Die erste Premiere im Kraftwerk

Lehramtsstudenten inszenieren Blachers „Flut“

Gut zwei Jahre werden noch ins Land gehen, bevor die Backsteinmauern des Kraftwerks Dresden-Mitte zur neuen Heimat für die Staatsoperette und das Theater der Jungen Generation werden. Die Lehramtsstudenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber haben mit ihrer Inszenierung von Boris Blachers (1903–1975) Kammeroper „Die Flut“ nun schon einmal gezeigt, wie „Musiktheater im Kraftwerk“ künftig aussehen könnte.

Der Raum, den die Studenten für die Aufführung dieses 50-minütigen Stückes zur Verfügung haben, ist derzeit noch begrenzt. In einem schmalen Flur drängen sich etwa 50 Zuschauer auf Papphockern um ein schräges, rampenartiges Konstrukt, eine Art schiefer Laufsteg, der als Bühne und abstraktes Schiffswrack dient. Die Musiker spielen vom ersten Stock aus, der Chor nimmt im Publikum Platz. Für Ausstattung und Kostüme zeichnen mit Anna Brotánkova, Katharina Korb und Josepha Lienert auch in dieser Kooperation Studentinnen der Hochschule für Bildende Künste verantwortlich.

Boris Blachers „Flut“, die 1947 eigentlich als Rundfunkoper geschrieben, im gleichen Jahr jedoch auch als Bühnenwerk in Dresden Uraufführung feierte, wird hier von den Musikstudenten Benjamin Damm und Martin Kirmse schnittig in Szene gesetzt. Die beiden verweben Blachers Oper dabei geschickt mit der „Kleinen Harlekinade“ (1788), einem Intermezzo von Antonio Salieri (1750–1825). In beiden Stücken werben mehrere Männer um die Gunst einer Frau. Während dies bei Salieri im Stile der commedia de’ll arte passiert, zeichnen Blacher und Cramer später ein deutlich psychologischeres Bild.

In der „Flut“ besichtigen ein Bankier (Felix Seibert), ein Mädchen (Josephine Brüning) und ein junger Mann (Samir Bouadjadja) geführt von einem Fischer (Martin Ehnert) bei Ebbe ein Schiffswrack. Der Fischer lockt die Gesellschaft zunächst mit einer spannungsvollen Geschichte über ein Seeunglück. Hinter seinem Regenmantel verbirgt sich ein Charakter, der so verträumt und schwärmerisch scheint, wie eine Standlandschaft. Das ganze Gegenteil des Bankiers, der nur von Geld und Aktien redet.

Das Mädchen (Fotos: Jelena Josic) wirkt in einen lila Pelzmantel gehüllt eher wie eine Lady. Sie ist gleichzeitig zerbrechlich und clever, sucht das Abenteuer, steht an der Reling, als die Flut kommt. Während der Bankier mit seinem Geld ein Rettungsboot herbeikaufen will, kokettiert sie mit dem starken Fischersmann. Der dritte, junge Mann im Bunde bleibt da noch in seine Phantasiewelt versunken. Erst als das Wasser wieder sinkt, tritt er in Erscheinung, überfällt den Bankier, raubt brutal dessen Geld und holt das Mädchen, das nach einem kurzen Kampf mit ihm geht.

Je zweimal – als die Flut kommt und als sie wieder geht – bricht die Salieri’sche Harlekinade in diese Szenerie, als sei sie die Flut selbst. Harlekin (Richard Glöckner) und Brighella (Kevin Klötzer) werben im Ultraviolettlicht schwungvoll um die schöne Kolumbine (Mackenzie Kulick). Am Ende soll das Los entscheiden – doch Kolumbine lässt beide eine dicke Niete ziehen. Diese kleine Posse verfeinert Blachers Kammeroper um zwei leichte, unbeschwerte Intermezzi, die die ungeheure psychologische und klangliche Spannung des Ganzen unterhaltsam aufbrechen, ohne ihr die Prägnanz zu rauben.

Das gelingt in Verbindung so kurzweilig, dass man die Enge des Raumes, auch die nicht eben bequemen Sitze rasch vergisst und sich ganz dem Geschehen auf der schrägen Bühnenzunge hingibt. Die Spielfreude des junge Ensembles ist enorm, was insbesondere deshalb gelobt werden muss, weil Lehramtsstudenten zwar Gesangsunterricht, nicht aber szenischen Unterricht im Curriculum stehen haben. Unter der musikalischen Leitung von Tim Fischdick gelingt Sängern, Chor und Orchester zudem auch klanglich ein präzises Zusammenspiel – dabei ist vor allem Blachers Werk musikalisch alles andere als leichte Koste. Der überaus hohe, schmale Raum kommt dem akustisch entgegen.

Die wirklich allererste Musiktheaterpremiere im Kraftwerk ist also geglückt. Die Proberäume der HfM dort sind nach der Schlüsselübergabe im Frühjahr nun würdig eingeweiht – und Rektor Ekkehard Klemm spricht zur Premierenfeier schon begeistert von einer Fortsetzung dieses kleinen, feinen Projektes. Man gönnt es dem studentischen Ensemble von Herzen, zumal sie mit der Stückauswahl auch ein bisschen Hochschulgeschichte fortschreiben. Blacher nämlich lehrte in den dreißiger Jahren am Dresdner Konservatorium, bis ihm 1939, weil er sich für die Musik von Schönberg, Hindemith und Milhaud einsetzte, der Lehrauftrag wieder entzogen wurde.

„Musiktheater im Kraftwerk“, wieder am 16.10., 19 und 21 Uhr, der Eintritt ist frei. Um telefonische Vorreservierung unter 0351/4923696 wird gebeten.

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