Achtung! Theater mit Nebenwirkungen!

„Herr Dr., die Kanüle klemmt“ am Boulevardtheater

Zugegeben: Es mutet schon ein bisschen schlüpfrig an, wenn eine Komödie mit dem frivolen Titel „Herr Doktor, die Kanüle klemmt“ auf die Bühne kommt, in der die Figuren so vielsagende Namen wie Löchler, Kitzler oder Nudelmann tragen. Das Boulevardtheater Dresden setzt die Altersbeschränkung für das Stück im Programmheft schon mal vorsorglich auf 18 Jahre hoch. Donnerwetter, das kann ja heiter werden, denkt man sich und nimmt gerade noch die lasziv-erotische Ansage wahr, die einem freundlich ins Ohr haucht, man solle sein Handy für ungestörten Theatergenuss doch bitte ausschalten, bevor der Vorhang aufgeht.

Die ersten zehn Minuten des Stückes lassen die schlimmsten Befürchtungen dann auch wahrwerden. Dem Autor Clemens Wolkman sind eindeutig zweideutige Wortspielereien hier offenbar nur so aus der Feder geflutscht! Rasant fliegen sie über die Bühne, die Anna Beck konsequent in der Optik einer Frauenarztpraxis gestaltet hat. Hier doktert Alexander Löchler an einer Reihe delikater Patientinnen herum. Gerade ist er allerdings auf dem Sprung zum Kongress in Cambridge und hat die Ordination daher seinem Zwillingsbruder, dem Tierarzt Axel, anvertraut. Der wirft sofort ein Auge auf die neue, Schlager trällernde Sprechstundenhilfe Rosina Nudelmann, die samt frechem Papagei anrückt, schön knappe Röcke (Kostüm: Michael Wolf) trägt und eigentlich bei „Deutschland sucht den Superstar“ berühmt werden will. Ja, und dann ist da noch dieser mysteriöse Mr. Miller. Nachts schleicht er sich in die Praxis, um an Löchlers geheime Forschungen für ein Anti-Zellulite-Mittel zu kommen …

Das klingt so hingeschrieben alles reichlich flach, kuriert sich aber beim flotten Spiel auf der Bühne bald zu einem wirklich unterhaltsamen Theaterabend aus. Denn Regisseur Jürgen Mai setzt die Komödie so wunderbar leichtfüßig in Szene, dass es weder peinlich noch billig wirkt. Gewürzt mit etwas Schlagermusik bringt er das Publikum stellenweise sogar richtig in Fahrt: Da wird mitgeklatscht und gegrölt, wenn nackte Tatsachen über die Bühne huschen. Richtig ansteckend ist diese Stimmung, die wohl derzeit in keinem Dresdner Theater ähnlich brodelt. Zu verdanken ist das aber vor allem dem mitreißenden „Praxisteam“, das die Zuschauer spürbar mit Herzblut verarztet.

Manuel Krestanovic etwa verleiht dem Zwillingsdoktor gleich zwei Gesichter, die er wunderbar lässig ausspielt. Katharina Eirich steht ihm als patente Sprechstundenhilfe Rosina stets zur Seite. Wenn sie in Mini und reichlich hohen Pumps über die Bühne stöckelt, erinnert sie sogar ein wenig an die schrille Nanny „Fran“ aus der gleichnamigen Fernsehsitcom. Doch auch die Nebenrollen haben Kultpotenzial: Ulrike Mai gibt eine herrlich schrullige Liliane Leutheuser-Schnarrenthal, die sich mit 95 Jahren noch ein Intimpiercing verpassen und auch sonst offenbar nichts auslässt. An anderer Stelle verwandelt sie sich so flugs (Maske: Christine Palme), dass man beinahe zweimal hinschauen muss, in die elegante Puff-Mutter Chanel mit Fächer und Federboa.

Enorme Wandelbarbeit beweist auch Katrin Jaehne, die als flippige Katzenfreundin Kitty Kitzler im Petticoat und Ledercorsage sowie in der Rolle der schüchternen Bibliothekarin oder der männlichen Frau Berge gleichfalls Laune macht. Herbert Graedtke hingegen ist als spionierender Ami Mr. Miller jene komische Figur, die just in dem Moment, wo gerade alles andere im Chaos zu versinken droht, lautstark aus dem Wandschrank plumpst. Die anfangs beklemmend klemmende Kanüle übrigens klemmt letztlich gar nicht wirklich am Patienten, sondern verhilft den beiden Praxisaushilfen hier nur zur schnellen Überführung dieses Schnüfflers mit NSA-Talent.

So erweist sich dieser fast drei Stunden lange und doch recht kurzweilige Abend also wieder einmal als wirkungsvolles Rezept, um von Alltagsstress und schlechten Nachrichten abzuschalten. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte vertrauensvoll Ihren Theaterkritiker!

„Herr Doktor, die Kanüle klemmt“ am Boulevardtheater Dresden, wieder am 6.2., 20 Uhr; 16.2.–18.2., 19.30 Uhr; 19.2., 20 Uhr; 11.3., 15/19.30 Uhr

 

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