Mieczysław Weinbergs „Die Passagierin“ an der Semperoper Dresden
Erinnerungen können teuflisch sein. Mieczysław Weinberg (1919–1996) zeigt das in seiner Oper „Die Passagierin“ (1968) vielleicht so eindrücklich wie vor ihm niemand auf der Opernbühne. Es geht um den Holocaust. Und auch wenn wir vielleicht glauben möchten, dass das Thema längst aufgearbeitet ist, führt uns das Stück (Fotos: PR/Jochen Quast) nur umso packender vor Augen, dass es gar keine andere Chance gibt, mit diesem Schrecken fertig zu werden, als sich immer wieder daran zu erinnern.
Die Premiere der „Passagierin“ an der Semperoper Dresden (24.6.) war zweifelsohne ein Abend, den man so schnell nicht vergisst. Wie Stachel bohren sich die Szenen aus dem KZ Auschwitz in die Seele, in denen kahl geschorene Frauen, dem Tod geweiht, versuchen, ihrem Alltag ein kleines bisschen Freude abzuringen: Ein fröhliches Lied zum Geburtstag, eine Geigenmelodie, eine Rose. Gefangen im Dunkel führt ihr Weg unweigerlich zur schwarzen Wand.
Das alles jedoch sind nicht mehr als Erinnerungen, die plötzlich schonungslos aufblitzen, als Lisa auf einem Ozeandampfer in einer Passagierin die Jüdin Marta wiederzuerkennen glaubt. Lisa hat als KZ-Aufseherin in Auschwitz gearbeitet und ist mit ihrem Mann, einem Botschafter, gerade auf dem Weg zu dessen Bestimmungsort in Südamerika. Doch seit der Begegnung mit der Passagierin gerät ihre Welt ins Wanken.
Regisseur Anselm Weber hat diese bedrückenden Bilder ganz bewusst so authentisch wie möglich inszeniert. Der Anfang startet eher als Erzähloper im Dialog zwischen Lisa und ihrem Mann Walter. Diese Szenen kehren immer wieder, sie sind dicht verschränkt mit Bildern aus dem KZ, dramatisch untermalt von der Musik mit gleißend prickelnden Tönen und Angstschreien. Mehrfach scheinen an der Rumpfwand Buchstaben auf, kurze Texte, die ihrerseits an das Grauen erinnern und dem Vergessenen Präsenz verleihen.
Das Libretto von Alexander Medwedew beruht auf dem gleichnamigen Roman der Polin Zofia Posmysz. Sie war als junges Mädchen im polnischen Widerstand und wurde von den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert. Weinberg selbst war als polnischer Jude 1939 vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet, seine Familie wurde in Vernichtungslagern ermordet.
Dass „Die Passagierin“ erst 2006 – zunächst konzertant in Moskau, 2010 dann szenisch in Bregenz – uraufgeführt wurde, lag auch daran, dass sie in Russland mit dem Vorwurf, sie sei zu wenig dokumentarisch und musikalisch nicht modern genug bis dato nie auf die Spielpläne kam. Erst die Aufführung in Bregenz setzte eine Welle in Gang: Die Deutsche Erstaufführung folgte 2013 am Badischen Staatstheater Karlsruhe, an der Semperoper Dresden kam das Stück jetzt in einer Kooperation mit der Oper Frankfurt auf die Bühne.
Katja Haß hat dazu ein riesiges, drehbares Schiff als Kulisse gebaut, an dessen Seitenwänden sich die Dialoge von Lisa und ihrem Mann Walter abspielen, während im tiefen Rumpf die Erinnerungen an Auschwitz düster lebendig werden. Die Vergangenheit ist somit optisch in die Gegenwart verwoben, zunächst zwar nicht sichtbar, doch immer präsent. Weinberg hat seine Musik dazu äußerst feinsinnig komponiert. Gewaltiges Schlagwerk wechselt mit bedrohlichen Bläserstimmen, oft schlüpfen kurze, ironische Jazzpassagen aus der bedrückenden Atmosphäre dunkler Erinnerungen hervor.
Am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden weiß Christoph Gedschold diese Stimmungen präzise zu gestalten, ihnen Lebendigkeit und Präsenz einzuhauchen, ohne pathetisch überzubetonen. Fast filmmusikalisch schöpft sich die Spannung aus den leisen, kaum hörbaren Tönen, die im Kontrast etwa zu gewaltigen Chören (Leitung: Jörn Hinnerk Andresen) und dem monströsen Schlagwerk stehen.
Auch die Figuren sind sehr diffizil gezeichnet. Christina Bock brilliert in der ambivalenten Person der Lisa, der sie mit kräftiger Stimme im Wechselbad zwischen bestimmender KZ-Aufseherin und verzweifelter Ehefrau fesselnde Authentizität verleiht. Jürgen Müller ist als polternder Ehemann Walter auf eine eher eindimensionale Partie beschränkt. Als Martas Geliebter Tadeusz bleibt zudem Markus Butter in Erinnerung. Und Barbara Dobrzanska beschert als Marta mehr als nur einen Gänsehautmoment. Wenn sie mit warmem, schillernden Sopran fast beiläufig von Tod und Musik singt, ist dem schon nichts mehr hinzuzufügen.
Zwischen diesen intensiven Szenen gibt es jedoch immer wieder einige Längen im Stück, Erzähltes, das nicht unbedingt gesagt werden müsste, weil Bilder und Musik schon für sich wirken. Dazwischen fallen Sätze, die man am liebsten ganz fett unterstreichen möchte: „Wenn eines Tages eure Stimmen verhallt sind, dann gehen wir zugrunde“, sagt Marta an einer Stelle. Man weiß, dass sie recht hat. Doch Weinberg hat den Stimmen mit seiner Oper wieder Gehör verschafft – und das ohne anzuklagen, sondern um zu versöhnen.
„Die Passagierin“ an der Semperoper Dresden, wieder am 30. Juni, 5. und 9. Juli