Hörtipp des Monats: „Popsongs“ von Jan Vogler
Klassisches Album oder moderne Playlist? Das ist hier die Frage! Jan Voglers neue CD „Popsongs“ entzieht sich gekonnt allen Schubladen und lässt Genregrenzen dahinschmelzen. Fakt ist eines: So hat man die Stücke – oder sollte ich lieber schreiben Songs? – von Purcell über Rossini, bis zu Bizet und den Beatles noch nicht gehört.
Jan Vogler macht sein Cello zur Singstimme und entführt auf eine musikalische Reise durch die Jahrhunderte, wobei er jedoch weniger dem „Populären“ an sich als vielmehr der Oper als Ursprungs aller guten Musik die Ehre erweist. Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass berühmte Arien wie Vivaldis „Vedrò con mio diletto“ aus Guistino oder die Rachearie der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte mit Songs wie Frank Sinatras „It Was a Very Good Year“ oder Gary Moores „Still Got The Blues“ etwas gemein haben: Sie genießen Pop-Status beim Publikum, vermögen über Generationen zu verzaubern, mitzureißen oder zu berühren – und werden sie noch so oft in den Straßen gepfiffen, wirken sie dennoch niemals alt.
Auf dem Cello erfahren sie nun gar eine außergewöhnliche Renaissance. Mit dem BBC Philharmonic Orchestra und Dirigent Omer Meir Wellber hat Jan Vogler sich einen Partner an die Seite geholt, der sich mit hörbarer Freude am Entdecken in das Experiment hineinstürzt. Der lichte, stets transparente Klang dieses Orchesters korrespondiert lebhaft mit der warmen Cellostimme. Die Koordinaten für die gemeinsame Reise durch die Geschichte des „Popsongs“ sind die Phantasie und Wandlungsfähigkeit, wobei die Arrangements von Jan Vogler und Stefan Malzew dem Solisten wie dem Orchester gleichermaßen Virtuosität und Neugier abverlangen. Fern aller Routinen wirkt das so vital als wären die Noten gerade erst aus dem Füllfederhalter aufs Papier gesprungen.
Schon das fast 400 Jahre alte Eingangsstück, die Arie „Pur ti miro“ von Monteverdi, gibt klar die Richtung vor: In einem einfühlsamen Duo verleihen Jan Vogler am Cello und Omer Meir Wellber am Akkordeon der Arie ungekannte Farben und verblüffende Tiefe, als blätterte der künstliche Lack der Jahrhunderte in dem intimen Zusammenspiel allmählich ab, um den wahrhaftigen Charakter des Stücks freizulegen. Jede Arie, jeder Song bekommt so sein ganz eigenes, klassisches Klanggebäude.
Cello und Orchester begeben sich auf eine inspirierte Spurensuche, erzählen die Geschichten dieser Werke noch einmal neu, hinterfragen, leuchten hinein und gewinnen so selbst mancher in Werbung und Konzertsaal schon überstrapazierten Melodie noch etwas Überraschendes ab. Aus dem Spiel mit zeitlos populären Arien und Songs wird so ein faszinierender Dialog, der Hörerwartungen und Gewohnheiten aus Klassik wie Pop gleichermaßen auf den Kopf stellt.
Verblüffend, wie sich zwischen Wagners „O du mein holder Abendstern“ aus dem Tannhäuser und „Golden Slumbers“ von den Beatles oder dem „Casta diva“ aus Bellins Norma und „Still Got The Blues“ von Gary Moore zarte Verbindungen auftun. Wie Michael Jacksons tausendfach gehörtes „Billie Jean“ sich in ein spritziges Orchesterstück wandelt, ohne an packendem Groove einzubüßen. Der Pop-Song aus den 1980ern ist denn auch das (vorläufige?) Ende dieser musikalischen Abenteuerreise, die mehr als nur an einer Stelle dazu einlädt, einfach mal die Repeat-Taste zu drücken, um nochmal genau hinzuhören, vielleicht mitzusummen, zu genießen. Genau wie jede gute Playlist eben.