Gefangen im Reigen der Ordnung

Ania Michaelis inszeniert Kafkas „Process“ am TJG

Stell Dir vor, an deinem 30. Geburtstag stehen wild fremde Menschen in deinem Zimmer. Sie sagen dir, du bist verhaftet. Den Grund dafür nennen sie nicht. Genau dieses Szenario hat Franz Kafka in seinem Roman „Der Process“ (1914/15) durchgespielt. Die Hauptfigur Josef K. versucht zehn Kapitel lang über verschlungene Wege herauszufinden, warum er schuldig sein soll. Ania Michaelis hat diese krude Geschichte für die Bühne des Puppentheaters (Fotos: PR/Dorit Günter) am Theater Junge Generation (TJG) bearbeitet und für Publikum ab 16 Jahren in Szene gesetzt.

Leicht ist es nicht, dieses kafkaesk um sich kreisende Spiel, das kein eigentliches Ziel besitzt und vor allem von Kafkas Sprache lebt, für das Theater spannend zu inszenieren. Ania Michaelis sieht Kafkas verschachtelte Welt als Metapher für gesellschaftliche Regelwerke, die einerseits Halt bieten, andererseits die Freiheit des Einzelnen einschränken und so bedrohlich wirken können. „Da ist eine Welt als Konstruktion, eine Art Spiel mit Spielregeln, die vom Menschen erfunden sind und ab und an wird aus diesem Spiel Ernst“, erzählt die Regisseurin und Oberspielleiterin des TJG.

Eine Puppe, eingesperrt und umgeben von fratzenhaften Masken

Um die Ohnmacht von Josef K. auch optisch deutlich zu machen, ist die Figur bei ihr die einzige Puppe (gespielt von Louise Nowitzki) im Spiel. Josef K. wirkt so viel kleiner als alle anderen. Für die menschlichen Darsteller haben die Studenten des Studiengangs Masken- und Bühnenbild an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden zudem Masken angefertigt, die verzerrt und fratzenhaft aussehen. „Josef K. ist in einem Raum gefangen, den die anderen immer wieder kreuzen“, sagt Ania Michaelis. Es ist kein reines Puppentheater, sondern eher eine Montage aus Schauspiel, Puppe und Musik, mit der sie das Romanfragment bildhaft für die Bühne übersetzt. „Es geht letztlich ja darum, dass eine vermeintliche Ordnung zusammenfällt – und das verunsichert“, sagt sie.

Die zehn Kapitel fliegen als rasant erzählte Theaterepisoden über die Bühne. Langweilig wird es nie, auch dank einiger erotischer Requisiten, die wie bunte Tupfen auf Kafkas Behördengrau tröpfeln. In jeder Episode gerät für K. eine andere Ordnung durcheinander. Ist es anfangs sein Zimmer, begegnet er später einer Anhörung, die im Chaos endet, der Frau eines Gerichtsdieners, die mit dem Studenten schläft, oder dem vom Onkel vermittelten Advokat mit seiner jungen Geliebten Leni. Josef K. scheint dem allen machtlos gegenüberzustehen. Mehrfach bietet sich ihm die Möglichkeit eines erotischen Abenteuers, doch kommt es – ebenso wie beim Prozess – nie zum Vollzug.

Beziehungen zu den Frauenfiguren bleiben ohne Vollzug

Überhaupt scheinen die Beziehungen zu den Frauenfiguren den ganzen merkwürdigen „Process“ widerzuspiegeln: Alles bleibt Andeutung, alles bleibt Spiel – und wer dieses zu ernst nimmt, hat schon verloren. Diese Lesart ist der Biografie des Autors eingeschrieben. Als Kafka im Sommer 1914 mit der Arbeit am „Process“ begann, war die Auflösung seiner Verlobung mit Felice Bauer der ausschlaggebende Punkt für ein Gefühl des Ausgeliefertseins, wie er es bei Josef K. beschreibt. Kafka schrieb den Roman jedoch nie zu Ende, die 200 Manuskript-Seiten blieben als Fragment im Schubkasten liegen. Erst sein Verleger Max Brod brachte sie in eine Reihenfolge und veröffentlichte den Text nach Kafkas Tod.

Ania Michaelis extrahiert die Romanvorlage in ihrer Bühnenversion sehr nah am Original und ohne den Text zu beschädigen. „Kafka macht es uns schwer, denn er eigentliche Reiz liegt eben in seinen geschriebenen Texten“, erzählt die Regisseurin. Diese haben keine dramatische Struktur. „Das ganze Ding ist ein Konflikt.“ Eine einzige Herausforderung sei es, diese Irritation auf die Bühne zu bringen, meint sie. Sehr rasant und kurzweilig ist ihre Inszenierung jedoch genauso vergnüglich, teils aber auch ebenso verwirrend, wie die Kafka-Lektüre. Das Stück wird im Rahmen des 5. Sächsischen Puppentheatertreffens vom 7. bis zum 10. Mai am TJG wieder gespielt. Mehr zum Puppentheatertreffen und über Ania Michaelis steht auf dem Blog des TJG.

Nächste Aufführungen: 6.5. und 7.5.

Linktipp: www.tjg-dresden.de

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