Märchenhaftes Mythenspiel

Die Semperoper feiert mit Monteverdis „L’Orfeo“ ein zeitlos barockes Opernfest

Es ist schon eine kleine Sensation: Über 400 Jahre nach der Uraufführung 1607 in Mantua bringt die Semperoper zum ersten Mal eine Eigenproduktion von Monteverdis „L’Orfeo“ (Fotos: Ludwig Olah) auf die Bühne. Regisseur Nikolaus Habjan feiert mit einer beeindruckenden Inszenierung sein Hausdebüt und statt der Sächsischen Staatskapelle Dresden spielt mit der lautten compagney BERLIN unter der Leitung von Wolfgang Katschner ein renommiertes Barockmusik-Ensemble im Graben.

Ein Opernabend also, der Erwartungen weckt und mit seiner märchenhaften Bildsprache verzaubert. Nikolaus Habjan und sein Bühnenbildner Jakob Brossmann feiern mit ihrer Inszenierung ein großes barockes Fest, das den antiken, auf den Schriften Ovids beruhenden Mythos von Orpheus und Euridyke kurzweilig und berührend auf die Bühne bringt. Dabei finden sie gekonnt die Verbindung aus barocker Pracht und zeitgemäßer Klarheit, entführen den Zuschauer in eine phantasievolle Zauberwelt, die ihren Ursprung nicht negiert und doch ziemlich zeitlos scheint.

Das wird gleich zu Anfang sichtbar: In einem wallenden roten Kleid betritt Alice Rossi als personifizierte Musik die Bühne. Eine Handvoll Musiker gesellen sich aus dem Graben zu ihr, um vor verschlossenem Vorhang mit Monteverdi von der Kraft der Musik zu erzählen. Dabei wirkt der Text kein bisschen altertümlich noch religiös: Die Musik schenkt den Menschen Hoffnung und Kraft, wie wir kurz darauf in der Geschichte des Sängers Orfeo erfahren.

Die lautten compagney BERLIN entwickelt über den Abend einen vollen Klang in der Akustik der Semperoper. Wolfgang Katschner setzt klare Akzente, obgleich die Vereinigung von Chor und Graben nicht immer ganz einwandfrei gelingt. Ganz ungeachtet des Berliner Ensembles, das traditionell auf Instrumenten der Barockzeit musiziert, steht hier jedoch keineswegs die historische Aufführungspraxis im Zentrum, sondern das Sujet der Oper als solches. Monteverdi schrieb mit „L’Orfeo“ eine der ersten Opern überhaupt und kann somit als einer der Begründer des Genres gelten. Der große Zauber auf der Bühne, die wahren Emotionen, Geschichten von Glück und Schmerz bezaubern das Publikum heute wie vor 400 Jahren.

Und so ist Rolando Villazón als Orfeo der umjubelte Stargast des Abends. Er zeigt diesen Orpheus als hingebungsvoll Liebenden, von Leidenschaft und Emotion getriebenen Mann. Überglücklich über die Hochzeit mit Euridice (Anastasiya Taratorkina) bringt ihn der plötzliche Tod seiner Frau durch einen Schlangenbiss zur Verzweiflung. Orfeo reist in die Unterwelt, um seine Geliebte zurückzugewinnen – oder selbst zu sterben.

Das allzu menschliche Schwanken zwischen Glück und Leiden, Freude und Schmerz wird klanglich wie optisch zum Erlebnis. Hirten und Nymphen in goldenen Gewändern tanzen zur Hochzeit über die gigantische Treppenkonstruktion auf der Bühne, in deren Mitte ein alter Olivenbaum thront. Spektakulär schraubt sich dieser in die Höhe, als Orfeo, in der Absicht seine Geliebte Euridice vom Tod zu retten, in die Unterwelt hinabsteigt. Die Wuzeln sind entblößt, die Seelen nackt. Durch die Verwendung von Puppen, die als Abbilder der Protagonisten sehr lebendig agieren, entsteht ein Spiel im Spiel, das eine gelungene Doppelbödigkeit erzeugt und manche Länge im Stück elegant kaschiert. Die Sänger treten bisweilen in den Schatten, wenn das Theater regiert. Es erinnert ein wenig an Platons Höhlengleichnis.

Im Schattenreich verwandelt sich das barocke Fest flugs zur düsteren Geister-Party: Prosperina (Ute Selbig) und Plutone (Tilmann Rönnebeck), das Königspaar der Unterwelt, geistern als riesige Wesen mit leuchtenden Augen durch die Finsternis. Schließlich darf Orfeo hoffen, er kann Euridice zurück mit zu den Lebenden nehmen, muss jedoch eine Bedingung erfüllen: Er darf sich auf dem Weg nicht nach ihr umsehen. Und scheitert!

Verzweifelt zerstört Orfeo daraufhin sich selbst: In einem der eindrücklichsten Momente der Inszenierung zerlegt Villazón seine Puppe und verleiht damit der Brutalität des Schicksals ein Bild. Zum Schluss sehen wir den Olivenbaum im Sonnenuntergang – oder ist es ein Neubeginn? Apollo, der Gott der Künste und Vater des Orfeo (Simeon Esper), erinnert ihn an die Vergänglichkeit von Glück und Schmerz auf der Erde und nimmt seinen Sohn zu sich in den Himmel.

Die Liebe ist flüchtig wie die Musik. Ein abschließender Chor, der bei Monteverdi so nicht angelegt ist, rundet den Abend gelungen ab. Stehende Ovationen und minutenlanger Applaus zur Premiere für eine Inszenierung, die die Oper feiert und noch lange nachhallen wird. Gerne mehr davon!

Info: Monteverdi „L’Orfeo“ an der Semperoper Dresden, wieder am 8. Mai, 12. Mai und 18. Mai

Du magst vielleicht auch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.