Blick zurück in zeitlosem Verharren

Andreas Kriegenburg inszeniert Tschechows „Der Kirschgarten“ am Staatsschauspiel Dresden

Alles hat sich verändert, als Ranewskaja mit ihren Töchtern aus Paris in ihre russische Heimat zurückkommt. Alles, bis auf den wunderschön blühenden Kirschgarten. Doch die Zeiten, in denen mit Kirschen Geld zu machen ist, sind längst vorbei – und Ranewskaja ist in Anbetracht der Verluste aus der Vergangenheit nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. Aufbruch oder Stagnation? Das ist die Frage in Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ (Fotos: Sebastian Hoppe).

Andreas Kriegenburg inszeniert das Stück am Staatsschauspiel Dresden als sommerleichte Komödie, die mit allerhand Situationskomik doch die ganze Tragik des Stoffes auf die Bühne bringt. Zusammen mit Kostümbildnerin Andrea Schraad setzt er auf eine feine Ästhetik, zeigt die bittersüße Groteske in einem zeitlos weißen Raum, in dem clownesk geschminkte, in schlichtem weiß gekleidete Figuren in wilden Dialogen aufeinandertreffen.

Anja Laïs zeigt die Ranewskaja als personifizierte Passivität mit Charme. Sie verschwendet Geld, das sie nicht hat und wirkt dabei wie ein bemitleidenswertes Bild ihrer selbst. Wie sie anfangs immer wieder nach einem Kaffee verlangt, in den letzten Eindrücken ihrer Reise verharrt, die beiden Töchter noch im Angesicht des drohenden Untergangs möglichst gewinnbringend zu verheiraten sucht, das ist nicht nur sensibel, sondern genial doppelbödig gespielt.

Eva Hüster hingegen darf als ihre Tochter Anja einmal richtig ausrasten. „Es macht mich so müde“, schreit sie dem ewigen Beharren auf alten Traditionen entgegen und kippt zyklisch in resignierte Schlafstarre. Der Wille zur Veränderung jedoch, bleibt auch bei Anja Illusion, zum Schluss träumt auch sie Champagner schlürfend von gemeinsamen Lesestunden mit der Mutter, statt ihr Leben einfach in die Hand zu nehmen.

Ganz anders Henriette Hölzel, die als Adoptivtochter Warja das Ziel einer glücklichen Heirat vor Augen hat – und am Ende mit Puppen und Kreiselspiel in der Erinnerung an bunte Kindheitstage hängen bleibt. In der Rolle des lebensfroh unentschiedenen Dienstmädchens Dunjascha kann Karina Plachetka wieder mal als Ulknudel auftrumpfen, während Hannelore Koch dem kompromisslos der alten Zeit verpflichteten Diener Firs raue Herzlichkeit verleiht. Und Raiko Küster gibt den Bruder der Ranewskaja als humorvollen Schwätzer. Die einzigen, denen Tschechow einen Funken an Zukunftsfähigkeit zutraut, sind der Kaufmann Lopachin und Student Trofimov. Oliver Simon zeigt den Kaufmann gerissen, Simon Werdelis brilliert als studentischer Idealist.

Verhaftet in allem, wofür der alte Kirschgarten einst stand, flüchten sie also in sinnlose Redereien und Vergnügungen unter freiem Himmel. Sie tanzen, diskutieren und parlieren, ohne aber Anschluss an die neue Zeit zu finden. Anspielungen auf die Politik Vladimir Putins und Greta Thunberg gehören ebenso dazu wie das Spiel mit dem Spiel, das auch das Publikum ironisch mit einbezieht. Letztlich aber geht es um Tschechow, der „immer diese unnützen Details“ in seine Stücke einbaut, wie Karina Plachetka als vorlautes Dienstmädchen Dunjascha gleich zu Beginn anmerkt.

Auf eben diese Details verzichtet Kriegenburg scheinbar, indem er die Kulisse um allen unnötigen Schnickschnack entschlackt. Zwischen den Zeilen aber, die flott über die Rampe schnellen, inszeniert er amüsant und mit vielen Finessen, die sich oft erst auf den zweiten Blick offenbaren. Beinahe genüsslich lässt er die Figuren im süßen Müßiggang des Jetzt verharren, ohne einen Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Sie irren umher, unfähig, Beziehungen zueinander aufzubauen und suchen ihren Sinn im Leben – freilich ohne ihn zu finden. Was bleibt, ist: Erstarrung. Doch die bringt das Ensemble ausgesprochen lebendig auf die Bühne! Ja, tatsächlich ist Kriegensburgs Inszenierung weit entfernt vom statischen Schreitheater, das in Dresden schon viel zu oft zu sehen war.

„Allé Hopp“ heißt es zum Schluss, als die Familie aus dem verkauften Kirschgarten aufbrechen will, ohne dabei wirklich vom Fleck zu kommen. Es bleibt der Blick auf das, was war. Und der ist für das Publikum an diesem Abend durchaus befriedigend.

Anton Tschechow „Der Kirschgarten“ am Staatsschauspiel Dresden, wieder am 26. Januar, 5. Februar, 19. Februar, 4. März, 7. März und 21. April 2020

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