„Hier kommt keine lebend raus!“

Andreas Kriegenburg inszeniert „Bernarda Albas Haus“ am Staatsschauspiel Dresden

Wie riesige Leichentücher hängen die weißen Laken von der Decke, zwischen denen von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Gestalten umhergeistern, wie verlorene Schatten zwischen Leben und Tod. Doch diese Gestalten sind noch am Leben; gestorben ist Antonio María Benavides, dessen Witwe Bernarda nach altem Brauch eine Trauerzeit über das Haus verhängt: Acht Jahre lang soll niemand das Haus verlassen noch betreten, nicht einmal der Wind soll Einlass finden. Acht Jahre – eine Ewigkeit für die greise verwirrte Großmutter, für die lebenspraktische Haushälterin und besonders für die fünf erwachsenen Töchter, die ohnehin schon zu lange auf einen Mann warten, der den hohen Ansprüchen der Mutter genügt. In dem hermetisch abgeschirmten Haus schlagen ungestillte Sehnsüchte und unterdrückte Lust mehr und mehr in psychische und körperliche Gewalt um.

Psychogramm für Freiheitsberaubung und Repression

„Bernarda Albas Haus“, in Spanien jedem Kind bekannt, ist das letzte große Werk des andalusischen Dramatikers Federico García Lorca, der 1936 im ausbrechenden Spanischen Bürgerkrieg von Francos Miliz ermordet wurde – ein überzeitliches Psychogram für jegliche Art der Freiheitsberaubung und Repression. Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg, der am Staatsschauspiel Dresden bereits Sartres „Die Fliegen“ und Shakespeares „Was ihr wollt“ seine Regiehandschrift einschrieb, zeigt mit seiner Inszenierung dieser Tragödie einmal mehr sein feines Gespür für das Psychische, das Ungesagte, das er in atmosphärisch-poetischen Bildern auf der Bühne greifbar macht. Sensibel versteht er es, die Sprachlosigkeit in beklemmende Szenen zu setzen, eine Verlorenheit und Ausweglosigkeit zu erzeugen, der man als Zuschauer entkommen möchte, und der man sich doch nicht entziehen kann.

Figuren ohne Vergangenheit und Zukunft

Zeit und Raum sind aufgelöst, nichts dringt von außen an diesen schwarz-weißen Un-Ort. Selbst Pepe, der Verlobte von Bernardas ältester Tochter Angustias und Geliebter der jüngsten, Adela, der die Tragödie ins Rollen bringt, wird nie sichtbar. Gibt es ihn überhaupt? Auch die Frauen bleiben seltsam zweidimensional, selten entwickeln sich Beziehungen zwischen ihnen. Flüchtige Vertrautheit, Albernheit und Zärtlichkeit wird durch plötzlich aufbrechende Häme, Wut, Eifersucht zerstört, doch meistens existiert (oder besser: vegetiert) man nebeneinander her: Diese Figuren haben keine Vergangenheit und erst recht keine Zukunft. Sie hängen in der Zeit fest, die sie versuchen totzuschlagen und die sie allmählich umbringen wird.

Aus dem reinen Damenensemble, das sich buchstäblich die Seele aus Leib spielt, sticht Rosa Enskat als Bernarda heraus. Beklemmend herrscht sie als tyrannische Familiendespotin, die sich und ihrer Umgebung keine emotionale Regung zugesteht, die eisern die von ihr diktierte „Ordnung“ im Hause aufrecht erhält, so sinnentleert diese Ordnung auch sei.

Für Ensemble und Publikum gibt es nach drei Stunden ein Entrinnen aus der Enge des (Seelen-)Gefängnisses, doch der Horror von Bernarda Albas Haus hallt noch lange nach – der stärkste Beweis für einen beeindruckenden Theaterabend.

Info: Lorcas „Bernarda Albas Haus“, wieder am Schauspielhaus Dresden: 8. April, 20. April, 9. Mai, 20. Mai

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