Poznan ist eine der schönsten Städte Polens – nur vier Autostunden von Dresden entfernt
Auf den Straßen hört man Polnisch, genauso wie Englisch und Deutsch: Poznan, oder zu Deutsch Posen, befindet sich schon immer zwischen den Welten. Die älteste Stadt Polens gilt als die Wiege des Landes – im Posener Dom wurde vor etwa 1000 Jahren der Grundstein für den polnischen Staat gelegt – und gehört heute zu den schönsten Orten in der Republik.
Auf den Märkten riecht es nach Blumen und frischem Obst, in den unzähligen Bars im Zentrum nach IKEA-Möbeln und Caipirinha. Prächtige Jugendstilhäuser erinnern an längst vergangene Zeiten, auf den Plätzen der Altstadt jedoch wird die vom Westen inspirierte Gegenwart offenbar: Fahrradbars und mobile Bibliotheken begegnen einem an fast allen Ecken – modern und kreativ wirkt diese Stadt, die zwischen unendlich viel Kultur, reicher Historie und einem regen Studentenleben pulsiert.
Die unzähligen Gassen der Innenstadt erkundet man besten vom Stary Rynek, dem großen Markt aus. Mit seinen vielen bunten Hausfassaden, die sich im Karree um den Platz schließen, erinnert er architektonisch an Städte wie Görlitz, Breslau oder Warschau. An dieser bunten Pracht mag man sich kaum satt sehen. Nicht umsonst war das alte Rathaus von Posen wohl einst als das schönste Gebäude nördlich der Alpen bekannt. Heute beherbergt es das Historische Museum. Und überhaupt gibt es reichlich Kultur in der Stadt, die etwa vier Autostunden von Dresden entfernt liegt und rund 500.000 Einwohner zählt, wie ein netter junger Verkäufer in einem kleinen Tante-Emma-Laden berichtet.
In jeder Richtung kann man vom Stary Rynek aus auf den Spuren der Vergangenheit wandeln und den Relikten jener Zeiten nachspüren, in denen Posen sich zum bedeutenden Handwerks- und Handelszentrum in Europa entwickelt hat. Die Verleihung des Magdeburger Stadtrechts im Jahr 1253 öffnete den Horizont hier schon frühzeitig gen Südwesteuropa. Für seine Lederverarbeitung, Kürschnerei, Gerberei und Tuchmacherei war Posen bereits im 14. und 15. Jahrhundert auf dem ganzen Kontinent bekannt.
Heute spiegeln sich alte Backsteingebäude in den blanken Glasfassaden moderner Büro- und Einkaufskomplexe. Architektonische Gegensätze gehen wie selbstverständlich Hand in Hand. Das gilt auch für eine Reihe sozialistischer Bausünden, die immer wieder zwischen den liebevoll sanierten Altbausubstanzen in den Himmel ragen. Direkt gegenüber der Universität zum Beispiel steht gleich ein gläsernes Ungetüm der Nachwendemoderne. Der Musiker Ignatius Jan Paderewski, als Ministerpräsident und Außenminister der zweiten polnischen Republik Zeit seines Lebens auch Kämpfer für die Souveränität Polens, wacht als Staue starrbeinig davor. Er ist Namensgeber der Posener Musikakademie – und seine einzige Oper „Manru“ wurde 1901 an der Semperoper in Dresden uraufgeführt!
Ja, zu entdecken gibt es im Posen freilich genug. Überall atmet die Stadt Geschichte und Kultur. Auf dem Pflaster der Altstadt stolpern besonders Deutsche dabei auch gern mal über Erinnerungen ihrer eigenen Landes- oder sogar Familiengeschichte. Bis zum 16. Jahrhundert hatte sich Posen zu einem bedeutenden Zentrum für den internationalen Handel in Europa gemausert. Die wichtigsten Kultureinrichtungen entstanden, ebenso wie Verlagshäuser, Papierfabriken und Buchhandlungen. In dieser Blütezeit waren noch 70 Prozent der Einwohner polnischer Nationalität, die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe bildeten Personen deutscher und jüdischer Herkunft (etwa 10 Prozent).
Eine wichtige Zäsur bildete jedoch das Jahr 1793, in dem Posen und Großpolen von Preußen einverleibt wurden. Posen war nun Hauptstadt der Provinz Südpreußen. Preußische Beamte, Armee und deutsche Siedler strömten in die Stadt. Bis zum ersten Weltkrieg erhöhte sich die Anzahl der deutschen Bevölkerung so auf über 40 Prozent. Die preußische Regierung machte aus Großpolen eine wirtschaftliche Basis des preußischen Staates und die Stadt Posen zu einem Handels- und Finanzzentrum.
Geblieben sind aus dieser Zeit weite Teile der städtischen Infrastruktur, die Messe und natürlich diverse Kultureinrichtungen. Historische Tafeln sind überall in der Stadt in drei Sprachen beschriftet: Polnisch, Englisch und Deutsch. Das Stadtarchiv beherbergt noch so manchen Lebenslauf deutscher Vorfahren, die hier eine Zeit lang heimisch geworden waren. Mit viel Glück trifft man sogar auf Mitarbeiter, die fließend Deutsch sprechen. Berlin ist schließlich nur zwei Stunden entfernt.
Die Zeit der preußischen Dominanz endete erst 1918, nach Beginn eines Aufstandes in Posen, der zur Befreiung Posens und Großpolens führte. Der Anteil der deutschen Bevölkerung war bereits 1919 auf 4 Prozent gesunken. Der Rest der Geschichte sollte hinlänglich bekannt sein: Deutschland besetzte Posen am 10. September 1939. Die Stadt war nach dem Zweiten Weltkrieg zu 55 Prozent zerstört. Dass sie heute zumindest in der Innenstadt wieder in ganz bunten Farben schillert, ist wohl auch den Förderquellen aus einem vereinigten Europa zu verdanken.
Ein wichtiges Datum ist zudem das Jahr 1956, das sich am Residenzschloss wie ein riesiger Schnitt in die Landschaft malt. Hier wurde entgegen der Bedenken der sozialistischen Regierung bereits 1981 ein gigantisches Denkmal für den Posener Arbeiteraufstand im Juni 1956 errichtet. Über 100.000 Menschen nahmen in diesem Posener Juni an den Protesten der Arbeiter teil, die vom Militär schließlich blutig niedergeschlagen wurden. Misswirtschaft und mangelnde Versorgung waren die Ursachen für diesen Aufstand, an dessen Vermächtnis heute kein Besucher Posens einfach so vorbeikommt. Zum 60. Jahrestag ist derzeit auch eine Ausstellung zu den Ereignissen zu sehen.
Heute freilich trubelt das Leben in der Stadt. Unzählige Bars, Restaurants, Cafés und Kneipen – individuell und immer anders schön – laden zum Essen und Verweilen ein. Geschäfte und Kultur gibt es überreichlich, die Hotels sind selbst in höheren Sternekategorien erschwinglich. Ein Kurzurlaub in einer der aufregendsten Städte Polens darf also ruhig ein bisschen länger als nur ein langes Wochenende dauern – zu sehen gibt es wahrlich genug.