Mehr als schmückendes Beiwerk?!!

In Dresden geht die Kulturbranche auf die Straße – und demonstriert singend, was bald fehlen wird

Es geht gelassen zu am Königsufer. Die Kulisse stimmt. Gegenüber die barocke Altstadtsilhouette, unten das sonnenbeschienene Elbufer. Auf der Treppe am Filmnächte-Areal haben sich am Mittwoch (27.5.) bereits zum dritten Mal einige 100 Demonstranten platziert, unten steht ein Flügel. „Stumme Künstler“ ziert ein Schriftzug die oberste Reihe. Es ist kein Titel eines Films, der heute Abend gespielt werden soll, sondern ein Aufruf, ein weithin sichtbarer Hilfeschrei der Kunst- und Kulturtreibenden der Stadt.

Auf Initiative von Kilian Forster, dem Intendanten der Jazztage Dresden, möchten sie auf ihre Situation aufmerksam machen. Es ist keine Anti-Corona-Demo und auch keine Versammlung frustrierter Bürger. Da oben stehen Menschen, die bislang gut bis sogar sehr gut von ihrer Kunst leben konnten, dabei auch Techniker, Grafikdesigner, Schneider, Maskenbildner und Servicepersonal bezahlt haben. Seit dem Lockdown im März müssen sie nun ohne Einnahmen auskommen, wann sie wieder in gewohnter Form spielen dürfen, ist nach wie vor ungewiss. Das hier ist wahrlich kein Krawall-Protest. Er ist vielleicht sogar noch zu leise!

Um zu verstehen, warum, muss man sich die größeren Zusammenhänge einmal bewusst machen:

Zwar arbeitet die Bundesregierung gerade hart an der Rettung der Lufthansa, Großkonzerne wie Adidas und H&M durften während der Corona bedingten Schließzeiten ihre Mieten aussetzen. Die Kultur aber, die gerade in einer Stadt wie Dresden ein nicht unbedeutender Wirtschaftsfaktor ist, ein Motor für Gastgewerbe, Tourismus und einer der größten Arbeitgeber, wird im Land der Dichter und Denker seit Monaten schon großzügig übersehen. Freiberufler und Solo-Selbstständige, zu denen sich die Mitglieder von Bands wie die Medlz, die Firebirds oder auch Olaf Schubert und seine Homorzone zählen, können in Sachsen bislang allenfalls Hartz IV beantragen, wenn ihnen seit März aufgrund der Corona-Beschränkungen unverschuldet alle Einnahmen wegbrechen.

Während andere Bundesländer mit großzügigen Soforthilfen für die Kultur werben, gehen deren Akteure hier leer aus. Kein Wunder, dass die Demo am Mittwoch prominent besetzt ist, dass neben den genannten auch Mitglieder des Kabaretts Herkuleskeule oder Tom Pauls ihre Forderungen vortragen, bevor sie gemeinsam Beethovens „Ode an die Freude“ anstimmen – jede vierte Silbe nur, um zu zeigen, was passiert, wenn weiherhin im Theater nur jeder vierte Platz besetzt werden darf: Die Häuser werden geschlossen bleiben, weil ein geschlossener Saal immer noch wirtschaftlicher ist als ein nur zu einem Viertel besetzter, und die bisher reiche Kulturszene der Stadt wird sich in naher Zukunft merklich ausdünnen.

Nach der sächsischen Kultur- und Tourismusministerin Barbara Klepsch und der Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch ist bei der dritten „Stumme Künstler“-Demo Sachsens Ministerpräsident Michael Kretzschmer vor Ort. Er verspricht: Es wird ein Programm für die Kultur geben. Analog zum Programm für die freie Wirtschaft. „Es wird kein Jahr dauern, bis wieder Normalität eingekehrt ist“, beteuert der Ministerpräsident. Späte Einsicht ist besser als keine, denkt man im Stillen. Denn dass auch Künstler Familien haben, die ernährt werden müssen, dass sie oft mit Kollegen verheiratet sind, denen seit März ebenso die Existenzgrundlage entzogen ist, dass ohne Aufträge die Rentenzuschüsse sinken, dass Freiberufler auf eigenes Risiko und bei hoher Produktivität ohnehin weder Anspruch auf Kranken-, Urlaubs- noch Kurzarbeiter- oder gar Arbeitslosengeld haben, scheint die Politik (nicht erst seit Corona) bisher erfolgreich zu verdrängen. Dabei war es doch gerade die Kultur, die stets gefordert war, wenn die Gesellschaft sich in den vergangenen Jahren zu spalten drohte, die vermitteln sollte, zum Nachdenken anregen. Die Kultur, das gute Gewissen der freiheitlich demokratischen Gesellschaft.

Ihre Begabung zur Vernunft zeigen die Teilnehmer auch jetzt: Der Dialog auf dem Platz bleibt besonnen und ruhig. Die Hoffnung darauf, dass Kunst vielleicht doch mehr als nur höfischer Schmuck ist, abhängig von der Gunst der Mäzene, dass sie endlich als Wirtschaftsfaktor ernstgenommen wird, der in Dresden ganz wesentlich auch Gastgewerbe und Hotellerie nährt, stirbt zuletzt. Es brauche schnelle Hilfen, wenn Kahlschlag vermieden werden soll, fordert Kilian Forster. Der Ministerpräsident nickt, er kann aber nichts versprechen. Und daher wird der Protest weitergehen: Die „Stummen Künstler“ werden sich dazu am 5. Juni erstmals mit dem Gastgewerbe zusammentun – Ort und Zeit werden zeitnah bekannt gegeben.  

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