„Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!“

Landesbühnen Sachsen zeigen pfiffige Neuinszenierung von Goethes „Faust“

Der Theaterdirektor träumt von langen Schlangen an der Kasse, in Auerbachs Keller wird kräftig gebechert und die Osterglocken läuten die unbeschwerte Zeit des Frühlings ein. Fast scheint es, als beschrieb Johann Wolfgang von Goethe in seinem „Faust – der Tragödie erster Teil“ ganz alltägliche Szenen aus dem Jahr 2023. An den Landesbühnen Sachsen (Fotos: Hans-Ludwig Böhme) feierte der Klassiker in der Neuinszenierung von Peter Kube am Ostersamstag (8.4.) umjubelte Auferstehung.

Vor ausverkauftem Saal geht’s hier gleich zur Sache, mit Zitaten, die ein jeder noch aus dem Schulbuch kennt. „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ führt das weltberühmte Schauspiel und Peter Kube gelingt es, dem gewichtigen, nicht immer einwandfrei durchdringbaren Text mit witzigen Regie-Ideen und einem leidenschaftlichen Ensemble Leben zu verleihen. Selten war Goethes „Faust“ so kurzweilig und unterhaltsam! Gott wirkt im Prolog im Himmel wie ein umjubelter Superstar im Glitzergewand auf der Showtreppe. Mephistopheles indes taucht aus dem dunklen Saal auf, um in den folgenden drei Stunden sein teuflisches Unwesen zu treiben.

Das Bühnenbild von Barbara B. Blaschke wandelt sich gekonnt vom magischen Lichtschein bis hin zur düsteren Studierstube des Faust: Zwei große quaderförmige Elemente lassen sich darin beliebig drehen und zu ganz verschiedenen Schauorten kombinieren. In der Himmels- und Teufelswelt dominieren grelle Frisuren und glitzernde Kostüme. Ganz im Sinne des anfänglichen Theaterdialogs: „Man kommt, zu schaun, man will am liebsten sehn.“

Felix Lydike verleiht dem Faust hier etwas verblüffend Heutiges: Kein alternder Herr in der Midlifecrisis, sondern ein junger Mann in schwarzer Hose, schwarzem Hemd und mit dunklen Schatten im Herzen. Erdrückt von hohen Regalen sucht er vergebens nach dem Sinn der Welt, dem Kern der Wissenschaft, jenem Funken, der das Leben lebenswert macht. Unwirsch schreit er seinen Frust in die Welt hinaus – wirkt manchmal anfangs dabei noch etwas zu mechanisch, das wahre Gefühl findet Lydike im Spiel tatsächlich später erst bei Gretchen.

Berührend sind die Szenen zwischen „Faust“ und Gretchen, Felix Lydike und Tammy Girke (Foto: Hans-Ludwig Böhme).

Sein Student Wagner lockt ihn hinaus in die erwachende Natur. Faust mischt sich unters Volk, das in saftigem Orange gekleidet über die Bühne tippelt, unbeschwert den Federballschläger und die Grillzange schwingt. Es könnten auch die Nachbarn aus Radebeul sein, die freudig den Herrn Doktor begrüßen und das Glas auf ihn heben. Moritz Gabriel gibt dazu einen Wagner, der in seiner naiven Wissbegier irgendwie sympathisch wirkt.

Bald zeigt sich schon des Pudels Kern: Humorvoll changiert Matthias Avemarg zwischen allen denkbaren Teufelsfacetten. Er ist gewitztes Schlitzohr und Verführer, Lebemann, Lästerer, ein Magier ohne Moral. Ein spitzbübisches Grinsen huscht über sein Gesicht, wenn er mit Faust den verhängnisvollen Pakt besiegelt. Als Leugner alles Guten und ewiger Meckerfritze wirkt dieser Teufel bisweilen ziemlich menschlich! Mephisto könnte heute Versicherungsverkäufer sein, der Algorithmus im Sozialen Netzwerk oder ein moderner Guru. Bei Goethe jedoch öffnet er das Tor zu einer Hölle, die noch mit Hexen und geheimnisvollen Trünken der rauschhaften Begierde huldigt. Maria Sommer gibt dabei eine sexy Hexe, die mehr als nur mit Mephisto flirtet.

Walpurgisnachts-Szene (Foto: Hans-Ludwig Böhme)

Zu dieser Welt des Dionysischen gehört in Radebeul auch eine Walpurgisnacht, die sich mit aller Macht ins Ohr der Zuschauer bohrt und einen bewussten Bruch produziert: Hendrik Gläßer und Stefan Köcher, die an Percussion, Marimbaphon und Vibraphon zuvor schon manch kurze Umbauzeit überbrücken und so auch musikalisch für ein teuflisches Vergnügen sorgen, stimmen zum Hexentanz die bekannte Babylon-Berlin-Hymne „Zu Asche zu Staub“ an. Mit dieser Walpurgisnacht sucht die Regie Bezüge zum betäubenden Partyrausch der 1920er Jahre und regt zweifelsohne zum Nachdenken an.

Zunächst ist es nur ein Rausch, dem der benebelte Faust sich kaum erwehren kann. Das Opfer am Ende: Gretchen. Tammy Girke ist eine durch und durch bezaubernde Margarete. Mit kindlicher Neugier und Unbefangenheit schlittert sie in die Liaison mit ihrem Heinrich. Unterstützt von der Nachbarin Marthe, die Cornelia Kaupert als raffiniertes Weib mit einer Schwäche fürs Diabolische zeigt. Girke entwickelt das Gretchen über den Abend hin berührend vom unbefangenen Backfisch zur tragischen Frauenfigur. Eine Sünderin, deren unverschuldetes Elend so rührend dargestellt ist, dass man sie als Zuschauer am liebsten retten möchte. Doch das Stück will es anders. Denn wer den „Faust“ gelesen oder schon im Theater gesehen hat, wird in Radebeul einen Vers gewiss vermissen. Schmerzlich.

Theater wäre halt langweilig, wenn’s nur erwartbar wäre. In diesem Falle ist’s geglückt. Die Zauberformel steht ja schließlich schon im Vorspiel festgeschrieben: „Laßt Phantasie mit allen Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, Doch, merkt euch wohl, nicht ohne Narrheit hören!“ Und so ist doch noch immer allerhand Wahres dran an den Gedanken des alten Geheimrates. Bravo für diesen zeitlos leidenschaftlichen Theaterabend!

Info: Johann Wolfgang von Goethe „Faust – der Tragödie erster Teil“ an den Landesbühnen Sachsen, wieder am 14., 16., 30. April (Stammhaus Radebeul)

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