Leonard Bernsteins „West Side Story“ bringt im Sommer Weltstadtflair in die Semperoper
Die Skyline von Manhattan lässt grüßen, wenn sich dieser Tage der rote Samtvorhang in der Semperoper hebt. Bis zum 4. August kredenzt der Veranstalter BB Promotion hier eine fast legendäre Produktion von Leonard Bernsteins „West Side Story“. Denn die Inszenierung von Joey McKneely (Foto: Jeff Busby) zeigt den Musical-Klassiker als weltweit einzige nach der Konzeption und mit Originalchoreografien von Jerome Robbins (1918–1998), der 1957 am Broadway als Regisseur und Choreograf zusammen mit Leonard Bernstein, Arthur Laurents (Buch) und Stephen Sondheim (Gesangstexte) für die Uraufführung des Musicals verantwortlich zeichnete.
Es muss vermutlich nicht erwähnt werden, dass die vier damals mit der „West Side Story“ eine Art „Romeo und Julia“ des 20. Jahrhunderts schufen. Zeitlos, bitter und dabei voll packender Energie rückt das Stück die Straßenkinder in den Fokus und ist somit zum Inbegriff jener Sehnsucht geworden, die stets schwach durch das fahle Neonlicht grauer Hinterhöfe schimmert. „Somewhere“, irgendwann wird es vielleicht auch für deren Bewohner eine Zukunft geben. Doch solange die Unbeschwertheit des Tanzes, die den unermüdlichen Puls New Yorks bestimmt, von Hass und Misstrauen durchkreuzt wird, bleibt diese Hoffnung fern. Als der finale Schuss fällt, hat die Inszenierung daher wohl ihren stärksten Moment. Wenn Maria ihren Geliebten Tony zitternd im Arm hält, breitet sich auch in der Semperoper sofort jene flirrende, bedrückende Stimmung aus, die einen insgeheim fluchen lässt, auf Hass und sinnlose Eifersucht.
Es ist jener Augenblick, in dem das Spiel kippt, noch kurz bevor es zu Ende ist. Der große Showdown, nachdem üppige Tanz- und Ensembleszenen die Welt der Jets und der Sharks aufeinanderprallen lassen. Das alles geschieht mit ungeheurem Aufwand und optischer Opulenz. Und auch wenn heute wohl niemand mehr zu sagen vermag, wie viel vom Geist der Uraufführung tatsächlich noch in dieser Produktion steckt, so scheint sie doch ein Stück der bunten Broadwaywelt aus den 1950ern in die Semperoper zu befördern: Paul Gallis zaubert in seiner Kulisse raue Hinterhofromantik zwischen New Yorker Wolkenkratzern auf die Bühne. Die Kostüme von Renate Schmitzer grenzen die Bande der Jets von den puerto-ricanischen Sharks optisch gekonnt voneinander ab. Die Coolness des Nordens trifft auf die Leidenschaft des Südens – das wird besonders eindrucksvoll in den Balletten, die mit hoher tänzerischer Präzision von der ersten Sekunde in ihren Bann ziehen.
The West Side Story Orchestra hüllt Bernsteins Musik unter der Leitung von Donald Chan in einen satten Bigband-Sound, bezirzt andererseits jedoch auch mit sanften Streichermelodien. So zeigt etwa das einsame Cello die Zerbrechlichkeit einer Liebe, während wuchtige Bläser die Dynamik der Ereignisse unterstreichen. Und auch wenn die technische Verstärkung in der Akustik des Dresdner Opernhauses eigentlich nicht notwendig wäre, klingen Orchester und Gesang ausgewogen. Nun sind natürlich Hits wie „Maria“, „Somewhere“ oder „America“ – hundertfach gehört in verschiedensten Interpretationen – die musikalischen Gradmesser einer jeden Aufführung. Hier zeigen sich denn auch feine Unterschiede im Solistenensemble. Todd Jacobssons „Maria“ etwa ist zwar tadellos intoniert, wirkt in der Interpretation aber eher unterkühlt, es fehlt der Schmelz, die Sehnsucht, der Schmerz in der Stimme des liebenden Tony. Chloé Zuel hingegen ist eine feurige Anita und Noah Mullins verleiht dem Lebemann Riff gehörig jugendlichen Schwung. Stimmlich wie darstellerisch bezaubert an diesem Abend jedoch vor allem Sophie Salvesani, der es vom ersten Moment an gelingt, das innere Glühen, das Leiden und die Zerrissenheit der Maria für den Zuschauer spürbar auf die Bühne zu bringen.
Ihr flehendes „Somewhere“ gräbt sich tief ein und begleitet einen sogar noch ein Stückchen auf dem Heimweg durch die Dresdner Altstadtgassen. Die hiesige Oper übrigens ist ein ausgewählter Spielort von insgesamt fünfen weltweit, an denen diese Produktion der „West Side Story“ dieses Jahr gezeigt wird, als da auch wären: der Musical Dom in Köln, die Berliner Staatsoper unter den Linden sowie die Melbourne Opera und das Sydney Opera House. Nun können Veranstalter bekanntlich viel versprechen. Ein Erlebnis ist die Aufführung allemal.
Info: „Westside Story“ in der Dresdner Semperoper, zu sehen fast täglich bis 4. August 2019