Wie manche sich aufführen

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Bürgerbühne veranstaltet deutsch-europäisches Theatertreffen

Dass die Sachsen ein schlaues Völkchen sind, ist wohl schon hinlänglich bekannt. Hier wurde Porzellan, das Odol-Mundwasser, die erste Spiegelreflexkamera und natürlich auch die Filterkaffeetüte erfunden. Mit 9,8 Patentanmeldungen je 100.000 Dresdner belegt die Stadt den ersten Rang in der Patentdichte der zehn deutschen Metropolengegenden. Kein Wunder also, dass auch im Bereich der Künstler und Kreativlinge die Dresdner mal wieder die Nase vorn hatten. Denn als erstes Theater in Deutschland überhaupt gründete das Staatsschauspiel Dresden in der Spielzeit 2009/2010 eine sogenannte Bürgerbühne, auf welcher sich Laien unter professioneller Anleitung auf den Brettern, die die Welt bedeuten ausprobieren können.

„An vielen Bühnen gab es immer wieder Inszenierungen mit Bürgern. Man spürte, dass sich das Theater öffnete. Dresden war dann das erste Stadttheater, welches dem Theater mit Bürgern einen eigenen Namen und eine verbindliche Sparte gab“, berichtet Miriam Tscholl, Regisseurin und Leiterin der Bürgerbühne. Seitdem standen inzwischen schon über 1.600 Bürger und Bürgerinnen auf der Bühne und erarbeiteten sich als Laien mit der Unterstützung von professionellen Mitarbeitern des Staatsschauspielhauses Stücke auf eine ganz neue Art und Weise. Denn durch die unterschiedlichen Charaktere, Lebenssituationen und Vorgeschichten der Teilnehmer eröffnen sich stets spannende und ungewohnte Blickwinkel, die sich so ein einzelner Regisseur nie allein hätte ausdenken können. Dieses Potential lockt neues Publikum an – nachweislich besuchen ehemalige „Bürgerbühnler“ das Theater nach einer solchen Erfahrung öfter als zuvor. Und auch in Fachkreisen schlägt dieses Konzept große Wellen. In den folgenden Spielzeiten entstanden nach dem Modell Bürgerbühne Dresden immer mehr solcher Spielstätten in Deutschland und ganz Europa.

Dieser Entwicklung entsprechend wurde es an der Zeit, eine Art Leistungsschau zu organisieren, bei welcher sich die verschiedenen Bürgerbühnen treffen, vorstellen und austauschen können. Vom 17. bis 24. Mai ist es nun soweit: Beim ersten Bürgerbühnenfestival lädt das Dresdner Haus 13 herausragende Produktionen aus acht europäischen Ländern ein, ihr Können unter Beweis zu stellen. Auch die Gastgeber sind mit ihrer Inszenierung „Ich armer Tor“ am Start. Frei nach Goethes „Faust“, dem stereotypen Mann in der Mitte seines Lebens, wird ein Stück über sieben Männer in der Midlife-Krise erzählt. Miriam Tscholl, die bei diesem Stück selbst auch Regie führte, fasst es wie folgt zusammen: „Der Stoff des Originalstückes wird mit den Biographien der Darsteller verknüpft, so dass sich eine ganz neue Bedeutung für beide Seiten ergibt.“ Wie diese Idee im Vergleich zu den anderen Stücken beim Publikum abschneidet, erwarten die Dresdner gespannt. Denn Dank des Fördervereins des Staatsschauspiels Dresden e. V. wird die beste Inszenierung mit einem Publikumspreis in Höhe von 5.000 € belohnt. Tscholls persönlicher Favorit aus den anderen Teilnehmern ist die polnische Produktion „Requiemaszyna“, eine brillante Chorarbeit, die für sie eine völlig neue Hörerfahrung darstellte, wie sie selbst sagt. Allerdings fällt die Entscheidung schwer, denn viele intelligente, amüsante und spektakuläre Einfälle präsentiert das Festival seinen Besuchern, die zum Glück mehrfach für den Publikumspreis abstimmen können.

Neben den über 20 geplanten Vorstellungen (Foto: „Tod.Sünde.7“/Arno Declair) wird es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Vorträgen, Workshops, Konzerten und zahlreichen Tischgesprächen geben. „Wir wollen nicht nur zeigen, was wir können, sondern auch darüber diskutieren, wie das Ganze funktioniert“, erklärt Tscholl. Dabei sind insbesondere die Veranstaltungen jenseits der Bühne gerade auch für Nicht-Fachleute gedacht. „Wer es eher praktisch und aktiv mag, sollte an den Workshops teilnehmen oder die verschiedenen Partys besuchen. Die stark Theaterinteressierten könnten beispielsweise große Freude an dem Vortrag von Jens Roselt haben, der versucht, Inszenierungen mit Bürgern in das zeitgenössische Theater einzuordnen“, regt die Leiterin an.

Als Ziel der Veranstaltung erhoffen sich alle Beteiligten eine Bestärkung der Bürgerbühnen und ihrer Arbeit. Die Vernetzung untereinander und der Austausch miteinander stehen im Zentrum dieser kommenden Woche. Wie machen die anderen es? Welche Formen und Strategien wenden sie an? Denn auch wenn Dresden das Vorbild der anderen ist, so heißt das nicht, dass es nicht auch noch lernen und neue Impulse aufnehmen kann. Für die kommende Spielzeit sind wieder fünf neue Produktionen der Bürgerbühne geplant, für welche neue Darsteller gesucht werden. „Interessenten können sich am besten im Internet informieren und, um nichts zu verpassen, unseren Newsletter abonnieren“, rät Miriam Tscholl, deren Herz, wie man schnell merkt, am Fortbestehen dieser Theaterform hängt. Jeder ist dort gerne gesehen und darf sich einmal selbst beweisen. Wie manche sich bereits jetzt aufführen, können sich alle Dresdner ab diesem Wochenende sieben Tage lang beim Bürgerbühnenfestival anschauen.

Linktipp: www.staatsschauspiel-dresden.de

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