Die Staatsoperette Dresden zeigt „My Fair Lady“ im Kraftwerk Mitte
Nein, „My Fair Lady“ ist nicht bloß ein Musical. In Dresden ist die Geschichte um das Blumenmädchen Eliza Doolittle und den Phonetik-Professor Henry Higgins durchaus ein wenig legendär. Mit Marita Böhme und Peter Herden in den Hauptrollen hat das Stück 1965 an der Staatsoperette Dresden einst Theatergeschichte geschrieben und brachte es auf 446 Vorstellungen in 13 Jahren. Erst 2000 wagte man sich an eine Neuauflage, die mit Tom Pauls und Böhmes Tochter Jessica Glatte bis 2015 erneut 163 Mal gespielt wurde. Im Kraftwerk Mitte läutet der Regisseur Sebastian Ritschel nun abermals eine neue Ära für das Stück (Fotos: Stephan Floß) ein und verleiht der Story von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe nach George Bernhard Shaws „Pygmalion“ opulent modernen Charme.
Heute geben hier Olivia Delauré und Axel Köhler als Eliza und Higgins ein schlagfertiges Doppel. Sie begegnen sich in einer schicken Geschäftsstraße in einem der gehobeneren Londoner Viertel. Dank ihres auffallenden Dialekts und einer Altherrenwette von Higgins mit Oberst Pickering wird Eliza also zum lebendigen Forschungsgegenstand für den verkniffenen Professor. Das selbstbewusste Mädchen aus einfachen Verhältnissen trifft auf den egomanischen Eigenbrötler. Er hat sich vorgenommen, aus dem vermeintlichen „Aschenbrödel“ eine „Pretty Woman“ zu zaubern. Sie will die Chance ergreifen und das Leben auf der Straße als Lady verlassen.
Spannungsvoll, dynamisch und mit allerhand Wortwitz geht es zu, wenn Higgins die Kleine bis zur Erschöpfung mit seinen Sprachübungen drillt und dabei zwei Lebenswelten aufeinanderprallen. Ritschel zeigt dies anfangs mit der steinig grauen Kleidung der Straßenkünstler, die im krassen Kontrast zu den bunten Hüten und prächtigen Roben der feineren Gesellschaft steht. Elizas Vater Alfred poltert mit seiner Müllmannbrigade vom Zuschauerraum aus laut trommelnd im Dialekt der einfachen Leute auf die Bühne. Higgins Haus dagegen gleicht eher einem vornehmen Labor, denn einem gemütlichen Heim. Und immer wieder fahren schicke Schaufenster ein, die von verführerischem Wohlstand flüstern (Ausstattung: Ritschel und Barbara Blaschke). Die Moral freilich ist weder hier noch da zu Hause – und auch die Liebe will in dem Stück keine rechte Heimat finden.
Dafür gibt es die Musik, die mit schmissigen, eingängigen Songs die Menschen und ihre Verhältnisse aufs Korn nimmt, vom spanischen Grün säuselt oder zarte Sehnsüchte aufflammen lässt. Frederick Loewe hat für das Broadwaymusical 1956 bekanntlich famose, mitreißende Stücke komponiert, die man am liebsten die ganze Zeit mitsingen würde. Ein Schlager folgt auf den nächsten und das Orchester der Staatsoperette Dresden agiert mit Christian Garbosnik am Pult quicklebendig, lässt sich ganz ohne Eitelkeiten auf jeden Spaß ein. Da dürfen die schönen Melodien kurzzeitig auch mal von Applaus, Blechtrommeln oder Higgins Tonaufnahmen übertüncht werden – am Ende sorgt das doch nur für ein umso muntereres Erlebnis.
Das Ensemble zeigt sich spielfreudig und findet souverän seinen eigenen Weg, um gesanglich auch im Schatten bekannter Aufnahmen bestehen zu können. Johannes Strauß sticht als Freddy stimmlich klar hervor, wenn er in „In der Straße wohnst Du“ mit warmem Timbre von Eliza träumt. Axel Köhlers sonorer Sprechgesang mag den verknarzten Professorenton dagegen zwar treffen, erweist sich in melodiösen Songs wie „Ich bin gewohnt an Dein Gesicht“ jedoch als schwierig.
Dass er damit die selbstbewusste Eliza kaum beeindrucken kann, ist nicht verwunderlich: Olivia Delauré entwickelt die Figur auch stimmlich zur Lady. Als sie anfangs ins Schaufenster fällt und sanft „Wäre das nicht wunderscheen“ säuselt, ahnt man freilich noch kaum, dass sie Higgins später mit „Ohne Dich“ selbstbewusst Paroli bieten wird. Von der brutalen Mordphantasie mit Schießgewehr ganz zu schweigen: „Wart’s nur ab, Henry Higgins“! Markus Liske darf als fröhlicher Lebemann Alfred Doolittle ganz aus sich herausgehen und bringt eine große Portion Ausgelassenheit ins Stück. Ingeborg Schöpf und Christian Grygas sorgen als Mrs. Higgins und Oberst Pickering für Momente des Ausgleichs.
Mit großen, phantasievollen Balletten (Choreografie: Radek Stopka), einem mitreißenden Chor (Thomas Runge) und der Statisterie der Staatsoperette Dresden inszeniert Ritschel die Geschichte irgendwo zwischen romantischem Sisi-Traum und der Realität einer jungen, emanzipierten Frau, deren Herkunft allzu lange ihr ganzes menschliches Potenzial verbarg. Allein das Ende kommt ein wenig abrupt daher – man hätte gern noch ein bisschen zugeschaut und gelauscht. Ob die neue Inszenierung an die Erfolge ihrer Vorgänger anknüpfen kann, wird wohl auch von der Gunst der neuen Intendantin abhängen. Die des Publikums indes scheint jetzt schon sicher: Bis zur Sommerpause sind alle weiteren Vorstellungen ausverkauft. Wer bereits Karten ergattern konnte, wird gewiss nicht enttäuscht sein.
„My Fair Lady“ an der Staatsoperette Dresden, weitere Aufführungen am 29., 30., 31. Januar, alle ausverkauft, evtl. Restkarten an der Abendkasse
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