Joplins „Treemonisha“ als Hochschuloper in Dresden
Von allen Inszenierungen, die bislang in Zusammenarbeit der Dresdner Hochschulen für Musik (HfM) und Bildende Künste (HfBK) sowie der Palucca Hochschule für Tanz (PHfT) auf die Bühne des Kleinen Hauses kamen, ist die diesjährige Produktion wohl die Interessanteste. Nicht nur, dass die Studenten mit Scott Joplins Oper „Treemonisha“ (1911) eine Deutsche Erstaufführung nach Dresden holten, sie schufen auch ihre eigene Orchesterfassung des nur als Klavierauszug überlieferten Werkes – das mit Massimo Gerardi zudem erstmals ein, in Dresden nicht unbekannter, Choreograf in Szene setzte.
Nun kann man allerdings nicht gerade sagen, dass Joplins Libretto sonderlich ausgefeilt wirkt. Das Stück des eigentlich als Vater des Ragtime bekannten Komponisten spielt in den Amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Apartheit. Dort stellt sich das gebildete schwarze Mädchen Treemonisha, eine Tochter von emsigen Pflegeeltern, entschieden dem Voodoo-Aberglauben und der Geisterbeschwörung der schwarzen Bevölkerung entgegen, lässt ihren Widersachern zum Schluss (dank Bildung) aber großzügig Vergebung zuteil werden.
Handlung von geografischen und zeitlichen Bezügen entschlackt
Damit die Handlung auch in Dresden anno 2015 noch zündet, hat Gerardi das Libretto um all seine zeitgeschichtlichen Hintergründe entschlackt und den Schauplatz in ein Nirgendwo der Gegenwart verlagert. Aus den Voodoo-Scharlatanen in Treemonishas „Black Community“ macht er kapitalistische Konsumhaie, die allerlei Schnickschnack an die Dorfbewohner verkaufen. Vor diesem modernen Hintergrund entblößt sich die dramaturgisch arme Handlung allerdings nur allzu deutlich. Sie wirkt, einmal aus der Südstaaten-Plantagenlandschaft herausgelöst, beliebig, lässt zudem kaum Figurencharakterisierung oder gar Entwicklung zu.
Und dennoch ist der gut einstündige Opernabend am Kleinen Haus ein äußerst kurzweiliger. Das liegt zum einen an der Musik, die insgesamt doch klassisch zu nennen ist, in der hier und da jedoch schon zarte Ragtime-Elemente anklingen, zum anderen an den Choreografien, die großen Raum einnehmen und das Stück um eine weitere, bislang wohl nie dagewesene Ebene erweitern. Schon bevor die Ouvertüre erklingt, tanzen drei Palucca-Studenten auf einem balkonartigen Vorsprung. Die Ballett-Ensembles ergänzen das Spiel ständig, ihre Choreografien weben sie fast wie in einer modernen Revue förmlich in die Handlung ein. Auch die Gesangssolisten müssen ran, wer auf einer Opernbühne singt, der sollte (und muss in diesem Fall) schließlich auch tanzen können.
Orchesterarrangement geht mit Neukompositionen Hand in Hand
Speziell für die Tanzszenen haben Florian Baum, Keno Hankel und Felix Klingner, alle drei Studenten der Kompositionsklasse von Thomas Zoller im Studiengang Jazz/Rock/Pop, jazzige Übergänge kreiert, die sich fast nahtlos in ihr Orchesterarrangement einfügen. Es kommt sicher nicht oft vor, dass sich das Hochschulsinfonieorchester der HfM mit dem hfmdd jazz orchestra vereint. Unter der Leitung von Franz Brochhagen bringen beide Klangkörper die Stärken von Joplins melodischer und in sich doch unkonventionell offen gehaltener Musik hier aber wunderbar zur Geltung.
Im studentischen Sängerensemble sticht zur Premiere (25.4.) Timo Hannig als Treemonishas Vater Ned heraus. Nikolaus Nitzsche startet als Verkäufer Zodzetrick etwas verhalten, zeigt in seiner Partie aber bald überzeugende Skrupellosigkeit. Jelena Josic gibt die junge Treemonisha als schüchternes Mädchen, das jedoch voller Entschlossenheit gegen die korrupte Verkäuferbande kämpft – und dies stimmlich auch deutlich macht. Martin Rieck steht ihr als tapferer Freund und Retter aus den Klauen der Verkäuferbande zur Seite. Ganz sicher wird sich das junge Ensemble in den folgenden Vorstellungen bald von der Premierennervosität freisingen – und sich zunehmend Raum für eigene Akzente erobern.
Tanzfläche wandelt sich plötzlich zur Teufelsküche
Anna Brotánková und Sarah Hoemske von der HfBK haben eine schlichte Bühne geschaffen, die in erster Linie von der balkonartigen Empore ganz hinten und der geschickten Beleuchtung profitiert. Als die Geschäftsleute Treemonisha entführen, flammt auf einmal teuflisch rotes Licht durch den sonst eher kargen Raum. Voodoo-Rituale werden so zu wilden „Sex-Partys“ der Geschäftsleute umgedeutet – nicht nur optisch ein prima Effekt. Die Kostüme sind in symbolhaften Farben gehalten: Schwarz für die Verkäuferbande, Grauweiß für die Arbeiter in Treemonishas Dorf. Papphocker reihen sich zu Sitzgelegenheiten oder zum Fließband aneinander. Zum Schluss bekehrt Treemonisha die konsumgeile Arbeiterschaft zum Guten: Leselampen fahren hinab, Bücher erobern die Gesellschaft – und Zodzetrick zieht auch daraus seinen Nutzen.
So wird aus Joplins vergessenem Werk eine pfiffige Oper mit getanzten Szenen und aus der Hochschulkooperation ein wirklich sehenswerter Theaterabend. Es scheint fast, als wäre kein Stück besser geeignet, um die erste Dekade der Opernklasse-Produktionen im (2005 sanierten) Kleinen Haus zu beschließen. Sie markiert gleichzeitig einen Generationenwechsel an der HfM: Andreas Baumann – langjähriger Leiter der Opernklasse, dem die Kooperationen mit der HfBK und der PHfT sowie die mit dem Staatsschauspiel Dresden zu verdanken sind – übergab den Staffelstab zur Premierenfeier nun offiziell an seine Nachfolgerin Barbara Beyer. Sie wird im Frühjahr 2016 ihr Dresdner Regiedebüt mit Benjamin Brittens „A Midsummer Night’s Dream“ geben – und eine schöne Tradition somit fortführen.
Fotos: PR/Ian Whalen
Scott Joplin „Treemonisha“ am Kleinen Haus Dresden, wieder am 30.4., 1.5., 21.5., 27.5. und 28.5., 19.30 Uhr
2 Kommentare
Danke für die schöne Kritik: nur das Lichtdesign für Produktion habe ich selber entworfen, nicht Frau Carola Dregely.
Der Choreograph
Oh, dann Entschuldigung! Das stand wohl missverständlich im Programmheft – oder wir haben es beim Lesen missverstanden.