Märchen versus Realität

Ein Tanztheaterstück an den Landesbühnen Sachsen zeigt die Welt der „Prinzessinnen“

Kaum eine Märchenfigur ist so faszinierend wie die der schönen Prinzessin. Sie ist zum Idealbild geworden, das sich in der Realität bis heute spiegelt: „Prinzessinnen“ gibt es nicht nur im Märchen und an Adelshäusern, sie erobern die Bühnen und Laufstege dieser Welt, verführen Männer, strahlen im Rampenlicht und hungern oft heimlich, um allen Erwartungen zu entsprechen. Wie wenig diese „Prinzessinnen“ mit dem romantischen Ideal oft gemein haben, zeigt Manuel Schöbel in einem fast melancholischen Tanztheaterstück (Fotos: PR/Hagen König), das am Sonntag (29.1.) an den Landesbühnen Sachsen Uraufführung feierte.

Getreu dem Motto der aktuellen Spielzeit, die mit „Märchen und Mythen“ überschrieben ist, hat der Intendant hier selbst zur Feder gegriffen und lotet als Regisseur mit seinem Werk für Schauspieler und Tänzerin die Facetten heutiger „Prinzessinnen“ aus.

Das Theater beginnt schon in der „Goldenen Weintraube“, wo die Besucher noch vor der Vorstellung gebeten werden, sich nach Geschlechtern getrennt zu platzieren – macht natürlich fast niemand, weil die Prinzessin von heute doch ganz gern ihren Mann an der Seite hat. Das Märchen erzählt sich anschließend dann auf drei Bühnen im Foyer des Stammhauses in Radebeul. Los geht es – natürlich – mit dem berühmten Satz „Es war einmal ein Mann, es war einmal …“, ganz unten im Garderobenbereich. Hier thront die Prinzessin auf unzähligen Matratzen – und langweilt sich. Wencke Kriemer de Matos ist Tänzerin, Schauspielerin und Choreografin in einem und bannt mit zerbrechlich wirkender Eleganz vom ersten Moment die Aufmerksamkeit. Nach und nach zieht sie Gegenstände unter den Matratzen hervor, zerrüttet ihr überdimensioniertes Bett (Bühne: Peter Alsleben, Carl Fürstenberg, Alexander Vogt) und verzweifelt schließlich in ihrem goldenen Käfig, in den polternd der König eindringt. Marco Bräutigam ist Erzähler und königlicher Patriarch zugleich. Egal ob mit der Kamera oder goldenen Geschenken, er zeigt als Typ vor allem die fordernde, unersättliche Männlichkeit, die der Prinzessin bald die Luft zum Atmen abschnürt. Doch zunächst einmal: Schnitt.

Der erste Teil ist zu Ende. Das Publikum wird gebeten, sich zu erheben und auf der Treppe Spalier zu stehen für eine verträumt tanzende Prinzessin, die auf dem Weg nach oben dreimal ihren goldenen Schuh verliert, bevor sie schließlich barfuß weitergeht. Oben sind die Stuhlreihen für das Publikum längs um eine Art Laufsteg angeordnet, der von einzelnen, hochkantig gestellten Matratzen durchschnitten ist. Und schon tanzt Wencke Kriemer de Matos wieder im Rampenlicht, dicht gefolgt vom Fotografen-König, der Anweisungen gibt, – die die Prinzessin bald nicht mehr befolgen will. Sie lässt die Sau raus, wechselt Requisiten und tanzt sich von der reinen Märchenfigur, die sie eben noch war, empor durch moderne Prinzessinnenbilder von Lady Diana bis zur Kaiserin Sisi. Das ist unterhaltsam und lustig anzusehen. Denn Wencke Kriemer de Matos lässt ihre Prinzessin fließend von der durchgeknallten Göre zur verzweifelten Lady mäandern. Und noch einmal: Schnitt.

Als letzte Station geht es in den Glasbau im Foyer der Landesbühnen. Unter einer großen Brücke aus Matratzen lässt Schöbel die Prinzessin hier mit einer knisternden Plastiktüte kämpfen, in der sie gefangen ist. Sie wehrt sich, bricht schließlich aus. Schade nur, dass das Publikum in den hinteren Reihen dies nur akustisch, besten Falls noch im Spiegel der Glasfront, verfolgen kann. Das nimmt ein wenig die Spannung und die Freude am letzten Teil des modernen Märchens, das mit Tanz, Musik und Illusionen vor allem von Wencke Kriemer de Matos phantasievoll erzählt wird. Als Prinzessin schwebt sie erst unbeschwert, bald verzweifelt über Matratzen, Laufstege und rote Teppiche, bevor sie sich von allen Erwartungen befreit und flüchtet. Vor dem Fenster erscheint sie am Ende wieder als schöne, bewundernswerte Märchenfigur. Denn echte „Prinzessinnen“ können wohl wirklich nur in der Ferne existieren. Hätte man sie zu Hause, dann wären sie ja Alltag – und kein Märchen mehr.

Weitere Aufführungen: 26.2., 3.3., 10.3., 13.4.

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