Lasst uns Kulturjäger sein, mit offenen Augen!

Ein essayistischer Beitrag zur Blogparade „Mein Kulturblick“ // #KultBlick

Ein Hamburger Museum ruft zur Blogparade zum Thema Kulturblick auf – das ist ja nun etwas, das zu elbmargarita passt. Dabei braucht man Kultur in Dresden gar nicht entdecken. Sie ist einfach da. Sie umgibt uns überall. Das ist keine Lobhudelei auf die liebste Heimatstadt, sondern in Dresden tatsächlich Realität. Egal, ob ich über den Neumarkt schlendere oder den Blick am Elbufer entlang schweifen lasse, an allen Ecken in Dresden stolpert man über Kultur.

Da liegt es ja auf der Hand, dass irgendwann jemand auf die Idee kommt, einen Kulturblog zu gründen. Meint man. Doch weit gefehlt, denn wo Kultur zum Alltag gehört, droht auch immer die Gefahr, dass sie alltäglich wird – und dann muss sie neu entdeckt, vom Staub befreit werden. Diese Entdeckungsreise ist einer meiner liebsten Beschäftigungen. Nicht erst seit dem Blog, sondern seit nunmehr zehn Jahren gehe ich in Dresden auf kulturelle Erkundungstour. Die Augen weit geöffnet, suche ich im Theater, im Konzert oder bei Ausstellungen neue Impulse, lasse mich inspirieren, manchmal überraschen. Ja, die Überraschung ist eigentlich das Schönste überhaupt an kulturellen Erfahrungen.

Um zu erklären, warum das so ist, muss ich ein bisschen ausholen. Ich war nämlich nicht immer ein Kulturjäger. In meiner Schulzeit bin ich höchstens mal ins Kino gegangen, ganz selten ins Konzert oder ins Theater und nur ab und an in Ausstellungen. Das Interesse für die Kultur erwachte erst mit dem Studium, weil die graue Theorie aus dem Hörsaal im Theater oder im Konzert plötzlich lebendig wurde. Das Schreiben darüber half mir, die Dinge besser zu verstehen, sie zu verarbeiten, es half mir, zu lernen. Und so war der Weg vom Studium ins „Feuilleton“ der Studentenzeitung nur folgerichtig.

Als (Kultur-)Journalist jedoch hat man nicht immer das Glück, über Veranstaltungen zu schreiben, die einen auch wirklich selbst interessieren – womit wir wieder beim Thema Überraschungen wären. Die guten wecken Lust auf mehr, die schlechteren lassen den Wunsch aufkommen, etwas Besseres zu sehen oder zu hören. So verfolgt man Themen weiter, ist gespannt auf das, was als nächstes kommt. Das ist wie ein Sog, der einen mitreißt, ein bisschen macht es auch süchtig.

Die schönsten Überraschungen habe ich immer dann erlebt, wenn wirklich junge Künstler mit viel Euphorie bei der Sache waren und ihre Ideen verwirklichten. Sie haben oft einen anderen Blick auf die Dinge als etablierte Kollegen, sind unverfälscht, auch ein wenig naiv und mutig. Deswegen gehe ich bis heute gern in die Ausstellungen der Hochschule für Bildende Künste Dresden, höre mir sehr gern Konzerte an der Musikhochschule an. Ich finde, es schafft einen leichteren Zugang zur Kultur, wenn man sie gemeinsam mit denen entdeckt, die nicht nur Tradition leben, sondern das Morgen gestalten wollen, die ihren eigenen Stil, ihren Platz am Markt erst definieren müssen.

Die Sicht auf den Ursprung, auf die blutigen Anfänge junger Künstler hält den Blick auf Kultur frisch, weil man weiß, dass nichts selbstverständlich ist. Junge Kunst ist noch nicht ausgereift, ein junger Musiker etwa geht an die Interpretation eines Klassikers ganz anders heran als ein etablierter Star, der viel Erfahrung und eigene Erlebnisse einfließen lassen kann. Auch Beethoven und Schumann waren mal jung, ihre Jugendwerke klingen anders als die späten. Ich bin daher überzeugt: Nur wer die Jungen offenen und unvoreingenommen betrachtet, wird auch das Besondere bei den bereits Etablierten zu schätzen wissen! Vielleicht ist das gar eines meiner Geheimnisse als Kulturjournalistin: Ich halte nichts für selbstverständlich, versuche mir einen offenen Blick auf die Dinge zu bewahren.

Was dann passiert, ist das eigentlich Spannende, das ist fast wie eine Art Experiment mit uns selbst: Denn ein Kunstwerk, eine Architektur, eine Performance oder eine Interpretation wirken unmittelbar auf die Emotionen der Betrachter. Sei es positiv oder negativ, es gibt keine Vorurteile. Wer ein Werk mag, wird sich das nicht ausreden lassen – wer es nicht mag, kann schwer davon überzeugt werden, es vielleicht doch zu mögen. Kultur provoziert Zustimmung und Ablehnung in gleichem Maße. Sie ist wie ein Motor, der Diskurse anregt, oft indirekt, indem man über Erlebtes nachdenkt oder sich mit anderen darüber austauscht. Voraussetzung für das Gelingen ist jedoch immer der offene Blick auf die Dinge. Kultur kann uns lehren, wie das geht. Sie ist daher unverzichtbar für die Gesellschaft, wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Nicht nur in Dresden!

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8 Kommentare

  1. Liebe Nicole,

    wunderbar! Mir gehen so langsam wirklich die Attribute für die Beiträge zu #KultBlick aus. Wahrscheinlich liest man dort von mir immer wunderbar, wunderschön, famos … Aber mich begeistert die Blogparade, die Gedankengänge zu Kultur, die für uns ausgebreitet werden, für jeden Einzelnen, so wie dein essayistischer Beitrag als „Kulturjägerin“ – ich finde den Begriff grandios für das, was du machst!

    Ich stimme dir voll und ganz zu in:
    „Kultur provoziert Zustimmung und Ablehnung in gleichem Maße. Sie ist wie ein Motor, der Diskurse anregt, oft indirekt, indem man über Erlebtes nachdenkt oder sich mit anderen darüber austauscht. Voraussetzung für das Gelingen ist jedoch immer der offene Blick auf die Dinge. Kultur kann uns lehren, wie das geht. Sie ist daher unverzichtbar für die Gesellschaft, wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Nicht nur in Dresden!“

    Ein ganz herzliches Dankeschön dafür!

    Herzlich,
    Tanja

  2. Liebe Nicole,
    wir können Tanja nur zustimmen! Ein wunderbarer Blogbeitrag! Wir sind ganz überwältig von den zahlreichen, aber so unterschiedlichen Kultblicken! Einen offenen Blick auf die Dinge zu bewahren, ist unsagbar kostbar und kann einen nur bereichern! Vielen Dank für diesen Beitrag! Herzliche Grüße aus Hamburg!

  3. Was nehme ich aus diesem Artikel mit? Kurz gesagt: Überraschungen sind wichtig für den Kultur-Blick! So knapp (oder verknappt) diese Aussage auch sein mag, bietet sie doch einen schönen Anknüpfungspunkt. Deshalb habe ich mir mal erlaubt, in unserem (morgen erscheinenden) Beitrag zur Blogparade darauf zu verweisen.

    Herzliche Grüße aus dem Deutschen Uhrenmuseum in Furtwangen!

  4. Hallo Nicole,

    ich mag Deinen Gedanken des „Motors“ sehr, weil ich genau das aktuell bei einer „Kultour“ in Zimbabwe erlebt hab. Wie Kulturobjekte zum Nachdenken anregen und zu immer weiteren Gedankenkreisen führen können.

    Viele Grüße

    Daniela

  5. Liebe Nicole, liebe Mitlesende,
    ich kann mich nur anschließen mit einem dicken JA! Genau so wünsche ich es mir: nicht gleichgeschaltet, diskursiv, aber immer offen!
    Herzliche Grüße,
    Sabine

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