Nach sechs Wochen kulturellem Shutdown stellt sich die Frage: Was macht das mit der Kunst?
Rückblickend erscheint es wie ein Bild aus einer völlig anderen Zeit: Zur Pressekonferenz der Dresdner Philharmonie am 13. März herrschte im Foyer des Kulturpalasts noch reger Betrieb. Allenfalls vage schwebte damals eine Ahnung in der Luft, die nichts Gutes verhieß. Es war der Tag, an dem die Dresdner Philharmonie Vorfreude auf ihre 150. Spielzeit wecken, Programme vorstellen, Lust auf Musik machen wollte. Am Ende aber spielte all das nur eine Nebenrolle. Als „surreal“ bezeichnete der Chefdirigent Marek Janowski die Situation angesichts der Ausbreitung von Covid-19 – und statt Kulturlust blieb letztendlich ein beklemmendes Gefühl, dem bald lähmende Stille folgte.
Sechs Wochen später wissen wir: Die Kultur war nur der erste Bereich des öffentlichen Lebens, den die Beschränkungen wie ein Hammerschlag trafen. Und sie wird sicher der letzte sein, bei dem irgendwann, wenn in vielen Monaten ein Impfstoff gefunden sein sollte, wieder so etwas wie Normalität einkehrt. Sollte es sie dann überhaupt noch geben, die Kultur und ihre Akteure, wie wir sie heute kennen. Die zahlreichen freien Musiker, Künstler, Literaten und Darsteller, die seit Wochen schon und mit jedem Beschluss mehr um ihre Existenz bangen. Dabei wurde ihnen nicht nur von heute auf morgen die Chance auf ein Einkommen geraubt, die Möglichkeit selbstständig zu agieren und von ihrer Berufung zu leben, sondern auch ihre Lebensgrundlage auf noch nie dagewesene Weise entzogen. Denn jeder Künstler – sei es in der Musik, der Bildenden Kunst, in Theater oder Literatur – braucht die Bühne, den Dialog mit seinem Publikum.
Schließt sich der Vorhang nun – länger als vier Wochen bloß, vielleicht für Monate –, was passiert dann mit der Kunst? Wird sie empfindsam, melancholisch? Oder beginnt sie vor rebellischer Kraft zu beben wie bei Beethoven, dessen Jubiläumsjahr ebenfalls der Pandemie zum Opfer fällt? Das sind – neben den dringenden existenziellen – durchaus interessante Fragen, die zu stellen es allmählich an der Zeit ist. Denn jetzt, nachdem wir die Straßen in den meisten Städten auf der Welt ebenso leer sehen wie die Konzert- und Theatersäle, nachdem der erste Schock überwunden ist und wir uns beinahe schon an das vorsichtige Ausweichen aus Angst vor Ansteckung gewöhnt haben, jetzt beginnt die Zeit der Reflexion.
Corona hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Und auch wenn der Blick auf die gut bevölkerten Elbwiesen uns in dieser Woche so etwas wie Realität vorgaukelt, sind wir noch lange nicht übern Berg. Die Krise in Gesellschaft und Wirtschaft hat gerade erst begonnen. In den vergangenen Wochen sind Dinge passiert, die wir für unvorstellbar hielten. Der plötzliche Stillstand der ganzen Welt hat uns einen tiefen Dämpfer versetzt und innerhalb kürzester Zeit vor Augen geführt, wie gut wir es eigentlich haben. Oder hatten? In Anbetracht all der Krisen, die die Welt in den vergangenen 50 Jahren durchgemacht hat, entbehrt es dabei durchaus nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein kleiner Virus uns jetzt zwingt, unsere Komfortzone zu verlassen, umzudenken – neue Wege zu finden und den Blick für das Wesentliche zu schärfen.
So fatal das für den Einzelnen ist, auf die Kunst wird es zugleich inspirierend wirken. Waren es nicht gerade Künstler wie Beethoven, die aus persönlichen Schicksalsschlägen schließlich die größte kreative Energie schöpften? Braucht nicht ein Schauspieler sogar die Erfahrung der Ohnmacht, um diese wirklich überzeugend auf der Bühne vermitteln zu können? Sind nicht aus Not zumeist noch die besten Ideen entstanden? Im Chinesischen heißt es, stehe Krise zugleich für Gefahr und Chance. Und genau das lernen wir jetzt. Alle. Dabei ist es zu aller erst die Kunst, der es immer wieder gelingt, aus Schwäche Kraft zu generieren, Not in Glück zu wandeln, ja, das Gute aus dem Schlechten herauszuschälen.
Das heißt natürlich nicht, dass alles gut ist. Nichts ist gut! Schon gar nicht, solange Theater und Konzertsäle geschlossen sind, der Künstler seinem Publikum beraubt wird! Existenziell steht für viele Menschen im Moment alles auf der Kippe, ohne Hoffnung auf baldige Lichtblicke. Da gibt es nichts zu beschönigen, das muss an dieser Stelle in aller Deutlichkeit gesagt werden. Rein künstlerisch betrachtet, befinden wir uns jedoch möglicherweise gerade am Beginn eines spannenden Prozesses. Allein in den Interviews, die elbmargarita.de seit Anfang April mit Dresdner Künstlern führt hat, ist abzulesen, dass der erzwungene Stillstand die kreative Produktivität nur umso mehr fördert, weil er neuen Raum für Reflexionen schafft, neue Erkenntnisse gebiert und neue Perspektiven auf die Welt erzwingt.
Die einzige entscheidene Frage ist: Wann werden wir – das Publikum – die Früchte dessen wohl wieder live erleben dürfen? Und wie lange ist es dem Künstler überhaupt möglich, kreativ zu bleiben, während ihm doch die Luft zum Atmen schon seit sechs Wochen abgedrückt wird …