Lessings „Minna von Barnhelm“ befreit vom Staub der Aufklärung am Kleinen Haus Dresden
Wer hätte gedacht, dass ein 250 Jahre alter Theaterschinken wie Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“ (1767) das heutige Publikum tatsächlich noch vom Hocker reißt? Die Inszenierung von Michael Talke macht am Kleinen Haus des Staatsschauspiels wieder Lust auf Klassiker – und dazu braucht es gar nicht viel mehr, als ein paar bunte Regieeinfälle und ein starkes Ensemble!
Der neue Dresdner Schauspielintendant Joachim Klement hat die „Minna“ aus Braunschweig mitgebracht. Verspielt, komisch und lebhaft wirkt schon der Beginn: Erfolg! Status! Geld! Minna! sind die Parolen, die die Gesellschaft dem stolzen Major von Tellheim (Fotos: Sebastian Hoppe) lauthals einflüstert. Der schlummert jedoch angelehnt an die gleichnamige Skizze von Goya den „Schlaf der Vernunft“, umflattert von düsteren Ungeheuern, die dieser Traum gebiert. Denn die Vernunft kann nur solange vernünftig sein, wie man sie nicht auf die Spitze treibt. Doch genug der Philosophie, Vorhang auf für das Theater, das sich hier als großes Spektakel mit viel Unterhaltungswert erweist und die Sachsen mit kleinen Spitzen durchaus mal auf die Schippe nimmt.
Major von Tellheim kommt frisch aus dem Krieg nach Hause, verletzt und unehrenhaft aus der Armee entlassen, weil er den Verlierern, den Sachsen, die Gelder zahlte, die er bei ihnen eintreiben sollte. Arm und entehrt zeigt sich Tellheim als sturer Dickschädel, schlägt jede Hilfe aus und gibt seine Verlobte, Minna von Barnhelm, großmütig frei. Die jedoch will gar nichts anderes als ihren Tellheim – und erobert ihn schließlich mit einem kleinen Verwirrspiel zurück.
Vernünftig bis zur Unvernunft
Mit Vernunft kommt hier niemand richtig weiter, dafür lockt Freude am Spiel und dem Theater. Philipp Grimm ist ein bitter-trotziger Tellheim, der seinen Dienern und der Geliebten Minna verstockt und unnahbar begegnet. Verbittert verschanzt er sicher hinter seiner Vernunft, ohne zu merken, dass er dabei alles andere als vernünftig erscheint.
Minna und ihr Mädchen Franziska sind eher durchgeknallte Gören, denn Damen der feinen Gesellschaft. Ursula Hobmair zeigt Minna als aufgeregtes Zappelkind, nervös steppend, aber doch mit damenhafter Raffinesse versehen, verzweifelt sie beinahe an der Begriffsstutzigkeit ihres Geliebten. Birte Leest darf als Franziska richtig aufdrehen, sie öffnet Türen, steht Schmiere, kommentiert die Handlung oft im Hintergrund. Am Ende sitzt sie geschafft auf der Bühne und lässt bunte Luftschlangen auf das streitende Liebespaar regnen.
Die Sachsen mit hintersinnigem Gegenwartsbezug
Doch auch die Männer sind nicht ohne: Oliver Simon verleiht dem Bedienten des Majors humorvoll Lebendigkeit, etwa in dem er dem unsichtbaren Pudel Ephraim das Stöckchen wirft. Thomas Eisen darf als nobler Wachtmeister Werner für Vernunft sorgen. Die Namen Frauke Petry und Alexander Gauland spuckt er beiläufig in den Text wie böse Geister. Schimpfworte, gemacht in Sachsen. Das sorgt für Lacher und Hintersinn. Als Wirt hat Sven Hörnig zwar weniger Raum für solche Subtilitäten, füllt die Rolle aber nicht minder komisch mit Leben.
Türengeklapper zwischen Komödie und Ernst
So kommt die Inszenierung begleitet von lustiger Klaviermusik wie im Charlie-Chaplin-Film (Andreas Dziuk) ganz ohne Videoprojektion und große Effekte aus. Ja, das gute alte Türengeklapper reicht hier, um das Publikum gut zu unterhalten. „Vernunft herein“, heißt es dabei bisweilen fast mantraartig – man lacht und denkt an Situationen aus dem echten Leben, an denen man am liebsten einstimmen würde in den Chor. Was will Komödie mehr?
Barbara Steiner hat die Kulisse dazu auf das Notwendigste reduziert: Nachdem die Skizze von Goya gen Himmel fährt, bleiben drei Türen und jede Menge Spielgeld, das auf dem Boden liegt wie bei Monopoly. Das Spiel mit dem Spiel bildet das Fundament der Aufführung. Nie weiß man recht, hinter welcher der drei Türen sich die Komödie, hinter welcher sich der Ernst verbirgt. Es ist kein Galgenhumor, aber doch etwas unheimlich Menschliches, das hier zum Lachen bringt.
Insgesamt ist es klares, schönes Theater, das die Aufklärung gekonnt vom Staub befreit – ein bisschen trashig bisweilen, ein bisschen übertrieben, auch frivol mitunter, gerade genug, um herzerfrischend zu sein. Und siehe da: Dieser Lessing ist ja noch aktuell – zweifelsohne ein bunter Tupfen, der jetzt im Dresden Spielplan leuchtet. Unbedingt sehenswert!
Lessings „Minna von Barnhelm“ am Kleinen Haus des Staatsschauspiels, wieder am 18.10., 17.11. 2017