Intrigen und zwischenmenschlichen Fallstricken vollgepackten Handlung eine moderne, sehr wandelbare Theaterkulisse mit hin- und herziehbaren Tafeln entworfen, auf der das über allen schwebende Liebespaar gen Himmel fliegt und der selbstgefällige Lebemann Falstaff sich immer wieder in sein dickes rettendes Schlauchboot zurückziehen kann. Die Figuren agieren in zeitlos gegenwärtigen Kostümen, statt einer Armee holt am Ende des zweiten Aktes gar eine Horde Footballspieler zum Hahnenkampf aus. Das alles macht die eher verworrene Handlung zu einem kunterbunten, komisch-kurzweiligen, jedoch erstaunlich klar strukturierten Opernabend, dem es zu keiner Zeit an Spannung mangelt.

Gesanglich ist das Premierenlampenfieber beim studentischen Ensemble (Foto: PR/Hans-Ludwig Böhme) zwar noch hin und wieder zu spüren, unter der Leitung von Ekkehard Klemm, der das Hochschulsinfonieorchester mit gewohnter Ruhe und Souveränität durch die Falstaff-Partitur führt, verklingen die kleinen Unsicherheiten jedoch nahezu ungehört im bunten Bühnentrubel. Unter den Solisten vermag es vor allem Gunyong Na in der Rolle des eifersüchtigen Ford mit seinem stimmgewaltigen Bariton zu überzeugen. Auch Jelena Josic gibt mit ihrem weichen, klaren Sopran eine wundervolle Nannetta und vereint sich mit Jaesig Lee als Fenton zu zauberhaften Liebesduetten im Stil des Bellcanto.

So ist das Experiment am Ende doch geglückt. Für Andreas Baumann ist dieser „Falstaff“ sicher ein zufriedenstellender Anfang vom Ende seiner 21-jährigen Arbeit als Leiter der HfM-Opernklasse. Als Regisseur realisierte er in „fruchtbarer Zusammenarbeit mit jungen, kreativen und motivierten Gesangsstudenten“ in dieser Zeit eine Reihe solcher jugendlich-frischen Operninszenierungen. Baumann war es auch, der die Kooperation von HfM und HfBK, teils auch mit der Palucca-Schule, initiiert sowie die nunmehr seit 2005 währende Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden ins Leben gerufen hat. Wer ab dem kommenden Wintersemester sein Nachfolger wird, steht noch nicht fest. Aber eines ist sicher: Die studentischen Opernproduktionen im Kleinen Haus mögen Dresden auch weiterhin erhalten bleiben.

Nicole Czerwinka

Verdi „Falstaff“ am Kleinen Haus, wieder am 29.5., 19.30 Uhr; 2.6., 16 Uhr; 8.6., 14.6. und 22.6. je 19.30 Uhr

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Barocke Uraufführung im Palais

Festspielorchester präsentiert Vergessenes

Das Dresdner Festspielorchester, 2012 im Rahmen der Musikfestspiele eher still gegründet, knüpft beim Werkstattkonzert am vergangenen Sonnabend (18.5.) musikalisch an jenes Zeitalter an, in dem in Dresden alles versammelt war, was musikalisch Rang und Namen hatte. Im Mittelpunkt stehen dabei teils noch ungehörte Werke aus dem legendären „Schrank II“, in dem der Ausnahmegeiger Johann Georg Pisendel (1687-1755) einst in der Hofkirche seine umfangreiche Musikaliensammlung aufbewahrte. Diese umfasste rund 1700 Manuskripte, darunter auch Abschriften von Werken Antonio Vivaldis, vor allem aber Kompositionen von Georg Philipp Telemann und Johann Friedrich Fasch. Die Noten gehören heute zum Bestand der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB), wo sie von 2008 bis 2011 neu aufgearbeitet und digitalisiert wurden.

Dank des Festspielorchesters (Foto: PR/Oliver Killig), in dem sich Spezialisten für historische Aufführungspraxis aus zwölf Ländern vereinigt haben, folgt nun die Ur- und Erstaufführung eines kleinen Teils dieses lange in den Untiefen der Archive schlummernden Musikalienschatzes. Mit festlich, ja fast hymnisch anmutenden Auszügen aus der Ouvertüren-Suite D-Dur von Johann Friedrich Fasch (1688-1758) – die hier eine Uraufführung in drei Teilen erlebt – eröffnen die Musiker diesen historischen Konzertabend im barocken Ambiente des Palais im Großen Garten. Ein Hauch von höfischer Festmusik durchweht den Saal, wobei die Trompeten sehr dominant durchdringen. Das Orchester unter der Leitung des Engländers Ivor Bolten am Cembalo lässt die drei Teile dieses fast schon klassisch anmutenden Stücks mit großem Enthusiasmus aufleben.

Dazwischen betritt immer wieder (fast ein wenig zu oft) Festspielintendant Jan Vogler die Bühne. Er ist der Moderator des Abends, ordnet die insgesamt vier Werke historisch ein und stellt die alten Instrumente in Gesprächen mit den Musikern vor. Heute kaum noch geläufige Klangkörper sind hier versammelt: Da wären zum Beispiel eine ungewöhnlich lange Naturtrompete ohne Ventile, eine 250 Jahre alte Pauke mit Ziegenfell, eine Flöte mit Elfenbeinringen in konischer Struktur, ein Horn  mit einer fast fünf Meter langen Röhre, ebenfalls ohne Ventile, und eine Barock-Laute mit 24 Saiten.

Die Flöte (Frank Theuns) mit ihrem warmen, weichen, eher gedämpften Ton steht beim zweiten Stück, einem Flötenkonzert von Johann Joachim Quantz (1697-1773), im Fokus. Rund 300 solcher Flötenkonzerte hat Quantz geschrieben. Dieses ist ein besonders klangschönes, eingängiges Werk, das vom Orchester mit großer Präzision vorgetragen wird, bevor ein ebenfalls sehr moderner Satz von Antonio Vivaldis (1678-1741) Concerto in D-Dur erklingt. Hier kommt nun die sperrige Barock-Laute zu ihrem großen Auftritt. Mit sichtbarer Freude geht Joachim Held an diesem Instrument ans Werk, mit dem er auch dem in Dresden wirkenden Silvius Leopold Weiss (1687-1750), einst einer der berühmtesten Lautisten seiner Zeit, späte Ehre erweist. Konzertmeister Giuliano Carmignola führt auf der barocken Violine lässig und akkurat zugleich durch diesen ungewöhnlichen Vivaldi.

Das wahrscheinlich barockste Stück des Abends jedoch ist Johann David Heinichens (1683-1729) „Serenata di Moritzburg“. Das ebenfalls frisch edierte Werk aus dem „Schrank II“ ist mit Horn – Wilhelm Bruns demonstrierte es zuvor – und Trompeten (Wolfgang Gaisböck, Bernhard Mühringer) in einem lebhaften Jagdkolorit gehalten. Allerdings – und das ist wohl das einzige Manko, ist wie schon zuvor auch hier das Cembalo in den ersten Reihen kaum zu hören. Abgesehen davon glänzt dieses von sicht- und hörbarem Enthusiasmus des Festspielorchesters getragene Gesprächskonzert mit einer lebhaften Rückschau auf Dresdens Musikgeschichte als historischer Programmpunkt mitten im Festspieltrubel. Ein weiteres wird der Klangkörper, unter anderem mit Werken von Fasch, Händel, Heinichen und Vivaldi, am kommenden Montag (20.5.), um 20 Uhr im Lichthof des Albertinums gestalten.

Nicole Czerwinka

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Brahms trifft Britten, mitten in Dresden

Takács Quartet bei den Musikfestspielen

Brahms warmtönige Romantik trifft auf Brittens kantige Moderne – wie gut das harmoniert, hat das Takács Quartet (Foto: PR/Ellen Appel) bei seinem gestrigen Konzert (17.5.) im Palais im Großen Garten eindrucksvoll bewiesen. Das aus Ungarn stammende Streichquartett ist weltweit für seine innovativen Konzertkonzeptionen bekannt. Bei den Dresdner Musikfestspielen spielten die vier Musiker nun zusammen mit dem renommierten Bratschisten Lawrence Power auf.

Zwei Streichquintette von Johannes Brahms – der eher für sein sinfonisches Schaffen und seine Lieder, weniger für Kammermusik bekannt ist – bilden den Rahmen für dieses zweistündige Konzert. Sowohl das Quintett Nr. 1 F-Dur als auch Nr. 2 G-Dur ist für zwei Violen geschrieben. Sie gehören zu den wenigen Kammermusikwerken von Brahms, in denen kein Klavier besetzt ist. Das Takács Quartet lässt diesen warmen weichen Klang zusammen mit Lawrence Power nun im barocken Palais wieder aufleben. Fließend fügen sich ihre Stimmen ineinander, fast so als würde ein stummes Band der Verständigung sie zusammenführen. Die Musiker Eduard Dusinberre (Violine), Károly Schranz (Violine), Geraldine Walther (Viola), Andrá Fejér (Violoncello) und Lawrence Power (Viola) gehen sichtbar in dieser Musik auf, während sich die Sonne rings um das Palais langsam herabsenkt.

Das sich an das Brahms-Quintett Nr. 1 direkt anschließende Streichquartett Nr. 3 von Benjamin Britten bietet dazu eine hörbare Zäsur, führt allerdings keineswegs zum stilistischen Bruch. Im Gegenteil: Viel eher erscheint die bewegende Dialogsituation, mit der Britten sein fünfteiliges Stück eröffnet, als eine Weiterentwicklung des Vorangegangenen. Mehr kantig als fließend, aber dennoch melodisch singen, jammern und streiten Violinen und Violen hier scheinbar miteinander, wobei das Violoncello neunmalklug hineinmeckert und einen gelungenen Kontrapunkt setzt. Wie in einem Kaleidoskop fügen sich die Einzelstimmen dabei immer wieder zu einem Ganzen. Mal gibt eine Solo-Violine Töne wie Nadelstiche von sich, so als würde sie weinen und bittere Wehmut klagen, um später von den Tiefen des Cellos geerdet zu werden – bis das Stück schließlich in einem getragenen Rezitativschluss endet, der diesen Dialog der Instrumente zum wehmütigen Konsens führt. Den Musikern gelingt es dabei einmal mehr die Spannung bis zum sacht verklingenden Schlusston zu halten, sodass Britten bis in die Pause nachklingt.

Danach schließt sich der Kreis mit Brahms Quintett Nr. 2, das lebhaft die Romantik zurück ins Palais holt. Erneut halten das Takács Quartet und Lawrence Power den Saal mit ihrem virtuosen Zusammenspiel ganz im Bann der Musik gefangen. Fast scheint es, als hätte Brittens musikalisches Zwischenspiel die Musiker gar noch fester zusammengeschweißt. Und wiederum wird deutlich, wie überraschend gut die Kombination aus Brahms und Britten hier nach wie vor gelingt. Der minutenlange Applaus nach dem vierten Satz bestätigt dies. Einzig, dass das Spiel dennoch ohne Zugabe blieb, mag einige Konzertbesucher vielleicht ein wenig irritiert haben. Als Entschädigung – sowie für all jene, die nun neugierig geworden sind – sei an dieser Stelle auf die Übertragung der Liveaufzeichnung dieses Konzerts auf Deutschlandradio Kultur am kommenden Sonntag (19.5.), um 20.05 Uhr verwiesen.

Nicole Czerwinka

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